Drei Tage vor dem 10. September 2014 kommt Richard Hermann in die Redaktion dieser Zeitung in Ochsenfurt und fragt, ob etwas zum 70. Jahrestag des Bombenangriffs auf Acholshausen erscheinen würde. Da weder Gemeinde noch Kirche dieses Tages gedenken wollen, ist auch uns nicht bewusst, was den Menschen in Acholshausen vor 70 Jahren widerfahren ist. Wir bitten Richard Hermann uns davon zu erzählen.
Er ist 10 Uhr, als 1944 amerikanische Flugzeuge über Acholshausen fliegen und Brandbomben auf das kleine Bauerndorf, das in der Nähe des Giebelstadter Flugplatzes liegt, werfen. Der Junge ist zuhause bei seiner Mutter und hört die Flugzeuge am Himmel surren. „Sie waren ziemlich hoch“, erinnert er sich. „Und geglitzert haben sie im Sonnenlicht.“
Angst macht sich breit. Richard sucht mit seiner Mutter Schutz im Scheunenkeller.
Hier haben sie sich immer verkrochen, wenn Bomber der Alliierten den Giebelstadter Flugplatz angriffen. Doch dieser Angriff ist anders als sonst. Die Einschläge sind nahe. Und Richard und seine Mutter hören ein Knistern. „Wir müssen raus“, ruft seine Mutter und nimmt ihren Sohn an die Hand. „Wir wären sonst vielleicht im Keller erstickt“, beschreibt er die Zwickmühle, in der er sich damals mit seiner Mutter befand.
Doch eigentlich will Richard Herrmann nichts erzählen. Er ist ein ruhiger Typ, der nicht im Mittelpunkt stehen möchte und sich auch nicht fotografieren lässt. Lange hat er sich überlegt, ob er überhaupt was sagen soll. „Aber dieser schreckliche Tag soll nicht vergessen werden“, sagt er sich und überwindet schließlich seine Schüchternheit.
In Acholshausen erinnert heute eine Gedenktafel am Kirchturm an den 10. September 1944. Und der Lehrer Hugo Wilz beschreibt in seiner heimatgeschichtlichen Reihe, wie das Dorf dem Krieg zum Opfer gefallen ist. Er lässt Augenzeugen zu Wort kommen und seine eigenen Erinnerungen mit einfließen. „Die Brandbomben fielen da und dort geradezu in die Suppenschüssel hinein“, schreibt er. Und bei der Familie Landwehr in Haus Nummer eins soll sogar die Nudelsuppe über die Brandbombe geschüttet worden sein, um sie auszulöschen.
Hugo Wilz schreibt auch über eine Frau, von der er gehört habe, dass sie ein Schwein aus dem brennenden Schweinestall treiben wollte. Das Tier war aber störrisch. Also hob die Bäuerin einen Gegenstand vom Boden auf, um das Schwein anzutreiben. Gott sei Dank merkte ihr Mann noch rechtzeitig, dass sie den Blindgänger einer Brandbombe in Händen hielt. Wilz hat auch zusammengetragen, welche Gebäude am 10. September 1944 abgebrannt sind. Auch die Scheune und das Nebengebäude der Familie Herrmann ist verzeichnet. Insgesamt wurden 20 Wohnhäuser, 15 Scheunen, drei Ställe und zehn Nebengebäude zerstört. Drei Pferde, 85 Kühe und Rinder, 11 Jungrinder, 93 Schweine und neun Ziegen verendeten in den Flammen.
Eine Frau starb 14 Tage nach dem Bombenangriff an ihren Verletzungen im Krankenhaus, schreibt Hugo Wilz. Er hat das Mädchen selbst gesehen. „Sie war bedeckt von Brandwunden“, schreibt er. Weiter kam niemand ums Leben.
Richard Herrmann erinnert sich an solche Details nicht mehr. Er hat vieles verdrängt, um sich nicht zu sehr zu belasten. Doch in den Tagen vor dem 10. September kommt bei ihm vieles wieder hoch.
Und jetzt, wo es wieder so viele Feindseligkeiten in der Welt gibt, erst recht. „Verdrängen kann man die Vergangenheit. Aber vergessen nicht“, sagt er.