Schrecksekunde. Wo ist er? Der Putzeimer ist verschwunden. Ebenso der Wischer. Aufregung hinter der Bühne in den Mainfrankensälen.
Ines Procter hat an diesem Freitagabend gerade ihren Auftritt bei der Fastnachtsgala der Tanzsportgarde Veitshöchheim als fränkische Putzfrau beendet, einen kurzen Schwatz gehalten und einem Fan einen Schmatz auf die Wange gedrückt, als sie plötzlich innehält und bemerkt: Ihre wichtigen Requisiten sind weg.
Ist Nico daran schuld? Der junge Mann hat Ines Procter im Auftrag seiner Oma Helga einen Blumenstrauß überreicht und – so scheint es – damit aus der Fassung gebracht.
Der Fastnachtsstar mit violettem Kopfputz und hellblauer Schürze rennt hektisch den Gang auf und ab. Der nächste Auftritt steht an – in Erlabrunn. Dort, in dem Dorf, wo sie aufgewachsen ist, ein Auftritt ohne Eimer – und damit auch ohne die Klobürste? Das geht gar nicht. Nicht nur dort. Nirgendwo.
Der verräumte Putzeimer
Der Wischer ist schnell gefunden. Ines Procter hat ihn nach ihrem Auszug aus der Veitshöchheimer Sitzung neben die Türe gestellt – und vergessen. Und schnell stellt sich auch heraus, dass ein eifriger Helfer hinter der Bühne den Putzeimer in die Garderobe verräumt hat, als Nico sie mit seinem Blumenstrauß ablenkt. Erleichtert läuft Ines Procter zum Auto. Auf geht's nach Erlabrunn zu den „Narrekröpf“. Dort hatte sie 1987 ihren ersten Auftritt bei einem der „bunten Abende“. Da war sie 14 Jahre alt.
Das närrische Talent liegt in der Familie. Vorbild ist Vater Karl Muth. „Ich wollte so sein wie er und war fasziniert, wenn er die Leute zum Lachen gebracht hat“, erzählt die Tochter in der guten Stube im Haus ihrer Eltern in Erlabrunn. „Als Kind bin ich in den Keller, habe in seinen Unterlagen rumgekramt und seine Reden auswendig gelernt.“
In der Schule war sie der „Klassenclown“
Schon in der Schule sei sie der „Klassenclown“ gewesen. Aber in die Bütt gehen? Das galt eher als „uncool“. Andere hätte damals der Star-Schnitt der Zeitschrift „Bravo“ mehr interessiert. Sie will selbst einen von sich, sagt sie lachend. Das hat Ines Procter noch nicht geschafft. Aber was nicht ist . . .
Ihr Auftritt in Erlabrunn ist an diesem Abend natürlich ein Heimspiel. Die Begrüßung ist herzlicher, die Stimmung ausgelassener, der Applaus länger als in Veitshöchheim – auch die Pause zwischendurch, als sich eine der weiblichen Elferräte vor Lachen nicht mehr einkriegt. Ines hält inne, dreht sich gespielt verwundert zu ihr um. Mit unvorhergesehenen Dingen kann sie gut umgehen.
Die Klenne vom Muaths Karl
Anfangs hat sie auch ihre frechen Sprüche in Reimen vorgetragen – wie der Vater. Die erste Büttenrede hat er auf ihren Wunsch hin für sie geschrieben. „Meim Vadder sei Dochder“ heißt sie auf gut fränkisch. Auswendig trägt der 84-Jährige die ersten Zeilen vor. „Von alle denne, die mich nit kenne, vom Muaths Karl sei Weiber, bin ich die Klenne.“
Zwei Schwestern hat Ines Procter. Auch an ihnen ging der Fasching nicht vorbei. Sabine und Karin haben in der Garde getanzt. Doch nur „die Klenne“ zog es in die Bütt.
Anfangs hat Ines Procter die Reden des Vaters mit wenigen Änderungen übernommen. Später griff sie immer mehr ein, denn die Sprache muss ja zu ihr passen.
Ungefähr fünf Jahre lang war er ihr „Ghostwriter“. Als „Schmäh, aber ohne Verletzung“ charakterisiert Karl Muth seinen Stil. Er dichtet „mit Seele“ und malt auch gerne. Das Bühnenbild der „Narrenkröpf“ zum Beispiel stammt von ihm.
