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Gelchsheim
Unter dem neuen Dach des Hessenhauses steckt ein langes Stück Gelchsheimer Geschichte
Für Vesna Kalic ist das geschichtsträchtige Gelchsheimer Hessenhaus seit annähernd 40 Jahren ihr Zuhause.
Foto: Hannelore Grimm | Für Vesna Kalic ist das geschichtsträchtige Gelchsheimer Hessenhaus seit annähernd 40 Jahren ihr Zuhause.
Hannelore Grimm
 |  aktualisiert: 08.02.2024 21:48 Uhr

"Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen." Das Zitat, das Johann Wolfgang von Goethe seinem Faust in den Mund gelegt hat, gilt auch für Sebastian Fenner: Der 42-jährige Agraringenieur ist Besitzer des Hofguts Heil, das ihm sein Vater Jochen Fenner übergeben hat. Dieser wiederum übernahm es von seinem Vater Gerd Fenner (1925-2000) nach dem Tod von Susanne Heil (1867-1964), deren Mann, der Ökonomierat Georg Heil (1866-1921), im Jahr 1910 den Grundstein für die kommenden Erben gelegt hatte.

Wenn es bei Goethe auch weiter heißt: "Was man nicht nützt, ist eine schwere Last", steht für den heutigen Besitzer fest, dass durch den Erhalt dieses Erbes eine gewiss nicht leichte Last auf seine Schultern gelegt wurde. Wie auf dem Hofgut selbst, fallen auch bei den unter Ensembleschutz stehenden Gebäuden unmittelbar neben dem Gelchsheimer Schloss immer wieder Renovierungsarbeiten an. 

Neben der wohl noch aus dem Mittelalter stammenden Zehntscheune, bei der vor einigen Jahren ein neues Dach fällig wurde, liegt der Zehntspeicher, bei dem ebenfalls das Dach teilsaniert werden musste.  An der Längsseite des wuchtigen Bauwerks steht ein kleines Gebäude, das seit Urzeiten den Namen "Hessenhaus" trägt. Die Dachsanierung des "Hessenhauses" hat jetzt Sebastian Fenner in Angriff genommen.

Alte Schuhe fanden sich unter dem Dach des Hessenhauses

Bei den umfangreichen Erneuerungsarbeiten, bei denen der Besitzer die Zimmerleute tatkräftig unterstützte, ließen sich kaum Spuren aus der langen Vergangenheit finden. Außer Schuhen. Und davon jede Menge. Zu dem Schuhwerk, das unter dem desolaten Dach ans Tageslicht kam, zählen mit dicken Nägeln beschlagene Treter ebenso wie grob gearbeitete Frauen- und Kinderschuhe. Warum sie dort hingekommen sind, weiß heute niemand mehr. 

Der  Blick von der Hirtengasse aus zeigt das Hessenhaus mit dem angrenzenden uralten Speichergebäude.
Foto: Hannelore Grimm | Der Blick von der Hirtengasse aus zeigt das Hessenhaus mit dem angrenzenden uralten Speichergebäude.

Mit dem neuen Dach, das verbunden ist mit einem beachtlichen finanziellen Aufwand, erhält der junge Besitzer nicht nur eines der ältesten Gebäude in der Marktgemeinde, sondern auch eines, hinter dem eine Jahrhunderte alte Geschichte liegt.

Wie alt es ist, das Hessenhaus, das lässt sich nur erahnen. Erkennen lässt es sich bereits auf einer, vermutlich aus dem 17. Jahrhundert stammenden Gelchsheimer Ortskarte, die im Hofgut Heil ihren Platz hat. Der Name "Hessenhaus" ist zurückzuführen auf die Menschen, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus ärmeren hessischen Gegenden zugezogen sind, um auf dem Gutshof als Landarbeiter ihr Auskommen zu finden.

Hessische Landarbeiter gaben dem Haus seinen Namen

Bereits bevor nach mehrmaligen Besitzerwechsel im Jahre 1870 Jakob Horsch und Johannes Landes das Anwesen gepachtet und die großflächige Landwirtschaft betrieben haben, siedelte das Ehepaar Andreas und Gertrud Wald aus seiner angestammten Heimat im osthessischen Weiperz nach Gelchsheim um. In einer der zwei Wohnungen in dem kleinen Häuschen lebten die Eheleute mit ihrer mehrköpfigen Kinderschar.

Wie die uralten Schuhe in verschiedenen Größen unter das Dach des Hessenhauses gekommen sind, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.
Foto: Hannelore Grimm | Wie die uralten Schuhe in verschiedenen Größen unter das Dach des Hessenhauses gekommen sind, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.

Aus den alten Dokumenten, die Elfie Wald von den Vorfahren ihres Mannes Benno Wald aufbewahrt hat, geht hervor, dass die Mitglieder dieser Familie Wald sich im Laufe der Jahrzehnte in alle Winde verstreut haben. Lediglich den letztgeborenen Georg Adam Wald, der 1885 im Hessenhaus zur Welt kam, hielt es in der Gemeinde.

