
Es ist der 23. November 2017. Die Theilheimerin Barbara Hammerl-Kraus und ihre neun Kollegen fahren mit dem Flüchtlingsrettungsschiff „Seefuchs“ entlang der libysch-tunesischen Grenze auf und ab. Immer wieder. Auf einmal sichten sie ein kleines Schlauchboot, es sind Menschen an Bord. Genau genommen 76 Menschen. Kinder, Frauen und Männer verschiedenen Alters sitzen auf den Schläuchen, ohne Rettungswesten, in einer Brühe aus Benzin, Urin und Erbrochenem.
Dieses Erlebnis wird die 62-jährige Ärztin am KfH-Nierenzentrum in Würzburg nie mehr vergessen. Heute, knapp einen Monat später sitzt sie am Küchentisch in ihrem Haus in Theilheim, zeigt Bilder und erzählt von den vielen einschneidenden Erlebnissen an Bord der „Seefuchs“, die sie einerseits wütend und traurig machen, für die sie andererseits aber auch dankbar ist, diese hautnah erlebt haben zu dürfen. „Ich habe mir die Flüchtlingstragödien Tag für Tag vom Fernsehsessel aus angeschaut. Ich habe es fast nicht ausgehalten das zu sehen, habe mich so hilflos gefühlt“, erinnert sie sich. „Dann habe ich einen Bericht einer Journalistin gelesen, die auf einem Rettungsschiff war und habe zu meinem Mann gesagt, dass ich das auch gerne machen möchte.“
Hammerl-Kraus bewarb sich bei der Organisation Sea Eye, die 2015 von dem Regensburger Unternehmer Michael Buschheuer gegründet wurde, und bekam prompt eine positive Rückmeldung. Das war im Juli. „Im August bin ich dann nach Regensburg gefahren, um mich vor Ort zu informieren. Als feststand, dass ich mitfahren werde, bin ich im Oktober nochmal hingefahren und habe ein Treffen besucht“, erzählt Hammerl-Kraus.
Wetterbericht macht Strich durch die Rechnung
Doch der Start lief alles andere als reibungslos. Am 8. November ging es los mit dem Flieger nach Malta, am 11. hätte die Crew eigentlich in See stechen sollen. Doch das Wetter machte den Flüchtlingsrettern einen Strich durch die Rechnung: Zu hoher Seegang. „Das war wirklich frustrierend. Der einzige Trost war dann nur, dass wir wussten, dass bei hohem Seegang auch keine Flüchtlinge aufs Meer fahren werden“, berichtet die Ärztin. Erst sechs Tage später konnte die Crew dann letztlich aufbrechen. Von Malta nach Gozo, dort haben sie die „Sea Eye“, das Schwesterschiff der „Seefuchs“ getroffen. Doch wieder gab es ein unüberwindbares Problem: „Unser Kollege Jordan, der gemeinsam mit seiner Freundin mitfuhr, wurde seekrank.
Noch im Hoheitsgebiet von Malta ging es ihm so schlecht, dass er in Unterzucker kam und wir beschließen mussten, zurückzufahren und Jordan und seine Freundin abzusetzen“, erzählt sie. „Das war wirklich schwer. Sowohl für Jordan, als auch für uns anderen.“
Schlauchboot mit 76 Flüchtlingen
Doch dann konnte die Fahrt endlich starten. Es war die letzte Mission für die „Seefuchs“ in diesem Jahr. Mit einem Abstand von mindestens 70 Meilen patrouillierte sie vor der Küste Libyens. Hammerl-Kraus berichtet von den Ölbohrinseln. An der libyschen Küste zeigen die Schlepper auf diese und erzählen, dass dort Italien sei. Dabei beginnt ab da das Meer erst richtig.
Nach einiger Zeit entdeckt die Crew ein Boot. „Wir haben gewunken, standen vorne mit Rettungswesten, um klar zu machen, dass wir die Guten sind – keine libysche Küstenwache“, berichtet Hammerl-Kraus. Nachdem drei Crewmitglieder mit dem Rib zum Schlauchboot der Flüchtlinge gefahren sind, haben sie beschlossen, die Kinder und Frauen mit an Bord der „Seefuchs“ zu holen. „Eine Frau war im achten Monat schwanger“, sagt Hammerl-Kraus heute noch erschüttert.
76 Menschen waren insgesamt an Bord. „Das waren aber sogar relativ wenig. Unser Kapitän hat auch schon erlebt, dass 120 Menschen auf solch einem kleinen Boot waren.“
An Bord gaben die Retter den Flüchtlingen zunächst trockene Kleidungsstücke. Während sich junge Mädchen schnell erholt und Vertrauen gefasst haben, gab es drei Jungs, die der Ärztin besonders im Gedächtnis geblieben sind: „Die wollten einfach nichts wissen. Diesen traumatisierten Blick in ihren Augen werde ich nie wieder vergessen“, erzählt sie.
Tee, Schokolade, Zureden
Gemeinsam mit ihren Teamkollegen verteilte sie Tee und Schokolade und beruhigte die Menschen, bis nach vier Stunden das Schiff der italienischen Küstenpolizei eintraf und die 76 hilflosen Menschen nach Italien brachte. Was dort aus ihnen wird, fragt sich Barbara Hammerl-Kraus auch jetzt noch. Ob die schwangere Frau mittlerweile entbunden hat? Und wie geht es den Kindern?
Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) seien 2017 mindestens 3095 Flüchtlinge auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommen. Während 2017 167 724 Menschen über das Mittelmeer nach Deutschland geflohen sind, waren es 2016 noch 358 018.
Sternennächte und Delfine
Groß verändert habe die Mission die Ärztin nicht, sagt sie, jedoch: „Wenn ich nach Würzburg fahre und den Weihnachtsrummel sehe, wird es mir ganz anders. Wir können nicht so tun, als leben wir in einer Oase, während in Libyen Menschen gefoltert, vergewaltigt und ermordet werden. Das halte ich nicht aus und das ist mir nach meiner Tour klarer geworden.“
Deshalb will die 62-Jährige im nächsten Jahr ein weiteres Mal an Bord des roten Kutters gehen. „Zumindest wenn mein Arbeitgeber wieder so positiv mitspielt“, hofft sie. Denn nach all den negativen Erlebnissen, habe sie die herrlichsten Sternennächte erlebt, die schönsten Sternschnuppen gesehen und wurde von Delfinen begleitet.
Organisation Sea-Eye


