Wer hat in Deutschland eigentlich die politische Macht? Laut Grundgesetz: der Bundestag. Laut einer Umfrage unter Bundestagsabgeordneten: die Medien. Mit dieser Feststellung unterstrich Wolfram Weimer im Vogel Convention Center in Würzburg vor knapp 1000 Zuhörern den Einfluss, den Journalisten heutzutage auf politische Entscheidungsträger haben. Eingeladen hatte die Sparkasse Mainfranken unter der Überschrift „Die Macht der Medien“ – gerade in einer Zeit, in der der Ausdruck „Lügenpresse“ Hochkonjunktur hat, ein spannendes und spannungsgeladenes Thema. Redner Weimer, selbst Journalist, Verleger und ehemaliger Chefredakteur mehrerer großer Zeitungen und Magazine, machte aus dem ernsten Motto einen eher launigen Abend.
Unterhaltsame Anekdoten aus dem großen Polit-Zirkus hat der 50-jährige Weimer dafür genug auf Lager. So habe ihn eines Morgens ein Telefonanruf des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder aus der Dusche geholt. Weimer hatte gerade das Politmagazin „Cicero“ gegründet. Schröder schlug ein Treffen vor: „Es war dem Bundeskanzler so wichtig, dass ein neues politisches Medium entsteht, dass er von sich aus den Kontakt gesucht hat“, erklärt Weimer.
Im Laufe dieses Morgens hätten ihn weitere Spitzenpolitiker im Büro angerufen und um Treffen gebeten. „Alle wollten dabei sein.“
Schröder und die Beistelltische
Eine andere Geschichte Weimers zeigt aber, dass auch die Medien gerne über das Stöckchen der Politiker springen. Kaum einer verstand es wohl so gut wie der sogenannte Medienkanzler Schröder, die öffentliche Meinung zu seinen Gunsten zu steuern. Im Wahlkampf 2002 lud „Welt“-Chefredakteur Weimer Kanzler Schröder (SPD) und Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) zu einem Doppelinterview, das in Kooperation mit der „Süddeutschen Zeitung“ geführt werden sollte. Während Stoibers Mitarbeiter im Vorfeld lediglich wissen wollten, auf welche Fragen sie ihren Chef vorbereiten sollten, begann bei Schröder „ein Spiel um Inszenierung, Effekte und medialen Einfluss“, so Weimer.
Schröder interessierte laut Weimer, welcher Fotograf fotografiert und aus welchem Blickwinkel. Schröder sei es auch immer wichtig gewesen, dass Beistelltische auf Fotos möglichst klein sind – um selbst größer zu wirken. Und dann hatte sein Protokoll noch zwei Bitten: Stoiber sollte fünf Minuten vor Schröder zum Interview erscheinen – „der Kanzler wartet nicht auf seinen Herausforderer“, hieß es. Stoiber habe das ebenso akzeptiert, wie die Redaktion die zweite Bitte Schröders: einen roten Teppich vor dem Berliner Verlagsgebäude.
Während Stoiber über den roten Teppich und die Kamerateams, die dieser angezogen hatte, irritiert war und ins Gebäude huschte, machte sich Schröder laut Weimer beides zunutze: Der Kanzler sei winkend auf die Kameras zugegangen, habe den TV-Journalisten noch einige kurze Interviews gegeben, sich sogar ein Kind auf den Arm geben lassen – und verschwand dann im Verlagsgebäude. „Schröder hatte ein Ziel“, so Weimer. „Ein paar Sekunden in der Tagesschau als strahlender Wahlkämpfer.“ Aber auch andere Politiker wissen um die Macht der Bilder. So ließ sich Kanzlerin Angela Merkel etwa im feuerwehrroten Anorak vor einem schmelzenden Eisberg in Norwegen ablichten – die Geburt der „Klimakanzlerin“.
Laut Weimer habe sich Merkel extra für diesen Effekt von der norwegischen Regierung einladen lassen.
Aber die Politiker inszenieren sich eben nicht nur selbst, auch die Medien inszenieren sie, teils mit negativem Effekt für die Abgelichteten. Sie wirken unnatürlich, ihre Aktionen deplatziert oder einfach nur peinlich. Weimers Beispiele: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Morgengrauen mit in die Ferne gerichtetem Feldherrenblick vor einer Transall, die Richtung Irak abheben soll. Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg mit „Was-kostet-die-Welt-Geste“ am Times Square in New York, wo er doch eigentlich beim General-Motors-Konzern für die Rettung von Opel kämpfen sollte. Oder Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit mit einem roten Schuh von Sabine Christiansen aus dem er scheinbar Champagner trinkt.
Kritik an deutschen Medien
Die Ambivalenz wird klar: Politiker nutzen zwar bewusst die Macht der Bilder, um sich zu inszenieren oder sich ein bestimmtes Image aufzubauen. Doch die finale Kontrolle haben sie nicht. Denn die Macht über die Bilder, die liegt bei den Medien. Es sind schließlich die Macher in den Redaktionsstuben, die entscheiden, was gezeigt wird und was nicht. Die große Verantwortung, die die Medien dabei haben, ist, den schmalen Grat zwischen Inszenierung und Manipulation nicht zu überschreiten. Weimer kann sich einen kleinen Seitenhieb auf die deutschen Medien an dieser Stelle nicht verkneifen.
Auf der Leinwand erscheinen dazu Menschenmassen, die eine Fähre verlassen. Tausende Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Piräus. „In englischen Medien sehen Sie solche Bilder häufig“, erklärt Weimer. In Großbritannien habe man einen „kritischeren Blick auf den Integrationsstrom“. In Deutschland sehe man meist andere Bilder, solche die „geleitet sind von diesem Nachhall der Willkommenskultur“. Das Foto wechselt, zu sehen ist nun ein lachender Flüchtlingsjunge mit Deutschlandfahne.
Weimer will mit diesem Beispiel sensibilisieren. Doch eine Verallgemeinerung – das muss man wohl festhalten – wäre in diesem Zusammenhang auch nur die halbe Wahrheit. Die Bilder des Ansturms auf schon hoffnungslos überfüllte Züge in Mazedonien, von Fähren vor Griechenland, auf denen Menschen an die Reling gepresst wurden, und von schier endlosen Schlangen von Flüchtlingen, die vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales auf ihre Registrierung warten, wurden in deutschen Medien schließlich auch gezeigt. Gleichzeitig räumte „ARD aktuell“-Chefredakteur Kai Gniffke kürzlich ein: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass 80 Prozent der Flüchtlinge junge Männer sind.