Die Luft ist erfüllt vom Rotorenlärm der Helikopter. Starten, landen, Beobachtungsflüge. Der Himmel über Kabul ist tiefblau. Mitten im lauten Chaos eine Ruheinsel. Nur eine kleine: der Rosengarten im Camp Qasaba. Hier hält sich Pfarrer Johannes Müller am liebsten auf. Der Militärstützpunkt der Bundeswehr in Afghanistan ist so ganz anders als das beschauliche Burgsinn (Lkr. Main-Spessart), wo er noch bis vor wenigen Jahren als Gemeindepfarrer tätig war und auch anders als die Kaserne in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg), seinem jetzigen Dienstsitz.
Es herrscht mal wieder die höchste Sicherheitsstufe. Fast ununterbrochen. Zwölf Stunden dauerte der Häuserkampf zwischen den Milizen der Taliban und lokalen Polizeikräften in der vergangenen Nacht. Da draußen ist Krieg. Immer noch.
„Die Sicherheitslage hat sich in den letzten drei Jahren verschlechtert“, sagt Johannes Müller. Am Abend wird der evangelische Pastor seine Frau in Veitshöchheim anrufen, ihr versichern, dass alles in Ordnung ist und dass es ihm gut geht. „Sie war nicht besonders begeistert, als ich mich auf die Stelle eines Militärpfarrers beworben habe“, erinnert sich der 49-Jährige an den Juli 2009.
„Die Stellenausschreibung hat mich begeistert.“ Er mochte das ruhige Leben in Burgsinn, doch immer wieder spürte er auch diese gewisse Abenteuerlust, die ein Missionarsaufenthalt in Papua-Neuguinea nur noch verstärkt hatte. „Meine Frau und die drei Kinder akzeptierten schließlich meinen Wunsch.“
Seit sechs Jahren ist er als evangelischer Militärpfarrer in Veitshöchheim und seit Oktober auch für die Kasernen in Volkach und Hardheim zuständig. Sein erster Auslandseinsatz für die Bundeswehr war 2012 im Kosovo. Doch von der Gefahrenlage sei das nicht mit Afghanistan zu vergleichen. In Kabul pendelt er zwischen den Hauptquartieren der Bundeswehr. „Oft fliegen wir mit dem Hubschrauber. Das ist am sichersten, obwohl es nur wenige Minuten Flug sind.“ Undenkbar, sich ungeschützt in der afghanischen Hauptstadt zu bewegen. „Mir juckt es in den Fingern, das Land und die Menschen kennenzulernen. Aber es sei viel zu gefährlich, sich draußen in Uniform zu zeigen.“ Er erinnert sich an die Freunde zu Hause und ihre Worte: „Komme ganz wieder nach Hause! Diesen Satz habe ich bestimmt zehnmal gehört!“
Er mag den direkten Kontakt zu den Soldatinnen und Soldaten. Während der Fahrten in geschützten Fahrzeugen, bei Hubschrauberflügen, den wöchentlichen Gottesdiensten, im Feldpostamt, im Stabsgebäude, beim Mittagessen, unterwegs im Camp Qasaba oder im Hauptquartier. „Sie wissen, dass sie mich jederzeit ansprechen können“, sagt der begeisterte Motorradfahrer. Auch für ihn bedeuten die Gottesdienste viel: „Es geht nicht nur um die christliche Feier in einem islamischen Land, sondern auch darum, innezuhalten, zu sich selbst zu kommen, um Erlebtes zu verarbeiten.“
Dann erzählt er von seinem glücklichsten Moment, den er hier erlebt hat. „Ein Kamerad sagte mir, dass er getauft werden möchte. Er hat den Wunsch, Taufpate eines Kindes zu werden und sei bereit, den christlichen Glauben anzunehmen.“
„Die Sicherheitslage hat
sich in den letzten drei Jahren verschlechtert.“
Doch es gibt auch Situationen, in denen Müller einfach nur funktioniert, funktionieren muss: „Schutzweste überziehen und sofort in einen der Alarmräume laufen!“ Er erinnert sich an den Tag, als sich in unmittelbarer Nähe von Qasaba ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Sein traurigster Moment. Er denkt an seine Kindheit auf dem Bauernhof in Weigenheim (Lkr. Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim) zurück und wie ein Malwettbewerb sein Leben veränderte. „Ich habe ein Buch über den Abenteurer Heinrich Harrer gewonnen. Das zog mich sofort in den Bann. Ferne Länder kennenlernen, das war es, was ich wollte. Vielleicht liegt die Schuld auch an meinem Urgroßonkel, der als Missionar in China tätig war.“
Rechtzeitig zum 1. Advent wird der Pfarrer wieder in Veitshöchheim sein. „Erstmal meine Frau in den Arm nehmen, dann die Kinder. Und Bratwurst mit Sauerkraut essen und dazu einen guten Silvaner-Schoppen.“ Für die Tour mit der 1200er BMW wird es zu kalt sein. Doch die 50 Kilometer auf dem Fahrrad zu seinen Eltern nach Weigenheim nimmt er sich trotzdem vor.
„Als sportliche Betätigung.“ Und auf dem Rückweg will er Halt in Würzburg machen und von der Wöhrl-Dachterrasse über den Main und auf die Festung blicken.
Es sind die kleinen Wünsche, die in Afghanistan groß werden: die Sehnsucht nach gewohnten Momenten in vertrauter Umgebung. Und dann wird der Militärpfarrer aus Veitshöchheim zurückdenken: an die Hubschrauber, die Schutzwesten, die ständige Alarmbereitschaft. „Und vor allem“, sagt er, „an die großartige Kameradschaft, die ich immer wieder erlebe.“