
„Ghetto-Gangster“, „Integrationsverweigerer“, „Hinterhofmoschee-Gänger“, kurz: gewalttätige Jugendliche, die zwar viel über Respekt reden, diesen aber selbst nichts und niemandem entgegenbringen. „Delikanli“ werden sie genannt, türkische junge Männer mit „verrücktem Blut“. Keiner hat die Kontrolle über sie, schon gar nicht ihre Lehrer. Letztere würden ihnen gerne erklären, dass ihre Geschichte in der Sturm-und-Drang-Literatur geschrieben steht. Ein Gedankenexperiment bleibt die Story von den Migrantenkindern, die sich beim Theaterproben selbst erkennen. Spannender als in dem Stück „Verrücktes Blut“, das in der ausverkauften Würzburger Theaterwerkstatt Premiere hatte, hätte man es nicht umsetzen können.
Sieben türkisch- und arabischstämmige Jugendliche sitzen in der Theaterklasse von Frau Kelich. Schiller will sie mit ihnen spielen, doch an Unterricht ist in der „Problemklasse“ nicht zu denken: Jeder beschimpft jeden, es wird gespuckt, verprügelt und gemobbt. Die Lehrerin scheint völlig verloren, bis einem der Schüler eine Pistole aus der Tasche fällt. Frau Kelich – mit nun schon reichlich angeschlagenem Nervenkostüm – nimmt das Ding an sich und setzt ihr Vorhaben, den Schülern „Kabale und Liebe“ und „Die Räuber“ nahezubringen, mit Waffengewalt durch. Denen bleibt nichts anderes übrig, als – mit Reclam-Heft in der Hand und Knarre am Anschlag – Karl Mohr und Amalia, Luise und Ferdinand zu geben. „Schnauze, das ist die Abschiedszene!“, brüllt Frau Kelich und schießt in die Luft. Amok mal andersrum.
„Es funktioniert!“ ruft die Lehrerin mit irrem Blick: Der unterdrückte Kurde erfindet sich als Räuberhauptmann neu, der Macho zeigt Reue, der Klassenchef übt die Opferrolle. Nun will sie nur noch sehen, wie das Mädchen sich vom Kopftuch befreit. „Ihr lebt in Deutschland, nutzt diese Chance“, flüstert sie ein. „Text weg, und jetzt Kopftuch weg!“ Und während die Lehrerin sich in Hass und Rachegelüsten verliert, reift die Selbsterkenntnis der Jugendlichen: „Gewalt ist keine Lösung, Frau Kelich“, reden sie am Ende auf sie ein.
Regisseur Hermann Drexler hat das preisgekrönte Stück, das auf einem französischen Film basiert und von Nurkan Erpulat und Jens Hillje 2010 für die Ruhrtriennale geschrieben wurde, mustergültig umgesetzt: irrwitzig, schweißtreibend, hintersinnig und mit einer fabelhaften Hauptdarstellerin (Britta Schramm als Lehrerin), die nicht nur ihren Sauhaufen von Schülern das Fürchten lehrt. Nie gingen Amoklauf und Reclam-Klassiker, Anarchie und deutsches Kulturgut besser Hand in Hand.