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WÜRZBURG
Tipps von Cineasten zum Start des Filmfestivals
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Holger Welsch
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:31 Uhr

Das 43. Internationale Filmwochenende findet erstmals im Central-Kino im Bürgerbräu, Frankfurter Straße 87, statt. Von Donnerstag, 26. Januar, bis einschließlich Sonntag, 29. Januar, sind über 50 internationale Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme fernab des Mainstreams zu sehen. Als besondere Gäste werden der Schauspieler Matthieu Carriere und der Filmemacher Edgar Reitz erwartet. Die offizielle Eröffnung ist am Mittwoch, 25. Januar, für Zuschauer und geladene Gäste.

Veranstaltungsorte: Neben vier Sälen im Central-Kino steht am Freitag und Samstag im Vogel-Convention-Center in der Max-Planck-Straße 7/9 ein weiterer Saal (mit 750 Sitzplätzen) zur Verfügung.

Und hier nun die Filmtipps der Würzburger Cineasten. . .

Der Kampf der Heimkinder

Thomas Schulz, Lehrer und Leiter des Filmfestivals:  Dänemark 1967: Demos gegen den Vietnamkrieg und Fernsehberichte vom Wettlauf um den Mondflug. In „Der kommer en dag“ werden die Brüder Elmer und Erik in ein Heim gebracht. Dort führt Heimleiter Heck ein rigoroses Regime. Die Brüder versuchen sich von dem Despoten fernzuhalten, doch Elmer gerät mit seinen Astronauten-Träumen immer wieder in Schwierigkeiten. Beide lehnen sich auf, nur bewaffnet mit Fantasie und Hoffnung. Das Drama mit Lars Mikkelsen in der Rolle des Heimleiters basiert auf einer wahren Begebenheit und löste jetzt auch in Dänemark eine intensive Debatte über das damalige Heimsystem aus. (Der kommer en dag (DK/S) läuft am Freitag, 27. Januar, um 20 Uhr und am Samstag, 28. Januar, um 18 Uhr.)
 
Kein Mensch vor der Kamera

Martin Klein, Mitglied im Organisationsteam:  „Homo Sapiens“ heißt Nikolaus Geyrhalters neueste Dokumentation. Die Ironie des Titels wird schnell offensichtlich. Geyrhalter hat keinen Audiokommentar hinzugefügt, und vor der Kamera taucht kein einziger Mensch auf. Vielmehr interessiert den Regisseur, was der Mensch geschaffen und verlassen hat. In langsamen Großaufnahmen filmt er verlassene Bauten und erkundet eine posthumane Welt. Es ist ein sehr offener Film in seiner Botschaft, und sehr geschlossen in seiner Form. Kritisiert Geyrhalter die Verschwendungssucht des Menschen? Der Zuschauer erhält keine Antworten, er muss sich seine eigenen Geschichten ausdenken. (Homo Sapiens (A) läuft am Freitag, 27. Januar um 13.45 Uhr und am Sonntag, 29. Januar um 12.45 Uhr.)
 
Ein Leben im Grenz-Camp

Wibke Lewring, beim Filmfestival zuständig für Pressearbeit:  Vom Berg Gurugu blickt man auf die spanische Enklave Melilla an der nordafrikanischen Mittelmeerküste. Afrika und die Europäische Union werden hier durch eine hochgesicherte Grenzanlage getrennt. Hier leben Geflüchtete, die versuchen, die Grenze zwischen Marokko und Spanien zu überqueren. Nach kurzer Zeit übernimmt der Malier Abou Bakar Sidibé die Kamera von den beiden Dokumentarfilmern Moritz Siebert und Estephan Wagner und zeigt in „Les Sauteurs“ seine Perspektive auf das Geschehen im Camp. Er zeigt das Leben dieser Menschen, denen der Weg in die EU auf den letzten Metern verwehrt wird. (Les Sauteurs (DK) läuft am Donnerstag, 26. Januar, um 16 Uhr im Kellerkino und am Sonntag, 29. Januar, um 11 Uhr.)
 
Das Wissen ist das Licht

Clemence Leboucher, Studentin, Mitglied der Programmgruppe:  In „I am Nojoom“ wird die Geschichte eines zehnjährigen Mädchens erzählt, die sich scheiden lassen will. Wie und warum sie verheiratet wurde, versteht man nicht von Anfang an. Es gibt immer ein weiteres Element, bis man die ganze Geschichte nachvollziehen kann. Ab da merkt man, dass keine Figur grundsätzlich als „böse“ dargestellt wird, auch wenn man mit ihren Entscheidungen nicht einverstanden sein kann – das gefällt besonders. Was al-Salami mit diesem Film zeigt, sind die furchtbaren Folgen der Unbildung. Der Film hat irgendwas von einem Märchen, dessen Moral auf der letzten Aufnahme steht: „Das Wissen ist das Licht.“ („I am Nojoom“ (YME/VAE/F) läuft am Freitag, 27. Januar, um 19.45 Uhr und am Samstag, 28. Januar, um 17.30 Uhr.)
 
