
Bei einem Spaziergang durch die Altstadt von Ochsenfurt erscheint einem das Fachwerkhaus in der Hauptstraße schräg gegenüber vom Rathaus zunächst nicht ungewöhnlich, obwohl es die Stadtapotheke ist. Betrachtet man es näher, fällt einem eine barocke Mondsichelmadonna mit Jesuskind auf dem Arm auf, die außen an der Fassade thront.
Betritt man dann den Verkaufsraum der Stadtapotheke und wird von Pharmazeutin Sabine Speth freundlich begrüßt, gerät man ins Staunen: die Innenausstattung ist noch vollständig in Holz gehalten. Große Regale beherbergen unzählige Gläser und Tiegel mit den unterschiedlichsten Essenzen und Kräutern. Relikte einer Zeit, in der man noch intensiver mit der Kraft der Natur heilte. Daneben stehen alte Mörser aus Messing und Holzskulpturen, die mit dem Beruf des Apothekers zu tun haben. In der Mitte der hinteren Wand eine große Uhr, die im Laufe der Zeit ihre Zeiger und die Lesbarkeit ihres Ziffernblattes eingebüßt hat: die Zeit ist sozusagen stehengeblieben.

Was man vergeblich sucht, ist die bunte Farbigkeit einer modernen Apotheke mit den vielen Angeboten, Werbetafeln und auch digitalen Aufforderungen, doch das Richtige zu erwerben. Auch hier stehen Traubenzucker, Hustenpastillen und einige Hautpflegeprodukte in greifbarer Nähe, aber das war es auch schon. Moderne Medikamente? Mal ein oder zwei Schachteln in der Auslage, ansonsten ist alles im Nebenraum.
Im alten Outfit technisch auf dem neuesten Stand
Für Apothekerin Sabine Speth ist das Programm. "Ich wollte das alte Outfit immer erhalten, dabei aber technisch auf dem neuesten Stand sein", sagt sie. Als sie das Haus im Jahr 1989 übernommen hat, kamen immer wieder Apothekeneinrichter vorbei, die ihr eine Modernisierung aufschwatzen wollte. Nicht im Geringsten kam das für sie in Frage, es sollte alles so bleiben, wie es war.
Nur das Labor wurde immer wieder aufgerüstet, um dem gängigen Standard zu entsprechen. Genauso wie in jeder anderen Apotheke werden auch hier Rezepturen angemischt, mit dem gleichen Aufwand wie überall: Prüfung der Ausgangsstoffe, Plausibilitätsprüfung, Prüfung der Gläschen, Beachten aller Hygienevorschriften, das alles geht auch im alten Mobiliar. Mit Bezug auf die Medikamentenknappheit verrät die Apothekerin, dass auch ein Fiebersaft für Kinder sehr leicht herzustellen sei. Um den aber verkaufen zu können, müsse ein riesiger bürokratischer Aufwand in Form von mehrseitigen Protokollen überwunden werden.
Touristen kommen gerne in die Apotheke
Die Holzeinrichtung lockt im Sommer viele Touristen in die Apotheke. "Mir ist das egal, ob sie was kaufen oder nicht, ich freue mich ja, wenn es ihnen gefällt", meint die Besitzerin, "Ethos gehe vor Monetos". Die Kunden seien sehr nett, suchten die Atmosphäre, das Schatzkästchen hinter der Fassade.

Das Interieur stammt von 1950, als Schwiegervater Rudolf Speth noch der Inhaber war. Er beauftragte den Ochsenfurter Schreiner und Bildhauer Willy Freund mit der Ausstattung. Dieser verewigte sich stolz mit dem Inhaber in einem Holzrelief in der Mitte des Tresens, über dem Ochsen von Ochsenfurt und den Wappen von Franken und Bayern.
Und dahinter an den Regalen ist das Alter angegeben: 1550 – 1950 steht da, wobei das Gründungsjahr nicht so ganz klar ist, es könnte auch 1548 gewesen sein. Die Apotheke war in diesen mittlerweile fast 500 Jahren immer in Betrieb gewesen, erzählt Sabine Speth, inzwischen schon in der vierten Generation in derselben Familie.

Fragt man nach der alten Apotheke von vor 1950, kommt die nächste Überraschung: Rudolf Speth hatte die alte Einrichtung aus der Barockzeit nicht einfach entsorgt, sondern fein säuberlich restaurieren und im hinteren Treppenhaus wieder aufbauen lassen. In dunkelgrün und rot gefassten Holzregalen mit teils geschwungenen barocken Verzierungen steht nochmals eine Sammlung von alten Gefäßen.
"Unguentum Sulfur, Ferrum Oxydolatum, Amylum Orycae, Extractum aloës" und noch so viel mehr ist da zu lesen und macht das Ganze geheimnisvoll. In der Mitte des Raumes mit der alten Apothekeneinrichtung führt eine freitragende Treppe ins Obergeschoss, wo Sabine Speth wohnt. Arbeits- und Wohnbereich liegen eng zusammen, "die Apotheke ist mein eigentliches Wohnzimmer", sagt sie dann auch, Zeichen der engen Verbundenheit mit ihrem Beruf.

Eine Schwierigkeit bringt das Ganze aber dann doch mit: Die Apothekenbetriebsordnung schreibt heutzutage die Einheit der Räume vor, das heißt, dass Labor und Offizin – der Verkaufsraum – nicht getrennt sein dürfen. Bei der Stadtapotheke liegen die Teile aber auf beiden Seiten des Hausflures, über den man auch das obere Geschoss erreicht. Dadurch kann es Schwierigkeiten geben und die Apotheke könnte strengere Handhabungen in diesem Bereich nicht überstehen. Sabine Speth hofft, dass sie ihre Kostbarkeit noch lang erhalten kann. Apotheker dürfen so lange arbeiten, wie sie fit sind, "noch zwei Jahre Pflicht, dann kommt die Kür", sagt sie lachend.
Selbst entwickelte Abführdragees
Und vielleicht macht sie sich dann auch dran, wie ihr Schwiegervater damals, eigene Medikamente zu erfinden. Der hatte nämlich dragiert, also Dragees hergestellt. Und in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hatten die noch sehr sprechende Namen. Die Abführdragees hießen "Schei-u-kna" , dazu das "Brunspulver", eine eigene Mischung. Für beides war der Apotheker berühmt, so gut war die Wirkung.