Martin Dorn gibt alles, springt herum, singt sich die Seele aus dem Leib. Die Jungs neben und hinter ihm klampfen und trommeln, was das Zeug hält. Lied aus. Stille. So geht's an diesem Tag nicht nur den Würzburger Punkrockern Thunderkant, sondern auch den vier anderen Bands des Livestream-Festivals Umsonst & Drinnen in der Posthalle. Auf der Bühne, die sich noch The Bob Ross Effect, Zulu, Zeremony und Devil May Care teilen, ist alles wie immer, nur davor steht Niemand. So geht Konzert während der Corona-Krise.
"Eigentlich ist es für'n Arsch, aber besser als nichts", sagt Dorn, der mit seiner Gruppe das durchaus launige Projekt eröffnet. Und sich fühlt "wie ein Schauspieler bei der Generalprobe: Du spielst volle Pulle und keiner klatscht." Der 31-Jährige hatte sich den Sommer 2020 mit seiner Combo anders vorgestellt: "Wir wollten ein Stück weit voran kommen und uns mit Live-Auftritten für Festival-Slots empfehlen." Unter anderem beim Umsonst & Draußen - geblieben sind nur die drei Zeichen U&D, immerhin, dank der Initiative des Fördervereins zur Unterstützung der kulturellen Vielfalt der Posthalle und Vereins des Umsonst & Draußen Festivals.
Seit Mitte März hat die Corona-Pandemie der Veranstaltungsbranche das Licht ausgeknipst. Anhaltend, während andere Wirtschaftszweige hochfahren. "Mir wurde quasi Berufsverbot erteilt", bringt Posthallen-Betreiber Jojo Schulz auf den Punkt, was für Musiker, Bühnen-Techniker und Konzertveranstalter gleichermaßen gilt. Die Krisen-Maßnahmen hielt er für richtig, erwartet nun aber für den Sektor Kultur deutliche Lockerungen. Künftig dürfen 100 Personen in eine Halle, 200 zu einem Open Air - zu wenig, um in den Gewinnbereich zu kommen. Zu viele Beteiligte verdienen an einem Konzert mit.
Posthalle kurzzeitig vor dem Aus
Schulz hatte im Mai in Erwägung gezogen, "den Stecker zu ziehen", das Kapitel Posthalle zu beenden, ehe es 2023 wegen des bevorstehenden Abrisses ohnehin Geschichte sein wird. "Ich traue mir jedoch zu, bis Jahresende durchzuhalten. Auf Pump." Die große Variable danach: "Das Konsumverhalten der Menschen. Viele werden erst einmal sparen." Trotzdem glaubt Schulz daran, dass ab Januar die Kulturszene Wiederauferstehung feiern könnte. Und vielleicht, wenn keine zweite Welle Deutschland im Herbst erreiche, seien ab September (am 10. ist der Ersatz für den im März ausgefallenen New-Roses-Auftritt geplant) "wieder Hallen-Konzerte mit 500 Personen denkbar".
Damit könne eine Location wie die Posthalle, in die jährlich normalerweise 200 000 Fans kommen, zumindest die Kosten decken. Das wäre am Samstag beim Umsonst & Drinnen mit den zu diesem Zeitpunkt noch erlaubten 50 Besuchern nicht möglich gewesen, weshalb es Schulz beim Livestream-Konzept belassen und ohnehin Schwierigkeiten hatte, den Bands einen kleinen finanziellen Beitrag zu gönnen. Immerhin: Rund 500 Euro an Spenden kamen über den Online-Verkauf für freiwillige Tickets zusammen, die Stadt Würzburg beteiligte sich mit 1000 Euro. Und ein paar Sponsoren waren auch an Bord.
Für Dorn und Thunderkant war eher der zweifelsohne vorhandene Spaß, denn das Taschengeld ausschlaggebend. Und: "Wir wollten mithelfen, für die Kulturszene ein Zeichen zu setzen. Denn uns Künstlern wird längst nicht so viel geholfen, wie es die Politik vorgibt." Immerhin habe die Kultur, so der hauptberufliche Sozialpädagoge, großen Anteil daran gehabt, "den Lockdown erträglich zu gestalten. Was hätten all die Menschen ohne Musik und Filme gemacht?"
Auftritte, die per Livestream via Handy oder am Fernseher mitverfolgt werden, sind für Dorn kein Konzert-Ersatz. "Das steht 1:1 auch später abrufbar im Netz, womit wollen wir Zuschauer dann noch überraschen? Und so Viele schauen sich das nicht am Bildschirm an. Den romantischen Gedanken, dass Cliquen zu Hause bei Rotwein einen Konzertabend machen, kannst du vergessen." Phasenweise waren rund 100 User live dabei. Aber, so Dorn: "Konzerte sind dazu da, dass im Publikum getanzt, gesungen, geknutscht, getrunken und geklatscht wird. Und Jahre später fragt man seinen Kumpel: Weißt du noch, damals?"
Teufelskreislauf in der Event-Branche
Schulz, der stetig mit Veranstalter-Kollegen in Videokonferenzen Exit-Strategien tüftelt, traut Livestreams oder Autokonzerten trotz des aktuellen Fun-Faktors keine lange Haltbarkeitsdauer zu. "Die Gesellschaft ist extrem eventorientiert." Sicherheit hätten nur die Branchenriesen, Events wie Rock im Park (80 000 Fans) würden weiter mit Superstars die Massen locken können, für kleine Festival-Veranstalter indes rasch die Produktionskosten zu hoch. Veranstalter mittelgroßer Festivals wie dem Summer Breeze in Dinkelsbühl (40 000) verlören, weil sie sparen müssen, beim Verzicht auf namhafte Headliner bis zu 15 000 Besucher oder locker zwei Millionen Euro - und würden zu Kleinen der Zunft. Ein Teufelskreis.