Ein Neunjähriger und der Kurdenkrieg

Werner Schmitt, Mitglied der Programmgruppe:  Beeindruckende Bilder in einer dramatischen Zeit liefert der Film „Rauf“, bei dem zwei Regisseure eine phänomenale Arbeit abgeliefert haben. Einfühlsam und in beeindruckenden Bildern erzählt der Film mit den dramatischen Wirrungen des Kurdenkrieges und den Konsequenzen für den Alltag eine Geschichte, wie man Hoffnungen dennoch bewahren kann. Die „Liebes“-Geschichte des neunjährigen Rauf liefert die Botschaft „nicht aufgeben“, was keine leichte Aufgabe ist. Mit leiser Melancholie, einer stimmungsvollen Bildgestaltung und einer überwältigenden Dramaturgie schilder der Film diesen Reifeprozess des Jungen. (Rauf (TR) läuft am Freitag, 27. Januar, um 13.45 Uhr und am Samstag, 28. Januar, um 14.45 Uhr.)
 
Mystisches, Makabres und trockener Humor

Maria Vandenbroek, Schülerin, Mitglied der Programmgruppe:  Orson Welles und der junge Mathieu Carrière in einem Film? Das ist der Fall in „Malpertuis“ des belgischen Regisseurs Harry Kümel. Der Film, der 1971 debütierte, behandelt eine Dilemma-Situation. Cassavius, der Herr von Malpertuis, veranlasst in seinem Testament, dass keiner der auf dem Gut Lebenden das Haus verlassen darf. Freiheit und Erbe gibt es nur, indem sich die letzten überlebenden Vertreter der jeweiligen Geschlechter vermählen. Doch das ist nicht das Einzige, was Yann, Neffe des Cassavius, aufwühlt. Der Film zeichnet sich durch Skurrilität aus, die durch eine mystische Atmosphäre, makabere Szenen und trockenen Humor geschaffen wird. (Malpertuis (B,F,D) läuft während des Festivals nur einmal und zwar am Samstag, 28.Januar, um 19.15 Uhr.)
 
Überlebenskampf in Mexiko

 Frank Nehling, Lehrer, Mr. Online beim Filmwochenende:  In „600 Millas“ setzt Regisseur Gabriel Ripstein einen Agenten und einen Drogenschmuggler in ein Auto. Der Schmuggler nimmt den US- Agenten als Geisel. Bei der Fahrt nach Mexiko nähern sich die Beiden an. Es ist ein Film über einen Überlebenskampf, der ins heutige Mexiko mit seinem Drogenkrieg führt. (600 Millas (MX) läuft am Freitag, 27. Januar, um 22.15 Uhr und am Sonntag, 29. Januar, um 21 Uhr.)
 
Irland und  die Home-Ehe

Eoghan Mc.Guire. Mitglied der Programmgruppe:  „Queen of Ireland“ ist ein Dokumentarfilm, der das Leben des Homosexuellen Rory O'Neill schildert, von dessen Kindheit auf dem Land bis zum Referendum über die Ehegleichheit für gleichgeschlechtliche Paare. Der Film verwendet Irlands gesellschaftliche Entwicklung als Hintergrund, um eine reale Perspektive von modernem Leben zu zeigen. (The Queen of Ireland (IRL) läuft am Donnerstag, 26. Januar um 22.15 Uhr und Samstag, 28. Januar um 13.15 Uhr.)
 
Ein Gesamtkunstwerk

Susanne Bauer, Sonderschulpädagogin, Mitglied Organisation:  Mit „Die Nacht der 1000 Stunden“ ist dem Österreicher Virgil Widrich ein Gesamtkunstwerk gelungen. Der Film ist Krimi, Mystery-Thriller und Komödie in einem. Das ausgetüftelte Rückprojektionsverfahren ist spannend anzusehen und liefert tolle Bildkompositionen. Außerdem ist der Film eine Reise durch die Geschichte Österreichs, denn man reist mit einem tollen Schauspieler-Ensemble zurück bis in die Kaiserzeit. „Der Film ist eine Metapher dafür, dass manche alte Ideen einfach nicht sterben wollen“, erzählt der Regisseur im Interview. Obwohl er schon vor neun Jahren anfing das Drehbuch zu entwickeln, ist der Inhalt aktueller denn je. (Die Nacht der 1000 Stunden (A/LUX/NL) läuft Samstag, 28. Januar, um 19.30 Uhr und Sonntag, 29. Januar, 11.15 Uhr.)
 
