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Veitshöchheim
Veitshöchheimer Studie: Wie ticken die Freizeitgärtner?
Gestalter und Delegierer, Naturbezogene und Nutzgärtner: Die Bayerische Gartenakademie hat in einer bislang einzigartigen Studie die Gärtner-Typen erforscht.
Ist gerade viel im In-und Ausland unterwegs, um die SINUS-Studie zur Typologie der Freizeitgärtner vorzustellen: Andreas Becker, der Leiter der Bayerischen Gartenakademie. 
Foto: Thomas Obermeier | Ist gerade viel im In-und Ausland unterwegs, um die SINUS-Studie zur Typologie der Freizeitgärtner vorzustellen: Andreas Becker, der Leiter der Bayerischen Gartenakademie. 
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:08 Uhr

Sie ist wohl die älteste Einrichtung ihrer Art in Deutschland: Seit 25 Jahren gibt es in Veitshöchheim, an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau  und Gartenbau (LWG) die Gartenakademie - gegründet und eingerichtet mit dem Zweck, speziell für die Freizeitgärtner da zu sein.  Die Gartenakademie berät, lädt zu Lehrgängen ein, bietet Seminare, führt durch ihre Schau- und Mustergärten und gibt in Broschüren, online und am Gartentelefon praktische und nützliche Tipps. Aber wenn Dr. Andreas Becker, der Leiter der Bayerischen Gartenakademie, überlegt, für wen er und sein Team arbeiten . . . 

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Wer sind die Freizeitgärtner? Becker will wissen: "Was bewegt die Bürger in den Garten zu gehen?" Antworten bekam er bislang so nebenbei. Wenn er mit Besuchern redete. Oder spazieren ging, unterwegs war und irgendwo über die Gartenzäune spickte. Da gibt's die total aufgeräumten, gebügelten, gestriegelten Kurzrasengärten, in die ein paar mal im Jahr ein Dienstleister kommt. Da gibt's die Gärten mit Trampolin, Schaukel und Planschbecken. Die Nutzgärten, in denen im Sommer vor, neben und hinter dem Haus die Tomaten, Zucchini und Salate der Ernte entgegenwachsen. Da gibt's die geschmückten, dekorierten, blumigen Vorgärten, Balkons und Terrassen, in und auf denen jemand liebevoll alles arrangiert. Oder die wilden Gärten. Die zugewachsen sind, weil der Gartenbesitzer entweder keine Lust oder keine Zeit oder kein Interesse hat, was im Garten zu tun. Oder in denen der Gartenbesitzer ganz bewusst die Natur Natur sein lassen will und das Wuchern und Treiben beobachtend verfolgt.

Wie viele Leute haben einen eigenen Garten - oder wenigstens einen Balkon?

Aber wie und warum wird jemand Freizeitgärtner? In Bayern, sagt Andreas Becker, sind fast 780 000 Freizeitgärtner in Vereinen organisiert. "Mit ihren Familien ergibt dies rund zwei Millionen Bürger, also rund jeder sechste Bayer." Nimmt man dann noch alle Gartenbesitzer, die nicht im Verein oder Verband sind, dazu, komme man auf eine Fläche von etwa 135.000 Hektar, die die 2,75 Millionen Haushalte bewirtschaften. Aber empirisch fundierte Studien gab es über all die Gartennutzer bislang nicht. 

Irgendwann wollte Becker genau wissen, "wer sind unsere Kunden und wie müssen wir sie ansprechen? Sind wir mit dem Bildungsangebot noch richtig, müssen wir mehr Apps machen, mehr Kurzfilme, wo geht's hin?" Vor vier Jahren ging die Gartenakademie die Frage größer an - und beauftragte mit der Landesvereinigung Gartenbau e.V., dem Landesverband der Kleingärtner und anderen Verbänden das Heidelberger Sinus-Institut. Das private Markt- und Sozialforschungsinstitut sollte herausfinden: Wie ticken die bayerischen Freizeitgärtner? 

Für die Studie 2400 Leute befragt

Die Milieu-Forscher,  die seit den 80er Jahren für Parteien, Unternehmen, Verbänden den Lebenswelten und Werteauffassungen der Menschen nachspüren, machten erste Einzelinterviews mit Freizeitgärtnern von Aschaffenburg bis München, entwickelten Fragebögen. Und befragten damit dann erst 1000 repräsentativ ausgewählte Männer und Frauen im Alter von 18 bis 69 Jahren, dann noch in einer Online-Umfrage 1400 organisierte Hobbygärtner. Also Mitglieder aus Kleingartenverbänden, Obst- und Gartenbauverbeinen.

Die erste Überraschung für Andreas Becker: "Welche Bedeutung der Garten hat!" Nun müsste man meinen, dass jemand, der Marketingprofi in Sachen Gartenbau ist und seit fast zehn Jahren schon die Akademie leitet, sich darüber nicht wundern würde. Aber wie deutlich die Befragten sagten, dass der Garten für sie quasi paradiesisch ist, dass er eine große Rolle spielt - das verblüffte Becker dann doch. "Man muss das allen Politikern sagen: Wer was für die Menschen tun will, tut was für den Garten!"   

Okay, klarer Fall. Das ist der Garten-Typ Entspannungsorientierte. In den Garten geht's zum Erholen.
Foto: djd-p/bayergarten.de | Okay, klarer Fall. Das ist der Garten-Typ Entspannungsorientierte. In den Garten geht's zum Erholen.

Und welche Gärtner-Typen gibt es nun? Fünf hat das Sinus-Institut ausgemacht:  Entspannungsorientierte, Gestalter, Nutzgärtner, Naturbezogene und Delegierer. Die Gartenbesitzer, die nicht in der Erde wühlen und keine blühenden Biotope schaffen wollen, sondern einfach den Liegestuhl aufklappen und sich erholen, interessierten Becker erst einmal weniger. Die anderen vier Typen schauten sich Sinus-Institut und  Gartenakademie näher an.  

Wer will Natur, wer will's schick? Wer will was ernten? 

Konservative, Intellektuelle, Pragmatische oder Traditionelle, Wohlhabendere oder  Ärmere:  "Gestalter gibt es überall", sagt  Andreas Becker beim Blick auf die Milieus. Unter den Naturbezogenen hätte er eher die jungen Freizeitgärtner vermutet. Aber Vögel hören, Eichhörnchen sehen, das wollten eher die Älteren: "Den Traditionalisten, den Leuten aus der bürgerlichen Mitte, ist die Natur wichtig."  Die Jüngeren, sagt Becker, seien häufig die Nutzgärtner: "Die 25- bis 40-Jährigen wollen machen, aussäen, ernten!"  

Was das Geld betrifft: "Rund 100 Euro werden pro Kopf pro Jahr für den Garten ausgegeben", sagt Becker, "das ist stabil seit Jahren." Er selbst kann sich privat übrigens zu den Nutzgärtnern zählen, die beim Werkeln und Anbauen im Kleingarten entspannen. Seine Spezialität: Tafeltrauben. Das Gestalten und Schmücken übernimmt seine Frau. 

Typ Gestalter: Schön bepflanzte Balkonkästen sind Pflicht. 
Foto: Kai Remmers | Typ Gestalter: Schön bepflanzte Balkonkästen sind Pflicht. 

Typ 1: Die Gestalter

  • 26 Prozent der Befragten
  • zweitälteste Gruppe, im Schnitt 49 Jahre
  • höchster Anteil bei den Frauen 
  • hoher Anteil bei den Städtern 
  • jeder Zweite wohnt in einer Mietwohnung
  • eher kleinere Haushalte oder Singles
  • empfinden die Beschäftigung mit dem Garten nicht als Arbeit, sondern als Mittel zum Abschalten 
  • machen alles selbst
  • wollen einen Garten nach den eigenen Vorstellungen und sich kreativ ausleben
  • suchen sich Anregungen und Tipps auf Gartenschauen, im Internet oder in Zeitschriften
Der Rasenroboter gehört zu den beliebtesten smarten Gartengeräten im Handel. Er mäht selbstständig den Rasen - perfekt für den Delegierer.
Foto: Ina Fassbender/dpa | Der Rasenroboter gehört zu den beliebtesten smarten Gartengeräten im Handel. Er mäht selbstständig den Rasen - perfekt für den Delegierer.

Typ 2: Die Delegierer

  • 12 Prozent der Befragten
  • zweitjüngste Gruppe, im Schnitt 44 Jahre, die meisten jünger als 30 
  • vor allem Männer
  • Regionaler Schwerpunkt Oberbayern und Schwaben
  • besonders viele Singles
  • überlassen die Pflege des Gartens und die Auswahl der Pflanzen ganz den Profis
  • wollen einen pflegeleichten Garten - und eher als exotisches Kleinod
  • wollen sich im Garten nur erholen
  • können auch ohne Garten leben
Gartentyp Naturbezogen: Es darf blühen und wachsen, was will.
Foto: Andrea Warnecke, dpa | Gartentyp Naturbezogen: Es darf blühen und wachsen, was will.

Typ 3: Die Naturbezogenen

  • 16 Prozent der Befragten
  • älteste Gruppe mit im Schnitt 51 Jahren
  • hoher Frauenanteil
  • leben oft im eigenen Haus , mit drei oder vier Personen im Haushalt
  • fast 60 Prozent sind verheiratet
  • wollen die Natur im Garten nicht "einzwängen"
  • lassen bewusst wachsen, was von selbst wächst
  • wollen Bienen, Vögel, Schmetterlinge schützen
  • wollen einen möglichst natürlichen Garten mit Bio-Dünger und unbehandeltem Saatgut 
  • für sie ist der Garten ein Stück Lebensphilosophie 
  • machen alles komplett selbst
Der Typ Nutzgärtner erntet am liebsten auch seine Kartoffeln selbst.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Der Typ Nutzgärtner erntet am liebsten auch seine Kartoffeln selbst.

Typ 4: Die Nutzgärtner

  • 18 Prozent der Befragten 
  • jüngste Gruppe mit 43 Jahren im Schnitt
  • leben im eigenen oder gemieteten Haus 
  • in ländlichen Gebieten zu Hause  
  • haben oft Kinder
  • ein kleiner Streifen ums Haus reicht ihnen nicht
  • wollen viel Platz  und einen Garten, den sie intensiv nutzen können
  • bauen Obst und Gemüse an - vor allem um die eigene Familie gesund zu ernähren 
  • für sie ist ein Garten ohne Nutzpflanzen kein richtiger Garten
  • Gärtnern ist für sie auch ein Gemeinschaftserlebnis
 
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