Der Knall war ein Knaller: Weil der Funkkontakt zu einem Ferienflieger aus Ägypten abgerissen war, stiegen zwei Eurofighter der Bundeswehr-Alarmrotte aus Neuburg an der Donau und durchbrachen bei ihrer Aufholjagd die Schallmauer. Das laute Geräusch war kilometerweit zu hören und beunruhigte viele Menschen in der Region Mainfranken. Viele hatten Schwierigkeiten, die Knalle einzuordnen und fürchteten, es können sich um einen Terroranschlag oder eine Explosion handeln. Auf der Suche nach einer Erklärung wandten sich besorgte Bürger an die Polizei. „Bei uns kam es deshalb zu einer gesteigerten Anzahl von Anrufen“, sagt Hauptkommissar Fabian Hench von der Pressestelle der Polizei Unterfranken.
Atmung und Puls beschleunigen sich
Dieses Verhalten sei ganz normal, sagt Diplom-Psychologin Ulrike Lüken vom Zentrum für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Würzburg.
„Wenn wir ein unbekanntes Geräusch hören, fragen wir uns zunächst, was ist das und ist das überlebensrelevant?“ Wird eine Gefahr erkannt, setzt ein natürlicher Verteidigungsmechanismus ein, die Atmung und der Puls beschleunigen sich, der Körper bereitet sich darauf vor, entweder zu kämpfen oder zu flüchten. Dieser gesunde Urinstinkt sei so zu sagen unsere „innere Alarmanlage“ und lasse sich bei Tieren genauso beobachten. „Der Instinkt wird aber immer erweitert durch individuelle Erfahrung. Wer vermehrt Gefahrensituationen oder allgemeiner Unsicherheit ausgesetzt ist, der reagiert möglicherweise sensitiver“, ergänzt Lüken.
Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg
Ältere Menschen, speziell in Würzburg, könnten sich durch den Doppelknall beispielsweise an die Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg erinnert gefühlt haben. „Solche Erlebnisse werden in unserem Furchtgedächtnis besonders lange gespeichert und lösen oft eine automatische Angstreaktion aus“, sagt die Expertin.
So komplex wie die menschliche Reaktion auf den Überschallknall ist auch seine Entstehung. Professor Peter Jakob vom physikalischen Institut der Universität Würzburg nutzt daher einen Versuch, um seinen Studenten das Phänomen zu erklären. Über einem flachen Wasserbecken lässt er senkrecht eine Düse montieren, die das Flugzeug symbolisiert. Die Düse stößt in regelmäßigen Abständen kurz Luft aus, sodass sich auf der Wasseroberfläche kreisförmige Wellen von der Düse weg bewegen. In solchen gleichmäßigen Wellen breitet sich auch der Schall um ein stehendes Flugzeug aus.
Physiker erklärt die Entstehung des Knalls
Bewegt man nun die Düse über der Wasseroberfläche langsam hin und her, sieht man, wie sich die Kreise verschieben. Vor der Düse verringern sich die Abstände zwischen den Wellen, dahinter werden die Abstände größer. Genauso verkürzt sich der Abstand der Schallwellen vor einem sich bewegenden Flugzeug. Je schneller die Bewegung, desto kürzer die Abstände vor dem Flugzeug. Im dritten Schritt bewegt Physiker Peter Jakob die Düse so schnell, dass sie ihre eigenen Wellen überholt. Die Wellen überlagern sich und bilden eine kegelförmige Wellenfront hinter der Düse, vergleichbar mit der Welle hinter einem Boot.
Fliegt ein Flugzeug mit Überschallgeschwindigkeit, also schneller, als die Schallwellen sich ausbreiten, dann überlagern sich die Schallwellen hinter dem Flugzeug genauso, wie die Wasserwellen hinter der Düse. „Das Flugzeug überholt die Schallwellen, die es selbst produziert“, erklärt Jakob.
Entlang der Wellenfront, die in der Fachsprache Machscher Kegel genannt wird, entsteht ein hoher Schalldruck. Überall dort, wo die Wellenfront auf Widerstand trifft, also etwa auf den Erdboden oder das menschliche Ohr, ist ein Knall zu hören. Der Überschallknall ist also kein einmaliges Ereignis, sondern ist entlang der gesamten Strecke zu hören, die das Flugzeug zurücklegt. Die Lautstärke des Knalls ist dabei abhängig von Geschwindigkeit und Größe des Flugzeugs und seiner Entfernung.
Geschwindigkeit von 1236,5 km/h
Bei welcher Geschwindigkeit das Flugzeug die sogenannte Schallmauer durchbricht, hängt auch von der Lufttemperatur ab. Eine Beispielrechnung: Bei 20 Grad Celsius müsste der Eurofighter 1236,5 Kilometer pro Stunde fliegen. Mit dem Hintergrundwissen aus Jakobs Versuch hätten viele Würzburger den Knall sicherlich einfacher einordnen können.
Um einen Fehlalarm der „inneren Alarmanlage“ als solchen zu erkennen, braucht der Mensch nämlich die Information, woher das Geräusch kommt, so Psychologin Ulrike Lüken. „Früher gab es viel mehr Überschallflüge über Deutschland, die Leute haben also sofort gewusst, woher der Knall kam und hatten weniger Angst.“
Flugzeug überholt seine eigenen Schallwellen
Physikprofessor Peter Jakob konnte das Geräusch über Würzburg sehr schnell als Überschallknall identifizieren. Dass es zwei Mal geknallt hat, hat jedoch auch bei ihm Fragen aufgeworfen: Ein Machscher Kegel entsteht nämlich nicht nur an der Spitze des Flugzeugs, sondern es entsteht immer auch ein zweiter Kegel am Heck. Wenn uns ein Flugzeug mit Überschallgeschwindigkeit passiert, knallt es also immer zwei Mal. In der Regel ist der Abstand zwischen Spitze und Heck des Flugzeugs und damit der zeitliche Abstand zwischen dem ersten und dem zweiten Knall aber so kurz, dass es sich für das menschliche Ohr wie ein einzelner Knall anhört. „Als ich den Doppelknall gehört habe, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder sind zwei Flugzeuge über Würzburg, oder aber ein sehr langes“, sagt Jakob.
Polizei hat gut reagiert
Die Polizei Unterfranken wusste indes, dass es sich um zwei Überschallflugzeuge handelte und reagierte ganz nach Empfehlung der Psychologin Lüken: Über ihre Social-Media-Kanäle klärten die Polizeibeamten über die Ursachen das Doppelknalls auf und versicherten den Bürgern, dass alles „in Ordnung“ sei. Das Vorgehen hat sich auch aus Sicht der Polizei bewährt. „Viele User erinnern sich an die Zeit, als so ein Überschallknall viel häufiger zu hören war. In den Kommentaren haben sich die Würzburger so aus eigener Erfahrung gegenseitig geholfen“, bewertet Polizeisprecher Hench die Reaktionen auf die Posts bei Facebook und Twitter.