Dass er einst – wie sein Vater – den Beruf des Metzgers erlernte und nicht auf die Kunstakademie ging, hat er sich nicht ausgesucht. Das hat seine Mutter bestimmt. Auch sie habe eine künstlerische Ader gehabt, erzählt er. „Sie konnte gut schauspielern, auch privat“, sagt Ines Procter und verteilt noch einen kleinen Seitenhieb: „Wenn wir nicht so viel Humor hätten, würden wir es mit unserem Vater nicht aushalten.“
Nie ohne Schürze von Mutter Elfriede
Mit „wir“ ist auch ihre Mutter Elfriede gemeint. Sie ist die gute Seele im Hause Muth. „Sie hat für uns alle das Drehbuch gschriebe!“ So heißt es in einer Rede ihres Mannes mit dem Titel „22 Jahre Narretei“. Und von ihr stammt auch die Schürze, das Markenzeichen ihrer Tochter.
Ihr Mann steht seit einigen Jahren nicht mehr auf der großen Bühne. Das erledigt ja jetzt seine Tochter mit Bravour – aber in Prosa. „Das ist direkter“, so Ines Procter, mehr aus dem Leben gegriffen, „aber nicht direkt aus meinem Leben“, erzählt sie. Höchstens überspitzt dargestellt kommen Szenen aus dem Familienleben der Procters in Leinach vor. Etwa wenn sie in ihrer Rolle als Putzfrau einem „alleinerziehenden Vater mit zwei Kindern, von denen ich die Mutter bin“ etwas spenden möchte. Zur Faschingssaison ist Ines Procter an den Wochenenden wenig zu Hause. Sie hat jedoch die volle Unterstützung von Mann und Kindern – „die Gott sei Dank mit Fasching nicht viel am Hut haben“.
„Prosa“ schwebte ihr schon länger vor. Bis sie sich damit vor Publikum getraut hat, dauerte es eine Weile. Die Premiere war nicht an Fasching, auch nicht in Erlabrunn, sondern bei einer Nikolausfeier in Zell. Seither zieht sie „ungereimt“ von Ort zu Ort.
Bernhard Schlereth ruft an
Eines Tages rief sie Bernhard Schlereth an. Der Präsident des Fastnacht-Verband Franken lud sie zum Casting in den Hofkeller der Würzburger Residenz ein. 2013 schaffte Ines Procter es erstmals ins Fernsehen beziehungsweise in die „Närrische Weinprobe“, ein Jahr später gab sie bei „Fastnacht in Franken“ ihr Debüt. „Das war mein Ritterschlag.“ Es sei das Höchste, was man sich in Franken vorstellen könne. Auch 2018 wird sie dort mit der Klobürste wedeln und einem Mann mit wenig Haar „die Platte putzen“.
„Was, du bist schon da?“ Marion Schnabel schaut erschrocken. Die Regiemeisterin der Gilde Giemaul steht vor dem Radlersaal in Würzburg-Heidingsfeld, kurz Luft schnappen. Drinnen ist es voll, laut und warm. Der Ablauf des Abends liegt in ihren Händen. Auf die Minute genau ist auf ihrer Liste verzeichnet, wer wann auf die Bühne geht – oder gehen soll. Nicht immer läuft alles nach Plan.
Marion Schnabel läuft der „Putzfrau“ entgegen. Völlig nebensächlich ist in diesem Moment, dass Ines Procter mit ihrem Auto ein anderes eingeparkt hat. Sie ist von Erlabrunn nach Heidingsfeld gesaust. Unpünktlichkeit mag sie nicht, sagt sie. Ines Procter kommt lieber zu früh. Doch an diesem Abend ist sie viel zu früh dran.
Zwölf Auftritte an den Faschingswochenenden
Bis zu zwölf Auftritte hat sie an den Faschingswochenenden. Das erfordert ein gutes Zeitmanagement und auch Kraft. Flexibilität und Geduld gehören ebenfalls dazu.
Zwei Stunden wartet Ines Procter in Heidingsfeld auf ihren Auftritt. Den Zeitplan haben unter anderen die Würzburger Gäste, der KaGe Elferrat mit Prinzenpaar und Ranzengarde durcheinandergebracht. Wie lange der Besuch dauert, lässt sich nicht auf die Minute festlegen. Ein Tausch mit anderen Künstlern ist auch nicht drin. Also steht Ines Procter im schmalen Gang neben der Bühne und wartet. Und hört in der Zwischenzeit, was ihre Kollegen zum Besten geben.
Bis endlich ihr Auftritt angekündigt wird, ist es Samstag. Um zehn Minuten nach Mitternacht läuft Ines Procter noch einmal zur Hochform auf. Gut zwanzig Minuten später ist ihr Auszug. Sie ist müde. Marion Schnabel umarmt sie und entschuldigt sich noch einmal für die Verzögerung. Dann geht's ab ins Auto – und nach Leinach. Ins Bett.