Seit Anfang der Woche dreht die „Tatort“-Crew im Gasthaus Haas in Rockenbrunn. Keine zehn Häuser zählt der Weiler im Nürnberger Land. Die einzige Durchgangsstraße ist für den Dreh gesperrt, nur der Linienbus wird durchgewunken. Anwohnerin Monika Kohlert macht das nichts aus. „Endlich mal was los bei uns“, freut sie sich. „Die Schauspieler grüßen alle freundlich.“ Allüren hat sie nicht feststellen können beim täglichen Check am Gartenzaun. Jetzt hofft sie noch auf das eine oder andere Autogramm für ihre 89-jährige Mutter. „Die sitzt im Rollstuhl und ist ein großer ,Tatort'-Fan.“
Die Franken lieben ihren „Tatort“. Auch an der zweiten Folge ist das Interesse in der Region ungebrochen. 40 Medienleute sind zum Pressetermin nach Rockenbrunn gekommen. „Mehr als zu manch einem Hollywood-Film“, sagt Uli Putz, die Produzentin. „Wir sind überwältigt.“ Ihr Job heute ist es, zu organisieren, dass die Pressemeute nicht allzu viel beim Dreh durcheinander bringt. „Jeder Tag kostet Geld.“ Also heißt es: Fotos beim Proben ja, absolute Ruhe aber, wenn die Kamera läuft. „Und bloß nicht ins Bild laufen.
“Gerade inszeniert Regisseur Andreas Senn den Moment, in dem die Kommissare die Ermittlungen am Tatort aufnehmen. In einem heruntergekommenen Gasthof ist die Wirtin erwürgt worden. „Bleib etwas näher an den beiden anderen dran“, weist Senn seinen Hauptdarsteller Fabian Hinrichs (Hauptkommissar Felix Voss) an. Noch ein Probelauf, dann kommt die Szene in den Kasten.
Im richtigen Leben ist das Gasthaus ein beliebtes Ausflugslokal. Wirt Markus Haas hat es für den Dreh zur Verfügung gestellt. Den Verdienstausfall bekommt er entschädigt, die TV-Publicity nimmt er gerne mit. Dass die Fernsehleute das Wirtshaus deutlich „down gedressed“ haben, wie die Filmleute sagen, erträgt er mit Fassung. „Die Blumen mussten weg von den Fenstern. Den gammeligen Biergarten mit Plastikstühlen und hässlichen Betonsteinen haben wir eigens aufgebaut“, erklärt Stephanie Heckner, die zuständige Redakteurin beim Bayerischen Rundfunk (BR). Dass die Kneipe nicht mehr läuft, spiele im Drehbuch, so verrät sie, eine nicht unerhebliche Rolle.
Derweil warten Jan Kaczmierczak und Robert Eitel auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Beide haben je eine der begehrten Statisten-Rollen ergattert. Eitel wird mit seinem Retriever-Rüden entspannt durchs Bild spazieren, Kaczmierczak im Blaumann nahe dem Gasthaus eine Zigarette rauchen. Eigentlich, erzählt er, habe er Holz hacken sollen. „Die Szene wurde dann aus Sicherheitsgründen gestrichen.“ Das lange Warten stört die beiden nicht. „Es ist einfach spannend, so eine Fernsehproduktion mal live zu erleben.“ Auch Sonja Tille ist begeistert. Die Nürnbergerin hat die Traumrolle eines jeden Komparsen ergattert. „Ich bin die Leiche“, strahlt sie. Eine Stunde habe es gedauert, bis der Maskenbildner sie zur erwürgten Wirtin geschminkt hatte.
Matthias Egersdörfer (Spurensicherung-Chef Michael Schatz) ist der Rummel um den „Tatort“ hingegen, wie immer, eher suspekt. Ob es denn Freude mache, nach der erfolgreichen Premiere das Team wieder zu treffen. „Es ist schöner als eine Wurzelbehandlung“, antwortet Egersdörfer trocken. Auf dass wir gleich die beliebte Frage nach dem Fränkischen am Franken-„Tatort“ anschließen.
Über das Niveau solcher Fragen hatte sich Egersdörfer vor einem Jahr bei einer Pressekonferenz schon heftig aufgeregt. Nein, sagt er. Auch diesmal habe es am Set kein Schäufele gegeben, sondern „Risotto von fränkischen Reisbauern“. Alles klar.
Derweil gesteht die Berlinerin Dagmar Manzel (Hauptkommissarin Paula Ringelhahn), „Passt schon“, das höchste fränkische Lob, gehöre mittlerweile zu ihrem festen Sprachgebrauch daheim, wenn auch ohne weiches B. Und der Norddeutsche Hinrichs weiß mittlerweile, dass ein Brötchen in Nürnberg „Weckla“ heißt. Nächste Woche wird er umlernen müssen. In Würzburg heißen „Weckla“ nämlich „Kipf“.