Eine makelhafte Alltagsheldin

Katharina Schulz, Mitglied der Programmgruppe:  Beziehung, Wohnung, fester Job: Was Frida und Tobias fehlt, ist ein Kind. Doch das kommt nicht. Die Zweisamkeit zeigt Risse. Tobias zieht aus und Fridas Leben läuft aus dem Ruder: Sie muss mit Mitte 30 bizarre Kennenlernrituale durchstehen, während sich ihre Freundinnen kollektiv die Babybäuche streicheln. Regisseurin Mareille Klein hinterfragt in ihrem komischen Anti-Coming-of-Age-Film „Dinky Sinky“ die Glaubensgrundsätze einer Großstadt-Generation, die davon überzeugt ist, ihre Biografien bis ins Letzte planen und stylen zu können. Frida scheitert daran – zum Glück: Sie wird zur makelhaften Alltagsheldin. (Dinky Sinky (D) läuft am Freitag, 27. Januar, um 22 Uhr und am Samstag, 28. Januar, um 17.15 Uhr.)
 
Eine Hommage an den 35-Millimeter-Film

Viviane Bogumil, Kunsthistorikerin, im Vorstand der Filminitiative:  Es war einmal ein altes Kino  …   In einer Gesellschaft, in der digitale Medien die Oberhand gewonnen haben, feiert der Dokumentarfilm „Out of Print“ das einzigartige Revival der nostalgischen Art House-Kinos und des 35-Millimeter-Films. Am Beispiel des New Beverly Cinema in Los Angeles, erbaut 1929 und seit 2010 im Besitz von Quentin Tarantino, zeigt Regisseurin Julia Marchese, warum es den alten Filmformaten und Lichtspielhäusern erlaubt sein sollte, neben den hochmodernen Kinotempeln mit ihren DCPs und Blu ray-Discs zu existieren. Unterstützt wird sie von Interviewpartnern wie Seth Green, Kevin Smith oder Patton Oswalt. (Out of Print (USA) läuft während des Festivals nur einmal, am Freitag, 27. Januar um 22 Uhr im Kellerkino.)
 
Ein Stummfilm als Ereignis

Berthold Kremmler, seit über 40 Jahren fürs Festival aktiv:  „Die Büchse der Pandora“ – dieser Film ist ein Ereignis. G.  W. Pabst, mit Murnau und Fritz Lang der wichtigste deutsche Regisseur der Stummfilmzeit, hat mit der Schauspielerin Louise Brooks die herausragende Stilikone dieser Zeit auf die Leinwand gebracht, deren Ruhm bis heute, besonders bei Kennern, eher noch gewachsen ist. Als Vorlage dienten ihm die Dramen von Frank Wedekind, die ein explosives Frauenbild gestalteten – die hinreißende Pandora, also Lulu, bringt den Tod – und das mit einer Frau, deren Bubikopf die Männer in ihren Bann schlägt. Spannend nicht zuletzt durch die Live-Musik von Küspert und Kollegen. (Büchse der Pandora (D) läuft am Samstag, 28. Januar, um 22.15 Uhr. Dazu gibt es Live-Musik.)
 
Freundschaft zwischen drei Männern

Birgit Pelchmann, Lehrerin, Mitglied der Programmgruppe: Bilder wie Gemälde, eine Geschichte wie im Märchen. „Distancias cortas“ ist ein Film, der einen in seinen Bann zieht. Unter drei Männern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, entwickelt sich eine Freundschaft, die das Leben für sie verändert. Man kann nicht anders: Im Laufe der Geschichte wird es unmöglich, den unter starker Adipositas leidenden Federico, nicht ins Herz zu schließen. Was ist nah und was weit weg? Der Film macht bewusst, dass dies eine relative Größe ist. Ein Mensch, eingeschlossen in sich und seine vier Wände, macht sich mit seinen Freunden auf einen großen Weg. Ein Film, der einfach nur gut tut. (Distancias cortas (MEX) läuft Donnerstag, 26. Januar, um 20 Uhr und am Samstag, 28. Januar, um 15 Uhr.)
 
Gefühle und Gesellschaftskritik

Christian Molik, Vorstandsmitglied der Filminitiative: Dieser Film ist faszinierend. Gleich zu Beginn von „First girl I loved“ wähnt man sich schon mitten im Geschehen. Anne ist sich ihrer Gefühle gegenüber ihrer Schulfreundin Sasha noch nicht ganz sicher und geht doch mit voller Wucht nach vorne, reißt den Zuschauer mit hinein in das Wagnis. In jeder Geste, in jedem Gesichtsausdruck steckt soviel drin: das Voneinander-fasziniert-sein, die leicht ängstliche Zurückhaltung, wohl aus dem Gefühl heraus, man könnte etwas tun, das nicht recht ist. Coming Out, Coming-of-Age, stille Gesellschaftskritik: Der Film ist alles in einem, – und vor allem großartiges US-Independent-Kino. (First Girl I Loved (USA) läuft Freitag, 27. Januar, um 16 Uhr und am Sonntag, 29. Januar, um 13.15 Uhr.)
 
Karten sind ab Donnerstag, 26. Januar, im „Maschinenhaus“ neben dem Kino zu kaufen, am Freitag und Samstag auch im Vogel Convention Center. Kartenreservierung ist ab Mittwoch, 25. Januar (15 Uhr) möglich unter: ? (09 31)  78  02  38  88 oder online: www.filmwochenende.de (Einzelkarte: sieben Euro).
 

 
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