
Raus aus dem Gymnasium, rein in die Uni: Viele Abiturienten sind unsicher, was sie studieren sollen. Die Uni Würzburg entwickelt Online-Selbsttest als Hilfestellung.
Mathe oder Informatik? Bio oder doch vielleicht besser Chemie? Mit dem Abi in der Tasche haben junge Menschen die Qual der Wahl. „Allein an der Uni Würzburg gibt es über 150 Studiengänge“, sagt Johannes Böhnlein von der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Würzburger Hochschule. Um Studierenden zu helfen, eine gute Wahl zu treffen, entwickelt Böhnlein zusammen mit zwei Kollegen unter Leitung von Psychologieprofessor Wolfgang Schneider Online-Tests zum Selbermachen.
Bisher sechs Fächer per Test zu checken
2015 ging der erste Test online, inzwischen sind sechs Fächer abgedeckt: Wirtschaftswissenschaft, Informatik, Mathematik, Lehramt, Biologie und Chemie. Außerdem gibt es einen allgemeinen Interessenstest, den viele junge Leute vorschalten, bevor sie sich in einen fächerspezifischen Test einklicken. „Allein der Interessenstest wird rund tausendmal im Monat genutzt“, sagt Böhnleins Kollegin Lorena Fleischmann. Wie rege die fachspezifischen Tests in Anspruch genommen werden, schwankt saisonal. Nach dem Abi schnellt die Nutzerkurve in die Höhe. Beginnt das Semester, sinkt sie etwas ab.
Wie schwer es ist, sich nach dem Abi für ein Studium zu entscheiden, hat Fleischmann selbst erlebt. Vor zehn Jahren stand die 27-jährige Psychologin vor der Frage, was sie beruflich einmal machen möchte. „Problematisch ist, dass viele Studiengänge ähnliche Namen haben“, sagt sie. Allein das Fach „Psychologie“ ist unterteilt in viele verschiedene Zweige – angefangen von Arbeits- und Organisationspsychologie bis hin zur Rechtspsychologie.
Tests auf Studienangebot in Würzburg zugeschnitten
Durch die Online-Selbsttests erfahren Studieninteressierte nicht nur, welche Kompetenzen sie für ein bestimmtes Fach mitbringen müssen. Die Tests heben konkret auf die Schwerpunkte des Fachs an der Uni Würzburg ab. Würzburger Biologen zum Beispiel beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie sich Insekten orientieren. Etwa, um zu Futterplätzen zu finden. Wie geschieht das wohl?
So lautet eine Aufgabe im Biologie-Test. Viele Insekten, erfahren die Testnutzer, orientieren sich am Stand der Sonne. Der Afrikanische Mistkäfer allerdings verwendet in mondlosen Nächten das Lichtband der Milchstraße, um seinen Weg zu finden.
Gute Englisch-Kenntnisse als Voraussetzung für Biologie
Bei bestimmten Studienfächern gibt es Grundvoraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um eine realistische Chance zu haben, die ersten Semester zu bestehen. „Wer Wirtschaftswissenschaften studiert, muss sehr gut in Mathe sein“, erläutert Johannes Böhnlein. Das mag noch einleuchten. Aber wer ahnt, dass es ohne exzellente Englischkenntnisse schwierig wird, ein Bio-Studium zu bestehen?
Im Selbsttest erfahren die Nutzer, dass nur die Basislehrbücher auf Deutsch geschrieben sind. Ansonsten ist nahezu die komplette Fachliteratur auf Englisch. Auch Masterprogramme werden zunehmend in englischer Sprache angeboten.
Test sollen aufklären, nicht abschrecken
Je nach Test dauert es etwa eine halbe Stunde, um sich durch alle Infos und Aufgaben zu klicken. Manchmal kann es abschreckend wirken, zu erfahren, wie hoch die Anforderungen des jeweiligen Fachs sind. Gerade deshalb bemühte sich das Team um Entwicklungspsychologen Schneider, die Tests so zu gestalten, dass Neugier, Lust und Motivation am Studium des Fachs nicht abhandenkommen. Was eine Gratwanderung bedeutet. Die Entwicklung der Tests ist aus diesem Grund äußerst aufwändig. Im Durchschnitt wird an jedem Test zwei Jahre lang getüftelt.
Am Anfang stehen Interviews mit Studierenden und Dozenten: Was muss jemand nach deren Ansicht mitbringen, um ein bestimmtes Fach zu studieren? Dieser Prozess wurde soeben nach einem Jahr für das Fach Jura abgeschlossen.
Hohe Frustrationstoleranz bei angehenden Juristen gefragt
Interessantes kam laut Böhnlein dabei heraus. So müssen Neulinge in diesem Studienfeld strukturiert denken können. Außerdem brauchen sie eine hohe Frustrationstoleranz. Werden sie doch sehr früh mit hochkomplexen Texten konfrontiert, die beim ersten Durchlesen reichlich unverständlich wirken.
„Schließlich sollten angehende Juristen eine kognitive Landkarte besitzen“, ergänzt Lorena Fleischmann. Sie müssen zwar keine Gesetzeswälzer auswendig lernen. Aber mit Hilfe dieser inneren „Landkarte“ sollten sie wissen, wo sie welches Gesetz finden.
Physik-Selbsttest noch in der Erarbeitung
Vor allem für jene Studienfächer, in denen viele Anfänger die ersten Hürden nicht schaffen, werden die Online-Selbsttests entwickelt. Hierzu gehört auch die Physik. Den Spagat zu schaffen, auf der einen Seite die Anforderungen aufzuzeigen, auf der anderen Seite die Lust am Studium zu erhalten, stellt sich hier als besonders herausfordernd dar. „An diesem Test arbeiten wir bereits seit drei Jahren“, so Schneider.
Durch die akribische Vorgehensweise unterscheiden sich die Tests, die in der Begabungspsychologischen Beratungsstelle entwickelt werden, von Online-Tests anderer Hochschulen. „Teilweise ist die Testentwicklung in der Marketing-Abteilung der Unis angesiedelt“, so Böhnlein.
Quote der Studienabbrecher zu senken?
In nur wenigen Wochen werden die Selbsteinschätzungen entwickelt. Doch ob es auf diese Weise gelingt, jungen Menschen zur Orientierung zu verhelfen und die Quote der Studienabbrecher zu senken, erscheint dem Würzburger Team fraglich. Weshalb man hier von den selbstgewählten, hohen Standards bei der Testentwicklung nicht abrückt.
Apropos Studienabbruch: Ist es wirklich ein Drama, nach einem oder zwei Semestern festzustellen, dass ein Fach doch nicht das richtige ist? Das, sagt Wolfgang Schneider, kommt darauf an, mit welchen Erwartungen ein junger Mensch ins Studium gestartet ist. War er stark davon überzeugt, dass er zum Beispiel der geborene Informatiker ist, was sich nach kurzer Zeit jedoch als Illusion entpuppte, kann das zu großem Frust führen. Solche Misserfolgserlebnisse, die an die Substanz gehen, wollen Schneider und sein Team vermeiden helfen.