In die Domstadt zieht die „Tatort“-Crew am Sonntag. Nach knapp drei Wochen in Mittelfranken stehen nun neun Drehtage in Mainfranken an. „Ich freue mich, ich mag so mittelgroße Städte“, sagt Hinrichs. Würzburg kenne er bislang noch nicht. Er habe aber gehört, die Stadt sei im Krieg schwer zerstört worden. Wieviel Zeit Hinrichs, Manzel und Co. zum Sightseeing bleibt, muss sich zeigen. Dass die Begeisterung um den „Tatort“ ähnlich groß sein wird wie in Nürnberg, davon können die Krimi-Macher ausgehen.
„Ich finde es einfach toll, dass Würzburg im ,Tatort' zu sehen ist“, sagt Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Augenzwinkernd fügt er hinzu: „Ich bin gespannt, welches Verbrechen man uns zutraut.“ Schuchardt erinnert an die positiven Erfahrungen, die die Stadt gemacht hat, als im Herbst 2010 Milla Jovovich, Orlando Bloom und Christoph Waltz hier das pompöse Hollywood-Remake der „Drei Musketiere“ drehten. Tagelang waren Residenzplatz, Hofgarten und zeitweise auch das Schloss selbst abgeriegelt. Auch an der Alten Mainbrücke und auf der Festung wurde gefilmt. Schließlich landete sogar ein Luftschiff vor der Residenz. Zahlreiche Schaulustige versuchten, einen Blick auf die Stars zu erheischen oder gar ein Autogramm zu bekommen. Viele Würzburger durften als Komparsen mitspielen.
Ganz so wild wird es beim „Tatort“ nicht werden. Kurzfristig könne es aber schon zu Straßen-Sperrungen kommen, sagt Rathaus-Sprecher Christian Weiß. Drehorte sind unter anderem die Festung Marienberg, wo Gerhard Weiler seitens der Schlossverwaltung keine Probleme erwartet, die Raststätte an der Autobahn und ein Privathaus. Außerhalb von Würzburg wird am Altmain bei Gerlachshausen (Lkr. Kitzingen) gedreht.
Eine Hauptrolle kommt dem Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Würzburg neben dem Juliusspital in der Koelikerstraße zu. Die Fernsehleute sind von der alt-ehrwürdigen Location ebenso begeistert wie von Professor Suleyman Ergün. Der Institutsleiter hat Drehbuchautorin Beate Langmaack beraten. Die Welt der Anatomie, das Forschen an den Toten, steht im Mittelpunkt des Franken-„Tatorts“ mit dem Titel „Das Recht sich zu sorgen“. Da gibt es die tote Wirtin, da gibt es aber auch den Schädel eines Unbekannten, den ein Doktorand in der anatomischen Sammlung der Uni Würzburg entdeckt. Ein Leitmotiv ist die Einsamkeit von Menschen. „Emotionales Kuddelmuddel“, verspricht Redakteurin Heckner.
Drehpause mit Beate Langmaack. Die Filme der 57-Jährigen sind vielfach preisgekrönt, sie hat 2010 einen Berliner „Tatort“ gedreht, dazu mehrere Folgen „Polizeiruf“ und „Bella Block“. In „Blaubeerblau“ (2011) hat sie sehr sensibel den Umgang mit dem Tod und dem Sterben thematisiert. Eine ähnliche Melancholie verspricht der Franken-„Tatort“.
Ausgangspunkt war eine eher zufällige Begegnung mit Gaby Rune, einer Hamburger Professorin für Neuroanatomie. Beate Langmaack: „Die Gespräche haben meine Neugierde geweckt. Einfach faszinierend, was in diesen Instituten geforscht wird, um die Heilungschancen der Medizin zu verbessern.“ Rune vermittelte schließlich auch den ersten Kontakt nach Würzburg.
Dass die Anatomie in Würzburg als „Forschungseinrichtung von Weltrang“ gilt, sei ein Glücksfall für den Franken-„Tatort“, sagt die Autorin, ebenso die „inspirierenden Erzählungen“ von Suleyman Ergün. So gehe der „fast schon poetische Vergleich“ der Herzklappe mit einem Rosenblatt, der im Drehbuch auftaucht, direkt auf den Würzburger Professor zurück. Auch in den Anatomie-Bau haben sich die Fernsehleute geradezu verliebt. Das 1883 eröffnete Institutsgebäude besticht unter anderem durch die wandhohen Fenster. „So hat man damals das Licht zum Mikroskopieren in die Labore geholt“, hat Stephanie Heckner erfahren. „Hier zu drehen ist etwas ganz Besonderes.“
Und was sagt Suleyman Ergün? Bevor der „Tatort“ nach Würzburg kommt, gönnt er sich ein paar Tage Urlaub in den Bergen. Auf Anfrage teilt die Universität mit, der Professor sei seit dem Frühjahr im intensiven Gespräch mit der „Tatort“-Redaktion. Das Drehbuch habe Ergün frühzeitig lesen können und mitgeholfen, „bestimmte Szenen zu präzisieren“. Die Zusammenarbeit sei „sehr gut“ gewesen. Man freue sich nun auf die Dreharbeiten. Die kleineren Beeinträchtigungen des Forschungsbetriebes ließen sich derweil „voll kompensieren“.