Er erwarb später ein unweit seines Geburtshauses liegendes kleines Anwesen. Dieses Haus, das seit einigen Jahren aus dem Dorfbild verschwunden ist, übernahm später sein 1914 geborener und 2005 verstorbener Sohn Georg Johann Wald. Besser bekannt war er als der "Wald Schorsch", Betreiber der Milchsammelstelle, die über lange Zeit hinweg die Kommunikationsstelle für den Ort war.

Zu den Familien der "Heilsarbeiter", wie die Bewohner des Hessenhauses genannt wurden, zählten auch Josef und Magdalena Rupp. Der aus Wachbach bei Bad Mergentheim stammende Josef Rupp, der bereits als Kind zu Verwandten mütterlicherseits nach Gelchsheim gekommen war, und seine in Bütthard gebürtige spätere Frau waren zunächst als Knecht und Magd bei örtlichen Bauern beschäftigt.

Ein früherer Bewohner des Hessenhauses erinnert sich

Nach der Heirat im Jahre 1936, als beide auf dem Hofgut Heil Arbeit gefunden hatten, zog das Ehepaar in das Hessenhaus ein. In der Wohnung wurde 1941 nach zwei älteren Schwestern und einem älteren Bruder auch der Sohn Manfred Rupp geboren und ist hier aufgewachsen. Wie sich der heute 81-Jährige zurückblickend an die Kindheit und Jugend erinnert, ging es "ziemlich eng zu" in der Wohnung mit der Küche, zwei Schlafräumen und einer kleinen Abstellkammer.

Auf Schuhe aus längst vergangener Zeit stieß Sebastian Fenner bei der  Dachsanierung des Hessenhauses.
Foto: Hannelore Grimm | Auf Schuhe aus längst vergangener Zeit stieß Sebastian Fenner bei der Dachsanierung des Hessenhauses.

Geheizt wurde mit dem Ofen in der Küche. Das Wasser, auch zum Baden in der Blechwanne, wurde von der Pumpe im Hof geholt und der "Abort" im Freien benutzt. Der Zugang zu einem Teil des kleinen Kellers befand sich im vorderen Teil des Hauses, in dem zeitweise auch Menschen ohne verwandtschaftliche Verbindung zusammen gelebt haben. 

Wie sich der einstige Bewohner erinnert, war es in den Wintermonaten sehr kalt im Hessenhaus. Besser war es, wie er erzählt, im Sommer, als sich das Leben vor allem im Hof abgespielt hat. In einem Anbau im Hof hielt die Familie neben den Hühnern auch zwei Schweine. Eines davon wurde immer verkauft, eines für die Eigenversorgung geschlachtet. 

Mit dem Bau ihres eigenen Hauses ging für Manfred Rupp und seine Eltern die Zeit im Hessenhaus 1965 zu Ende. In diesen Jahren wurde auch eine Wasserleitung, sanitäre Einrichtungen und eine Heizung in dem Häuschen eingebaut, das fortan von wechselnden Mietern bewohnt wurde. Für Vesna Kalic und ihren inzwischen verstorbenen Mann Fadil (Tado) Kalic sowie ihre drei Kinder nahm das Leben im Hessenhaus im Herbst 1984 seinen Anfang.

Vesna Kalic will das Hessenhaus mit keiner anderen Wohnung tauschen

Die vordere Wohnung, die zunächst eine Zeit lang von dem damals im Schloss betriebenen Heim für Rollstuhlfahrer als Vorratslager genutzt worden war, wurde für Vesna Kalic ein Zuhause, das sie, wie sie sagt, für keine "moderne" Wohnung aufgeben würde. Noch heute erinnert sie sich, wie glücklich sie war, als ihr der damalige Hausherr Gerd Fenner den großen Schlüssel für die uralte Haustür überreichte. Ihre gemütliche Wohnung mit Küche, Wohnzimmer und Bad sowie den vier kleinen Zimmern, die sich im Obergeschoss über die gesamte Länge des Hessenhauses ziehen, findet sie, wie Vesna Kalic sagt, noch heute sehr reizvoll. 

Nach den Verbesserungsmaßnahmen im Haus und Hof im Laufe der Jahrzehnte und der kürzlich erfolgten Innenrenovierung mit den neuen Böden sowie der Erweiterung der mit Gas betriebenen Heizung kann sich die Mieterin auch nach annähernd 40 Jahren nicht vorstellen, irgendwo anders zu wohnen als unter dem Dach des uralten Hessenhauses. Da in die zweite Wohnung vor drei Jahren die Schwester von Vesna Kalic mit ihrem Mann eingezogen ist, bleibt es lebendig unter dem Dach des uralten Hessenhauses. 

 
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