Es war eine wunderschöne laue Sommernacht, als plötzlich über dem Alten Hafen ein orkanartiger Sturm aufzog. Keiner allerdings mit Regen, Blitz und Donner, sondern ein Soundorkan aus zahllosen elektronischen Effekten und bretternden Stromgitarren. Verantwortlich dafür war das Weilheimer Sextett The Notwist, das rund 650 Besucher in Verzückung versetzte.
So etwa alle sechs Jahre, wenn die seit 1989 existierende Band ein neues Album veröffentlicht, überschlagen sich die Popkritiker, vor allem die sich der intellektuellen Zunft zurechnenden, in den höchsten Tönen. So auch 2014, als The Notwist ihr aktuelles Album „Close to the Glass“ auf dem Markt brachten.
Zweifellos sind Tüfteleien im Studio eine der großen Stärken der detailversessenen Musiker, doch auf der Bühne kann das Sextett um die Brüder Micha und Markus Acher noch ganz andere Stärken ausspielen, wie sie beim Hafensommer am Freitagabend höchst eindrucksvoll bewiesen.
Bei Notwist ist ganz klar die gesamte Band der Star. Es ist ein perfekt eingespieltes und exakt aufeinander abgestimmtes Kollektiv, das da auf der Bühne steht, bei dem nicht ein einzelner dominiert und der Rest begleitet. Vielmehr scheint die dem Weather-Report-Saxophonisten Wayne Shorter zugeschriebene Parole: „We always solo, we never solo“.
Im Grunde beginnt ein typischer Notwist-Song mit einer feinen Melodie zu Markus Achers Gitarre und seinem melancholischen Gesang. Hier schon mischen sich gerne digitale „Störgeräusche“ ein, ständig zischt oder blubbert, knistert oder piepst, klappert oder bimmelt es irgendwoher.
Die Kunst von Notwist ist es, dass diese digitalen Eingriffe keineswegs die Songstrukturen stören. Im Gegenteil, sie untermalen und ergänzen. Im Notwist-Sound verschmelzen die digitale und die analoge Welt zu einem einmaligen und einzigarteigen Soundkonstrukt. Notwist gelingt zusammenzufügen, was nicht zusammen zu gehören scheint.
Wenn Sänger Markus Acher dann eine dieser wunderschönen Melodien wie „Neo Golden“ oder „Run, Run, Run“ in die Ohren der Zuhörer geschmeichelt hat, dann manchen sich die sechs mit größter Wonne daran, zu zeigen, dass sie auch ganz anders können.
Dann lassen sie die verzerrten E-Gitarren bratzen und die Electrobeats pluckern, toben sich fast brutal über ein oder zwei Akkorden aus, steigern das Tempo in atemberaubende Dimension und spielen sich in einen fulminanten Kollektivrausch. Der endet auf ein unsichtbares Zeichen und die Band ist wieder bei der Songstruktur angekommen.
Das ist nichts weniger als Perfektion in Reinkultur. Und dass aus einem Notwist-Gig ein echtes Gesamtkunstwerk, dafür sorgt ader Mann am Lichtpult, der das musikalische Geschehen in farbenprächtige Atmosphären taucht. Vier Zugaben und ein restlos begeistertes Publikum feierte frenetisch eine Band, die in keine Schublade passt und passen will.