
Die Via Romea Germanica zwischen Stade und Rom ist als "Weg der Begegnungen" neuerdings Europäische Kulturstraße. Damit ist sie in eine Liga mit dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela aufgerückt – und das Maindreieck liegt am Schnittpunkt der beiden bedeutenden Pilgerwege.
Ein Pilgerstaffellauf war 2020 auf der Via Romea geplant gewesen, von Stade bei Hamburg bis nach Rom. Der Ochsenfurter Werner Binnen hatte für seinen Streckenabschnitt zwischen Schweinfurt und Nördlingen schon alles vorbereitet. Nun hofft er, dass die internationale Wanderung unter dem Titel "Pilger öffnen Horizonte" im kommenden Juni starten kann – dann immerhin auf der vom Europarat zertifizierten "Europäischen Kulturroute". Es ist der Weg, den Abt Albert von Stade im Jahr 1237 in seinen Reiseaufzeichnungen "Annales Stadenses" beschrieben hat.
Jahrelange Vorbereitungen
Fünf Jahre hat der Förderverein "Romweg - Abt Albert von Stade" an der Bewerbung gearbeitet und am europaweiten Pilgerangebot gefeilt, wie es eben der Jakobsweg, der ebenfalls durch Ochsenfurt führt, der St. Olavsweg ins norwegische Trondheim oder die Via Francigena zwischen Rom und Canterbury bieten. Voraussetzung war nicht zuletzt der Trägerverein "European Association Via Romea Germanica", der 2018 gemeinsam mit den nationalen Vereinigungen in Österreich (Jerusalemway) und Italien (Via Romea Germanica Association) gegründet wurde. Das Ziel ist ein entschleunigter, nachhaltiger, respektvoll spiritueller Tourismus – über die Landesgrenzen hinweg.

Werner Binnen hat die Idee von Anfang an begeistert, seit 2008 Altbürgermeister Peter Wesselowsky als Mitinitiator die deutschen Bürgermeister entlang der Via Romea zu einem ersten Treffen in Ochsenfurt eingeladen hatte. Weitere folgten. "Ohne Peter Wesselowsky gäbe es uns nicht", sagt Binnen. Er hatte in der Folge Kontakt mit den Italienern aufgenommen. Eines der Resultate ist die Städtepartnerschaft mit der toskanischen Stadt Bibbiena, die ebenfalls an der Via Romea liegt.
Aktuell ist Werner Binnen gemeinsam mit Rainer Friedrich einer von zwei Ochsenfurtern im Vorstand des Romweg-Fördervereins. Rückhalt haben sie in einem Grüppchen Ochsenfurter, das die Via Romea bereits in Etappen erwandert hat. "Ich bin eher so der Praktiker", sagt Binnen und setzt auf Vernetzung und das Brücken bauen, gerne international: "Das ist das Wichtigste überhaupt: das Kennenlernen, offen sein, Menschen wahrnehmen und respektieren." Auf den von ihm organisierten Streckenverläufen in Franken macht man deshalb je nach Gelegenheit in einer Moschee Station, im jüdischen Kulturzentrum Shalom Europa – immer mit sachkundigen Führern - oder läuft ein Stück in Begleitung eines Naturpark-Rangers.
Gehen als Rhythmus des Lebens
Das Gehen, so sagt der Physiotherapeut, der sich seit Kurzem im Ruhestand befindet, sei nach Pulsschlag und Atmung der wichtigste Rhythmus im Leben und der einzige, mit dem umfassend eine sinnliche und intellektuelle Wahrnehmung der Umgebung möglich ist. Ihm selbst habe das Gehen den Reiz des Ochsenfurter Gaus erschlossen, einen Streckenabschnitt, den er mit Auto oder Fahrrad sonst auch eher als uninteressant angesehen hatte.

"Man muss halt hinten rum laufen, etwa durch die Klinge auf Hopferstadt zu", sagt Binnen. "Bewegung heilt" ist eine weitere Erkenntnis, die er, auf Erfahrung basierend, gerne weitergibt. Auch Ältere, die auf den Pilgerwegen unterwegs sind, beugen damit körperlichen Problemen vor. "Die das machen, haben gelernt, ihre Kraft einzuteilen und sich regelmäßig aufzumachen." Auch er laufe immer nur in Etappen, so Binnen.
Zudem ist Werner Binnen einer der Streckenpaten, die entlang der Via Romea für Begegnungen sorgen und Pilgern hilfreich zur Seite stehen. "Da geht man abends schon mal ein Bier zusammen trinken" - oder vermittelt eine Übernachtung. "Wer selbst nicht loslaufen kann, hat als Streckenpate die Möglichkeit, dass die Welt zu ihm kommt."
Touristisches Potenzial
Katharina Felton, Leiterin der Ochsenfurter Tourist-Information würde ein solches Engagement unbedingt begrüßen. Mehrere hundert Pilger - auf der Via Romea oder auf dem Jakobsweg - kämen jedes Jahr durch Ochsenfurt, schätzt sie. "Was leider fehlt, sind spezielle Pilgerunterkünfte", so Felton. Deshalb laufen die meisten weiter. "Ich würde sagen, das ist touristisch schon relevant", meint sie. So sei sie gerade in diesem Jahr davon überrascht worden, dass vermehrt Familien auf den Pilgerwegen unterwegs waren. Immerhin bietet die Stadt inzwischen einen Gästeführer in Gestalt eines Pilgers an.
Auch wenn sich an die Europäische Kulturroute touristische Interessen knüpfen, sei die Via Romea nicht kommerzialisiert, sagt Werner Binnen. Geistiger Vater ist der Ethnologe und Archäologe Professor Giovanni Caselli, dessen idealistisches Ziel es war, den Weg nach alten Aufzeichnungen wieder zu beleben, gewachsen und getragen aus dem Engagement der Menschen entlang des Wegs.
Zertifizierung für drei Jahre
Wenn aber die Via Romea Bestand haben soll, könne man nicht stehen bleiben, sagt Werner Binnen. Zum einen gelte die Zertifizierung durch den Europarat jeweils nur für drei Jahre. Zum anderen sei der Weg und seine Möglichkeiten der Begegnung auch ein Kulturgut, so Binnen, das gepflegt und belebt werden muss. "Der ökonomische Aspekt allein reicht als Basis für einen Zusammenhalt nicht. Man sieht es bei der EU", verweist er.
Froh ist er deshalb über die Erfahrung aus dem Pilgertag mit einer Schulklasse: Dabei das vermeintlich Bekannte vor Ort neu zu entdecken sei ein neuer, spannender Ansatz, für den die Grundschullehrerin Gertrud Friedrich aus Ochsenfurt eigens einen Pilgerrucksack mit besonderen Anregungen für Anfänger-Pilger entwickelt hat.
Kontakt und Info: www.viaromea.de oder Werner Binnen, Tel. (0 93 31) 49 13, Mail: wernerbinnen@web.de