zurück
Sonderhofen
Überflüssige Gemeinschaftsanlage: "Naus de Gefriertruhe" geht in Sonderhofen seit langem niemand mehr
In dem kleinen Häuschen ist die  Gemeinschaftsgefrieranlage in Sonderhofen untergebracht, deren Auflösung nun vorangetrieben wird.
Foto: Hannelore Grimm | In dem kleinen Häuschen ist die Gemeinschaftsgefrieranlage in Sonderhofen untergebracht, deren Auflösung nun vorangetrieben wird.
Hannelore Grimm
 |  aktualisiert: 26.12.2024 02:36 Uhr

Gemeinschaftsgefrieranlagen galten vor rund 70 Jahren als moderne Errungenschaft, auf die in den ländlichen Gegenden in Deutschland selbst kleinere Gemeinden wie Sonderhofen nicht verzichten wollten.

In der Zeit, in der nur wenige Menschen die Mittel besaßen, um sich eine Tiefkühltruhe anzuschaffen, boten diese Anlagen die Möglichkeit, Fleisch aus der Hausschlachtung sowie Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten einzugefrieren – und nicht mehr mühsam durch Sterilisieren, dem so genannten "Einkochen", haltbar zu machen.

In Sonderhofen waren es 32 Privatpersonen, die Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts daran gingen, in Eigenleistung ein Häuschen zu errichten, in dem 32 Tiefkühlfächer eingebaut wurden. Daneben fand sich in dem rund 100 Quadratmeter großen Gebäude der Platz für einen kleinen Vorkühlraum.

Eigene Gefriertruhen ersetzten die Gemeinschaftsanlage

Der Raum bot die Möglichkeit, das Fleisch der geschlachteten Schweine oder auch Kälber kurzfristig zum Auskühlen aufzuhängen,  bevor es zerlegt wurde. Für das Verpacken der portionierten Stücke ist ein Klapptisch an der Wand angebracht.

Nachdem im Laufe der vergangenen Jahrzehnte fast jeder Haushalt über Gefriertruhe oder -schrank verfügte und die Hausschlachtung in den Dörfern nahezu gänzlich verschwunden ist, wurde auch in Sonderhofen die gemeinschaftliche Gefrieranlage nicht mehr genutzt und geriet in Vergessenheit. Bis sich kürzlich Wolfgang Geißendörfer bei der Bürgerversammlung erkundigte, wie es weitergeht mit der Anlage, für die immer noch Grundsteuer bezahlt werden muss.

Auf dem Prüfbericht, den Heribert Neckermann (links) und Wolfgang Knorr aufstöberten, lässt sich ablesen, dass die Gefriertruhen rund 45 Jahre lang genutzt worden sind.
Foto: Hannelore Grimm | Auf dem Prüfbericht, den Heribert Neckermann (links) und Wolfgang Knorr aufstöberten, lässt sich ablesen, dass die Gefriertruhen rund 45 Jahre lang genutzt worden sind.

Die Rolle, die die Gefriertruhe einst auch als "Kommunikationszentrale" spielte, ist Wolfgang Knorr, der seit langem die Gemeinschaftskasse führt, noch im Gedächtnis. Ebenso wie Bürgermeister Heribert Neckermann, der sich noch gut daran erinnert, dass seine Mutter am Abend schnell noch "naus de Gefriertruhe" laufen musste, um aus dem Kältefach den Braten zu holen, den es am nächsten Tag zum Essen geben sollte.

Neben dem Blick in die tiefen Kühlfächer und den Kühlraum, an dem noch verrostete Haken hängen, stießen Heribert Neckermann und Wolfgang Knorr in einer Ecke auf ein vergilbtes Schriftstück. Das Blatt gibt Auskunft über die jährlichen Prüfungen, die mit Datum vom September 1955 begonnen und letztmalig im Februar 2000 verzeichnet sind.

Grundsteuer für das Häuschen wird immer noch bezahlt

Seitdem ist offensichtlich von der einstigen Errungenschaft ihrer Vorväter für die Nachkommen nur noch die Grundsteuer übrig geblieben. Diese wird von dem Gemeinschaftsguthaben bezahlt und hat sich laut Wolfgang Knorr drastisch auf jährlich 129 Euro erhöht.

Laut dem Kassenführer könnte mit dem noch vorhandenen Geld die Grundsteuer für die kommenden zirka zehn Jahre gedeckt werden. "Und danach geht die Diskussion über die Anlage von Neuem los", befürchtet Heribert Neckermann.

Das Problem bei der Auflösung liegt vor allem darin, dass zunächst alle 40 Anteilseigner einen Nachweis als Mitbesitzer an der Gemeinschaftsanlage erbringen müssen, bevor sie aus dem Grundbuch gelöscht werden kann. Bei den Bauern, so Heribert Neckermann, sei der Anteil ausnahmslos in den Übergabeverträgen geklärt.

In den Fächern in der Gemeinschaftsgefrieranlage herrscht seit langem Leere.
Foto: Hannelore Grimm | In den Fächern in der Gemeinschaftsgefrieranlage herrscht seit langem Leere.

Anders sieht die Situation aus bei denen, die ihren Anteil zwar übertragen bekommen, aber darüber keinen Nachweis haben. Wie der Bürgermeister erklärt, erschwert sich eine Auflösung dadurch, dass einige im Grundbuch eingetragene Anteilsbesitzer längst verstorben sind und andere teilweise entfernt wohnen.

Wie sich die Auflösung des Relikts aus der Vergangenheit am besten lösen lässt, darüber wird sich Heribert Neckermann zunächst beim Amtsgericht informieren. Eventuell, so der Bürgermeister, käme eine Teilungsversteigerung in Frage. Dabei wäre die Gemeinde bereit, das desolate, nicht nutzbare Gebäude zu ersteigern.

Bei der Teilungsversteigerung handelt es sich um ein öffentliches Verfahren, bei dem ein nichtteilbarer Gegenstand, meist eine Immobilie, auf Antrag eines Miterben zwangsweise an den Meistbietenden verkauft wird. Der Erbengemeinschaft, in diesem Falle den Anteilern an der Gemeinschaftsgefrieranlage, fließt dann der Erlös zu.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Sonderhofen
Hannelore Grimm
Amtsgericht Kitzingen
Braten
Eigenleistung
Gefriertruhen
Grundbücher
Grundsteuern
Heribert Neckermann
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Herbert Stapff
    Bei diesen Bildern sehe ich mich in die Kindheit versetzt. Oft wurde ich geschickt, um etwas Kaltes zu holen. Vor jeder Reihe standen Tritthocker, denn sonst konnte man nicht weit genug in die hohen Gefriertruhen langen. Einher geht damit auch das Procedere der Hausschlachtung, um Schweinehälften zu lagern, bis sie zur Weiterverarbeitung abgekühlt waren. In Thüringen wurde das Fleisch warm zur Wurst verarbeitet, bei uns nur abgekühlt.
    Gemeinschaftlich geführte Gefrierhäuser, Backhäuser, Brunnen waren in fast jedem Dorf zu finden. Wieviele davon gibt es noch in Unterfranken? Die Gemeinde sollte alles versuchen, dieses Gebäude als techn. Denkmal und Museum zu erhalten.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten