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KÜRNACH
Tornado zieht Schneise der Verwüstung durch Kürnach
Die Menschen sind erleichtert, dass bei dem Tornado in Kürnach niemand verletzt wurde. Und Bürgermeister Thomas Eberth ist stolz auf die große Hilfsbereitschaft im Ort.
Foto: Berthold Diem | Die Menschen sind erleichtert, dass bei dem Tornado in Kürnach niemand verletzt wurde. Und Bürgermeister Thomas Eberth ist stolz auf die große Hilfsbereitschaft im Ort.
Traudl Baumeister
Traudl Baumeister
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:37 Uhr

Erst am Morgen danach wagt sich in Kürnach (Lkr. Würzburg) Ernst Weber vorsichtig aus dem Haus, um die Schäden auf dem Dach zu begutachten. Der alte Herr ist nicht mehr so gut zu Fuß und noch geschockt von den Geschehnissen am Abend zuvor. „Ich bin jetzt 82 Jahre alt. Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt er und schüttelt den Kopf. Er meint den Tornado. Immer wieder blickt er auf das Hausdach der Nachbarn, das der Wirbelsturm beinahe komplett abgedeckt hat. In der Theodor-Heuss-Straße in Kürnach, einer Seitenstraße der Prosselsheimer Straße, hat der Sturm am späten Donnerstagnachmittag eine ein Kilometer lange Schneise der Verwüstung geschlagen.

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53 Häuser sind beschädigt

Am Freitagmittag sind in der 5000-Einwohner-Gemeinde neun Kilometer nördlich von Würzburg die Bagger zu hören, die für die Aufräumarbeiten benötigt werden. Feuerwehrautos fahren durch die Straßen. Die Spur des Tornados zieht sich durch den Ort. Laut Feuerwehr gab es insgesamt Schäden an 53 Häusern und auf 85 Grundstücken. Verletzt wurde wie durch ein Wunder niemand. Noch in der Nacht begannen die Aufräumarbeiten, die Einsatzkräfte der Feuerwehr waren sofort zur Stelle. Zusammen mit Dachdeckerfirmen und Nachbarn wurde zumindest notdürftige Schadensbegrenzung betrieben.

„Niemand musste evakuiert werden, das ist der guten Koordination und der großen Hilfsbereitschaft zu verdanken“, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Sieglinde Bayerl.

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Bürgermeister verteilt Pizzen

Mit vereinten Kräften werden Bäume zersägt, Dächer ausgebessert und Trümmer aufgesammelt. Das Geräusch von Ziegeln, die in Container geworfen werden, ist allgegenwärtig. Eine Anwohnerin erzählt: „Wir haben schon morgens um 6.30 Uhr angefangen. Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Das Dach haben wir gestern Nacht noch abgedichtet. Rein geregnet hat es trotzdem.“ In ihrem Garten ist ein Trampolin gelandet, das ihr nicht gehört. Der Gartenzaun ist zerfetzt, und neben dem Haus liegt der Dachfirst. Die Stellen, an denen Dachziegeln fehlen, sind mit Planen vernagelt. Aber es geht voran, Anhänger voller Äste und Schutt werden abtransportiert. Über die Entsorgung müssen sich die Anwohner keine Sorgen machen, die Trümmer werden vom örtlichen Wertstoffhof angenommen.

Der Zusammenhalt der Kürnacher ist überall spürbar. Die Straße ist gesäumt von Firmenwagen der Dachdeckerfirmen aus der Umgebung, die Bauhofmitarbeiter unterstützen die Betroffenen. Bürgermeister Thomas Eberth trägt seine Feuerwehrjacke über dem Hemd und verteilt Pizzen an die Einsatzkräfte. Ganz selbstverständlich helfen Nachbarn und andere Anwohner, alle Kräfte werden mobilisiert.

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Erste Schadensschätzung: Hoher sechsstelliger Betrag

Als das Unglück vorüber ist, zieht Ebert eine erste Bilanz. „Ich bin erleichtert, dass wir keine Verletzten zu beklagen haben“, sagt der Bürgermeister, der vor allem den Rettungskräften und allen Helfern große Anerkennung zollt: „Es war hervorragend, wie die Dorfgemeinschaft funktioniert hat“. Die Dimension des Schadens lasse sich schwer beziffern, Eberth geht derzeit von einem „hohen sechsstelligen Betrag aus“.

Die Hilfsbereitschaft lobt auch der Kürnacher Martin Falger, einer der Feuerwehrleute in der Nacht und gleichzeitig auch Kreisbereitschaftsleiter des Bayerischen Roten Kreuzes. „Das war der Wahnsinn. Freunde, Bekannte oder Nachbarn waren schnell zur Stelle. Junge haben Alten geholfen, Handwerker den Verwaltungsangestellten, das war gigantisch.“

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BRK verpflegte die Helfer in der Nacht

Das BRK war nicht nur mit einem Rettungswagen vor Ort, sondern auch mit einer Verpflegungsstation, die Tee, Kaffee, belegte Brötchen oder Butterbrezeln an die Helfer verteilte. Beteiligt an der Hilfsaktion waren zahlreiche Feuerwehren aus Kürnach und den Nachbarorten, insgesamt waren rund 150 Helfer vor Ort. Falger hatte eigentlich nur den wunderbaren Regenbogen fotografieren wollen, als er auf den Tornado aufmerksam gemacht wurde. Der erfahrene Retter sagt: „So etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Landrat: „Wie im Film“

