Wenn man direkt daneben steht, meint man, es sei ein riesiger Schiffsrumpf aus Stahl. 117 Meter lang, etliche Meter hoch und genauso breit überragt das erste Teil der neuen Talbrücke alles und jeden auf der Baustelle neben der A 3 (Würzburg-Frankfurt) in Heidingsfeld.
Kaum zu glauben, dass das 1160 Tonnen schwere Bauteil gleich über den Abgrund geschoben werden wird, auf den ersten und zweiten der neuen Pfeiler – und das nur mit einem Dutzend fingerdicker Drahtseile. „Das müssen Sie sich vorstellen, als würden sie ein Auto anschieben, das eine Tonne wiegt“, erläutert Wolfgang Thaler. „Da müssen Sie ja auch nicht eine Tonne schieben, sondern weil es rollt nur 30 Kilogramm.“ Der Bauingenieur von der Autobahndirektion Nordbayern ist der sogenannte Losbauführer für den Bau der Talbrücke Heidingsfeld.
„Genauso ist es hier bei der Brücke“, fährt er fort. „Da schieben wir nicht die 1160 Tonnen, sondern nur etwa 30 Tonnen, weil das Bauteil an acht Stellen auf sogenannten Verschubwippen verschoben wird. Die eine Seite davon besteht aus einer Edelstahlfläche, die andere aus gefettetem Teflonstreifen, die aufeinander gleiten. So wird die Reibung minimiert.“
Die eigentliche Schubkraft liefern sogenannte Litzenheber. Durch jeden dieser Heber laufen sechs hochvergütete und verdrehte Stahlseile, die Litzen. Diese sind mit der einen Seite an einer Konstruktion am Brückenwiderlager befestigt, über das das Bauteil ins Tal hinaus auf die Pfeiler geschoben werden soll. Die Litzen laufen rechts und links unter dem Bauteil entlang und auf der anderen Seite durch die Litzenheber.
„Die Litzenheber hangeln sich sozusagen an den Stahlseilen entlang und schieben die Brücke dabei über das Tal“, erklärt Wolfgang Thaler. Zwischen acht und zehn Meter pro Stunde, oder zwischen 13 und 16 Zentimeter pro Minute. 53 Meter sind es vom Widerlager bis zum ersten Pfeiler, weitere 80 Meter von dort bis zum zweiten. Ab einem bestimmten Punkt muss das Brückenteil auf der einen Seite mit Ballast beschwert werden, damit es nicht ins Tal hinab kippt.
- Visualisierung: So wird die A3 bei Heidingsfeld einmal aussehen
Die Litzenheber funktionieren wie 50 Zentimeter dicke Wagenheber mit jeweils 220 Tonnen Schubkraft, nur dass sie waagerecht in den Seilen hängen und sich mit ihrer einen Seite an dem Brückenteil abstützen. Die andere Seite besteht aus einem Hydraulikzylinder. Auf beiden Seiten gibt es Klammern. In der Grundstellung ist der „Wagenheber“ zusammengeschoben, die Klammern auf der dem Brückenbauteil abgewandten Seite am Hydraulikzylinder greifen in die Seile.
Der Zylinder wird ausgefahren und die Unterseite schiebt das Bauteil wie auf einem Schlitten ins Tal hinaus. Ist der Zylinder ganz ausgefahren, greifen die Klammern auf der Unterseite und halten das Bauteil, der Zylinder wird eingefahren, klammert sich wieder an den Litzen fest und weiter geht es.
Das ganze wird von einem Steuerstand im Bauteil mittels Rechnern überwacht. „Ist der Hydraulikdruck zu gering, bewegt sich nichts, ist er zu hoch, reißen die Litzen“, sagt Thaler. „Das wird dann richtig gefährlich.“ Auch die Kalibrierung, also die Abstimmung beider Litzenheber aufeinander, dauert an diesem Donnerstag ihre Zeit. Kaum zu glauben, dass dieses Teil nach Fertigstellung der Brücke auf der anderen, 630 Meter entfernten Seite des Tales exakt an dem bereits fertiggestellten Widerlager ankommen wird. Keinen Zentimeter zu weit rechts, keinen Zentimeter zu weit links.
Allerdings machen die Arbeiter, die auf der Baustelle hier noch mit dem Funkgerät in der Hand die Kalibrierung absprechen, dort schon die Teflonstreifen einfetten, auch nicht den Eindruck, als wäre das die erste Brücke, die sie über ein Tal schieben. „Ein bisschen können wir die Richtung auch noch beeinflussen, falls nötig“, gibt Thaler zu.
Spätestens Freitagnachmittag sollen die 117 Meter Brücke sicher auf den ersten beiden Pfeilern ruhen. Schon am Dienstag dann kommen in der Nacht die nächsten Stahlteile aus einem Werk in Darmstadt. „Die werden dort vorgefertigt und sind so groß, dass sie gerade noch auf der Straße transportiert werden können“, sagt der Bauleiter. Mit zwei 200-Tonnen-Autokränen werden sie entladen und bereits so abgelegt, wie sie anschließend zusammengeschweißt werden sollen.
Für jedes der sechs Brückenteile sind über 20 Transporte mit bis zu 120 Tonnen notwendig. Vom ersten Transport bis zur letzen Schweißnaht hat es beim ersten Teil rund ein halbes Jahr gedauert. Das nächste soll schon im Januar bereit für den Verschub übers Tal sein. „Spannend? Ja, spannend bleibt es immer, es gibt halt immer Anlaufschwierigkeiten“, antwortet Thaler auf die Frage, ob sich nicht irgendwann Routine einschleicht.