„Ein Nobelpreis macht sich gut in der Biografie“, sagt Psychologin Dr. Kristina Suchotzki. „Auch wenn es nur der Ig-Nobelpreis ist.“ Seit 25 Jahren vergeben satirisch aufgelegte Gruppen von US-amerikanischen Elite-Universitäten diese berühmt-berüchtigte Auszeichnung. Den Ig-Nobelpreis für Psychologie gewann heuer ein internationales Team, zu dem Kristina Suchotzki von der Uni Würzburg gehört. Wissenschaftler aus vier Nationen hatten verschiedene Altersschichten beim Lügen verglichen.
„ignobel“ heißt „unwürdig“
Ein Jahr nach der Veröffentlichung der Ergebnisse in der Fachzeitschrift für experimentelle Psychologie, „Acta Psychologica“, war Post aus Harvard gekommen. Dort sitzt derzeit das Komitee, das den Anti-Nobelpreis vergibt. Das englische Wort „ignobel“ bedeutet so viel wie „unwürdig“. Ihre zweifelhafte Ehrung begründeten die Spötter so: Die Psychologen hätten „tausend Lügner befragt, wie oft sie lügen, und dann ermittelt, ob man diesen Antworten glauben könne“.
Das Urteil aus Harvard betrachtet die Arbeit von Kristina Suchotzki und Kollegen mit einem heftigen Augenzwinkern. Kristina Suchotzki erklärt: „Das Ig-Nobelkomitee hat einen sehr, sehr kleinen Aspekt unserer Arbeit aufgegriffen. Den Fragebogen über die Häufigkeit von Lügen haben wir mitlaufen lassen als einen Ansatz unter vielen. Der stammt aber nicht von uns und wurde schon von anderen Wissenschaftlern verwendet.“
Mit witzigem Fragebogen
Wissentlich also hat sich das Vergabekomitee dumm gestellt. Ärgert das eine redliche Forscherin? Nein, die gebürtige Bad Neustadterin kann „gut verstehen, was man an diesem Fragebogen witzig finden kann“. Erst bei der Auszeichnung erfuhr die Würzburger Forscherin von der Existenz eines Ig-Nobelpreises. Und war überrascht, welches Echo der hervorruft. „Als Wissenschaftler wurstelt man in der Regel jahrelang vor sich hin. Da ist es schön, wenn man plötzlich mal größere Aufmerksamkeit bekommt.“ Außerdem sei der Preis ja nicht böse gemeint. Er krönt wissenschaftliche Erkenntnisse, die „erst zum Lachen und dann zum Nachdenken anregen“, sagt Suchotzki. Die Preise sollen „das Ungewöhnliche feiern und das Fantasievolle ehren“, schreibt die Jury selbst.
Was wissenschaftlich wirklich geschah: Die Forscher befragten – übrigens im Amsterdamer Wissenschaftsmuseum – 1000 Personen zwischen sechs und 77 Jahren zum Thema Lüge. Was sie wissen wollten: Wie entwickelt sich die Fähigkeit zu lügen über die gesamte Lebensspanne hinweg? Und wie häufig lügen eigentlich Menschen am Tag? Abweichend von der Kurzdarstellung aus Harvard so: Die Psychologen maßen Zeitverzögerungen beim wissentlichen Lügen, das heißt die „Reaktionshemmung“, wenn jemand seinen „Wahrheitsimpuls zurückhalten muss“. Es ging also um die Fähigkeit zu lügen und die Selbsteinschätzungen, wie oft man am Tag lügt – alles nach Altersschichten gestaffelt.
Es zeigte sich, dass junge Erwachsene nicht nur die besten Lügner sind, sondern auch am meisten lügen. Mit steigendem Alter nimmt die Neigung zum Wahrheitsverbiegen überraschend ab, obwohl der reifere Mensch ja nun im Lügen geübt ist.
Das Ganze ist keineswegs so skurril wie das Anti-Nobelpreis-Komitee suggeriert: „Wir betreiben Grundlagenforschung. Bei der Auswertung von Lügendetektoren geht man bisher meist davon aus, dass man beim Lügen nervöser wird“, sagt Suchotzki. „Es gibt aber Hinweise darauf, dass Lügen einfach anstrengender ist, als die Wahrheit zu sagen.“ Der Grund dafür: Bei der Suche nach einer Antwort legt sich das Gehirn zunächst die wahre Antwort zurecht. Wer also lügen will, muss verhindern, dass er diese Antwort ausspricht – ein Konflikt entsteht, dessen Lösung Energie kostet. „Gerade kleine Kinder schaffen dieses Zurückhalten häufig noch nicht“, sagt Kristina Suchotzki. Sie hofft, dass die Lügenforschung künftig zur wissenschaftlich fundierten Interpretationen der Lügendetektion beitragen kann.
Wie viel lügt der Mensch?
Und wie viel lügt der Mensch nun am Tag? Laut Studie im Durchschnitt zwei Mal. Zumindest ist das der Durchschnitt aus den 1000 Antworten. Der Spitzenwert: bis zu 16 Lügen am Tag. Bei der Preisverleihung in Boston konnte die Würzburger Forscherin nicht dabei sein. Kristina Suchotzki war just zu der Zeit zwar in den USA, musste aber an einem Kongress teilnehmen und konnte ihr Fünftel Lorbeerkranz nicht persönlich entgegennehmen. „Wenn man sich die Videos im Internet anguckt, ist das wirklich eine witzige Veranstaltung.“ Als Trophäe gab es in diesem Jahr eine Plastikuhr und zehn Billionen (Zimbabwe-) Dollar.