Auch wenn der Schrecken der Nacht noch tief sitzt, blicken am Freitag alle nach vorne und packen an. Und bei allem Ärger über den Schaden ist man sich in Kürnach einig: Es ist viel wichtiger, dass niemand verletzt wurde. Das betont auch Landrat Eberhard Nuß, der tags darauf wieder vor Ort ist, um sich ein Bild von den Schäden zu machen. Die Ereignisse in Kürnach sind für ihn immer noch unvorstellbar. „Tornados wie diesen kennt man nur von den amerikanischen Küsten oder aus Filmen.“

Auch Kreisbrandrat Michael Reitzenstein hat in seinen 30 Jahren bei der Feuerwehr noch nie ein solches Wetterphänomen erlebt. Im Landkreis Würzburg habe es zuvor auch noch keinen Katastrophenalarm gegeben. „Trotzdem haben die 150 Einsatzkräfte die Situation gut gemeistert. Die Unterstützung der Bevölkerung und der Firmen ist viel wert.“, sagt Reitzenstein.

Solaranlage beschädigt

So hat beispielsweise Manfred Weber, der mit Vater Ernst im selben Haus wohnt, nicht nur ein teils abgedecktes Dach zu beklagen. Er kann sich auch nicht im Fernsehen über das Geschehene informieren. Die Satellitenschüssel wurde ebenfalls ein Opfer des Sturms. Zudem bestellte er neben den Dachdeckern auch noch die Solaranlagenbauer. „Die ganze Anlage auf dem Dach hat es angehoben und verschoben“, berichtet er. Wahrscheinlich, so seine Befürchtung, müsse sie komplett abgebaut werden, weil die Befestigung nicht mehr passt. Glück im Unglück: „Solche Anlagen muss man grundsätzlich versichern“, sagt Weber.

Anders sieht das mit den Autos aus, die von herumfliegenden Ziegeln beschädigt wurden. Vor Webers Haus steht eines, dem die linken Rücklichter komplett zertrümmert wurden. Zudem steckt in der hinteren Seitentür ein kompletter Ziegel drin. „Da muss in den nächsten Tagen noch viel diskutiert und geregelt werden“, sagt Bürgermeister Eberth.

Am Donnerstagabend gegen 20 Uhr hatte Landrat Eberhard Nuß den Katastrophenfall ausgerufen. Ebenso fassungslos wie der Bürgermeister und alle Beteiligten und Augenzeugen musste Nuß feststellen, welch immense Schäden ein solches Naturereignis binnen kurzer Zeit anrichten kann. Mit der Feststellung des Katastrophenfalls, der am Freitagmittag wieder aufgehoben wurde, wurde nicht nur die Koordination der Hilfsaktion erleichtert. Auch die Finanzierung des Hilfseinsatzes wird nun vom Freistaat Bayern übernommen, heißt es in einer Pressemitteilung des Landratsamtes.

Bäume aus dem Boden gezogen

Der Tornado ist das Gesprächsthema im Ort. Ein anderer Nachbar, erzählt Weber weiter, suche seine Mülltonnen. „Die sind komplett verschwunden.“ Wieder ein anderer vermisse sechs Bäume: „Die sind nicht abgeknickt oder entwurzelt. Sie sind einfach weg, aus dem Boden gezogen wie Zahnstocher.“ Angesichts solcher Naturgewalt verwundert es tatsächlich, dass in dem Wetter-Tohuwabohu niemand verletzt wurde. „Das ist ein riesiger Glücksfall“, stellte nicht nur der Landrat erleichtert fest. Auch hier kann Weber – wie die meisten Kürnacher Bürger im betroffenen Bereich, eine Geschichte beitragen.

„Ich darf gar nicht weiter darüber nachdenken, was alles hätte passieren können.“ Denn seine Tochter, erzählt er, war am Spätnachmittag mit dem Fahrrad unterwegs auf den Feldwegen rund um Kürnach. Und auf dem Spielplatz gleich nebenan, fügt eine weitere Nachbarin hinzu, seien spielende Kinder gewesen.

Besonders betroffen ist eine Feldscheune

Am Einsatz beteiligt waren auch Beamte der Polizeiinspektion Würzburg-Land, die nachts Streife fuhren, um die beschädigten Häuser und Gartengrundstücke zu sichern. Am wohl stärksten betroffen war eine Feldscheune. Das Dach der 1980 erbauten Halle wurde komplett abgedeckt, die darauf befindliche Photovoltaikanlage auf die umliegenden Felder verstreut, die darin befindlichen Maschinen teilweise ebenfalls zerstört. „Der Schaden geht wahrscheinlich in die Hunderttausend“, sagt Besitzer Alfons Heinrich völlig entgeistert. „Wer denkt denn auch, dass es so etwas bei uns gibt.“

An ihn und die ganze Gemeinde Kürnach richtet sich die Zusage des Landrates Eberhard Nuß: „Ich versichere, dass der Landkreis die Gemeinde Kürnach bei der Schadensregulierung nicht im Stich lassen wird.“

Mitarbeit: Leonie Schneider und Achim Muth

 
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