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Theilheim: Als Nachrichten noch ausgeschellt wurden
Hans Gardil war Theilheims letzter Gemeindediener und weiß auch mit 99 Jahren noch manche Anekdote zu erzählen.
Laut und vernehmliche Bekanntmachungen von Hans Gardil und seiner "Schelle".
Foto: Antje Roscoe | Laut und vernehmliche Bekanntmachungen von Hans Gardil und seiner "Schelle".
Antje Roscoe
 |  aktualisiert: 09.02.2024 01:55 Uhr

"Be / kannt / mach / ung! Der Gardils Hans wird heut 99 Jahre alt!" Das ohrenbetäubende Schellen der Gemeindeglocke muss man sich vorneweg denken. Und ein Strahlen im Gesicht des früheren Theilheimer Gemeindedieners. Als er die Glocke sieht, beginnt er direkt pflichtbewusst seine alten Sprüche aufzusagen.

"Be / kannt / mach / ung! Der Kohlen-Neckermann kommt morgen um 10 Uhr ins Gasthaus Uhl und nimmt Kohlen- und Heizölbestellungen entgegen."  Es ist der Alltag der 1970er Jahre. Das Leben spielt sich im Dorf ab. Alles Wichtige, was schnell unter die Leute gebracht werden soll, wird ausgeschellt.

Erst mit Schelle, dann mit Megaphon

Es sind Ansagen wie: dass das Wasser abgestellt wird, Probealarme der Feuerwehr, Termine für die Obstabgabe oder den Hühnerhändler mit Legehennen und Eintagsküken. Von 1971 bis 1984 hat Hans Gardil die Nachrichten ausgeschellt. Zu Fuß, mit dem Fahrrad. Gut acht Jahre lang schwenkte er die Glocke vorneweg, dann hatte er ein Megaphon.

Etwa alle 100 Meter, an den günstigen Stellen, wiederholte er die stets gleichen Sätze. Am heutigen Tag, wo er 99 Jahre alt wird, kann er sicher behaupten, einer der letzten dieser Gemeindeboten gewesen zu sein, die mit der Glocke durchs Dorf gingen. Hans Gardil ist jemand, den damals jeder im Dorf kannte. Und das nicht nur von der dreistündigen Ausschell-Runde. 

"Gott sei Dank, jetzt bin ich so alt und ich kann mich noch an alles erinnern
Hans Gardil, ehemaliger Gemeindediener

"Die Briefe habe ich ausgetragen. Ich habe alles gemacht!" erzählt er. Von der Ladung der Gemeinderäte zur Sitzung über das Ablesen der Wasseruhren bis zum Einsammeln der Feuerschutzabgabe. Diese war für alle volljährigen Männer fällig, die nicht bei der Feuerwehr aktiv waren. Als Amtsperson war er nicht immer willkommen. "Gell, willst scho widder Gald!" hieß es dann anstelle einer Begrüßung. Oder auch Schlimmeres! "Einstecken habe ich viel müssen" sagt er. "Ins Rathaus haben sie sich nicht reingetraut".

"Ich habe Erlebnisse gehabt! Gott sei Dank, jetzt bin ich so alt und ich kann mich noch an alles erinnern", freut er sich und hat jede Menge Geschichten parat, etwa sie von den Säuen, die einmal fragliche Dokumente vom Küchentisch gefressen haben. Geflucht hatte er, als er einmal zum Maibaumaufstellen einlud. Die Kinder begleiteten ihn mit der steten Bitte: "Hans, tuut amal!". Am Altenberg kam ihm dann so ein Fünf- oder Sechsjähriger mit seinem Rädchen in die Quere und er flog im hohen Bogen drüber. "Brille hie, Uhr hie, Ellenbogen angesplittert. Dunnerkeil!", hieß das Ende vom Lied, "jetzt zapfen sie grad es Bier an und ich lieg' im Krankenhaus!"

Die Familie in Theilheim wiedergefunden

Nicht nur als Amtsbote, Nachrichten sind Hans Gardil immer wichtig gewesen: "Mich interessiert alles!". Noch heute bestimmen die Nachrichtenzeiten seinen Tageslauf. Die Main-Post wird morgens ganz gelesen. Sie kommt schon immer ins Haus. So gehört Gardil, der 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft kam, sicher auch zu den ältesten Lesern.

Die Nachricht, dass er seine Familie – Ehefrau Anna, mit der er 1997 Kronjuwelenhochzeit feiern konnte, Eltern und Schwiegereltern – in Theilheim wiederfinden würde, dürfte zu den besten überhaupt gehört haben. Sie alle hatten in Bácsalmás, im Süden Ungarns als Donauschwaben Landwirtschaft und Weinbau betrieben – eine Kombination wie in Theilheim. Nur Arbeit gab es in der neuen Heimat keine für einen Bauern ohne Hof, weshalb Hans Gardil zum Mauerer umschulte und arbeiten ging.

"Brille hie, Uhr hie, Ellenbogen angesplittert. Dunnerkeil, jetzt zapfen sie grad es Bier an und ich lieg' im Krankenhaus!"
Hans Gardil über einen Dienstunfall

Als Gemeindearbeiter später dann, "als Mädchen für alles", wie es Tochter Anni Bayerl nennt, war in den 1970ern sogar die Müllabfuhr noch dabei, alle 14 Tage mit Traktor und Anhänger, auf den Gardil die Blechkübel leerte. Vor allem aber wurde gebaut, Gardils Leidenschaft, selbst die schwere Handarbeit mit dem Pickel von Hand.

"Ich tät' halt gern schaffen, noch immer", sagt derjenige, der obendrein noch fast 30 Jahre Platzwart beim SV 1949 Theilheim war. Alle fünf Enkel der beiden Töchter hat er mit Häusern versorgt und alle würden sagen "Opa, wir brauchen dich noch!", weil immer mal was zu tun ist. Nüsse zu knacken ist die Alternative heute, aber Hans Gardil hat die Fähigkeit, zufrieden zu sein: "Also, ich bin zufrieden, war immer ein zufriedener Mensch. Ich komme mit allen gut aus."

Der Bürgermeister hält die Glocke in Ehren

Im Übrigen: Die Glocke – mit ihrer Lautstärke heute sicher ein Fall für Arbeitsschutzmaßnahmen – sie steht neuerdings, seit seinem ersten Tag als Bürgermeister auf dem Schreibtisch von Thomas Herpich. Das alte Stück mit seinem Klang und den Gebrauchsspuren habe er beim Aufräumen im Schrank gefunden und ihn sofort begeistert, sagt Herpich. Er habe sie zu seinem Amtsinsignum gemacht.

 
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