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PARIS/WÜRZBURG
Terrorfinanzierung: Was kostet ein Anschlag, Herr Neumann?
Terror-Experte: Überproportional viele Gefährder in NRW       -  Der Würzburger Terrorismusexperte Peter Neumann ist der Auffassung, dass die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung nicht funktioniert, ineffektiv ist und radikaler Reform bedarf.
Foto: Ina Fassbender, dpa | Der Würzburger Terrorismusexperte Peter Neumann ist der Auffassung, dass die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung nicht funktioniert, ineffektiv ist und radikaler Reform bedarf.
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:41 Uhr

Es ist die größte Konferenz, die jemals zum Thema Terrorismusfinanzierung stattgefunden hat. Minister aus über 70 Staaten und führende Ermittler – etwa von Euro- und Interpol – beraten ab Mittwoch, wie man Geldströme von Terroristen trockenlegen kann. Reformen sind nötig. Der Gastgeber, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, will einen Durchbruch, heißt es. Die Staaten sollen sich zu konkreten Maßnahmen verpflichten. Helfen soll dabei der Würzburger Terrorismusexperte Peter Neumann.

Frage: Über Terrorismusfinanzierung diskutieren Politiker und Journalisten häufig. Aber was kostet ein Anschlag eigentlich?

Peter Neumann: Ein Anschlag ist nicht teuer. In Europa hat es seit 2014 nicht einen Anschlag gegeben, der mehr als 10.000 Euro gekostet hat, und viele Anschläge haben weniger als 1000 Euro gekostet.

Woher kam das Geld?

Neumann: In den allermeisten Fällen von den Terroristen selbst. Entweder durch Ersparnisse oder Sozialleistungen oder Darlehen von den Eltern. Oft spielt aber Kleinkriminalität eine Rolle, so war es etwa bei Anis Amri (dem Attentäter von Berlin; Anm.d.Red.). Darunter fallen Drogenhandel, Handel mit gefälschten Produkten oder Raubüberfälle. Und hier setzt meine Kritik an: Das System der Bekämpfung der Terrorfinanzierung konzentriert sich auf das Bankensystem. Man sucht nach verdächtigen Transaktionen, man versucht das Bankkonto von IS-Anführer al-Baghdadi bei Goldman Sachs ausfindig zu machen – das es gar nicht gibt. Ein Großteil des Geldes, das tatsächlich für Anschläge verwendet wird, berührt das internationale Finanzsystem niemals. Deswegen geht die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung am Problem vorbei. Die Strategie hat im Großen und Ganzen versagt.

Woran machen Sie das fest?

Neumann: Seit 2001 hat man mit dieser Strategie gerade einmal 60 Millionen Dollar konfiszieren können – das sind weniger als drei oder vier Millionen pro Jahr. Zum Vergleich: Der „Islamische Staat“ hatte auf seinem Höhepunkt ein Budget von zwei bis drei Milliarden Dollar pro Jahr. Der größte Schlag gegen die Finanzen des IS, der jemals durchgeführt wurde, war eine Bombe, die von den Amerikanern über einem Bargelddepot der Terroristen Anfang 2016 abgeworfen wurde. Damals wurden auf einen Schlag 50 Millionen Dollar vernichtet.

Der IS hat zwar kaum noch Territorium, aber soll noch über riesige Geldmittel verfügen. Wie schätzen Sie das ein?

Neumann: Das ist schwer zu beurteilen. Die Terrororganisation ist nicht total pleite, aber nicht mehr so potent wie noch vor drei oder vier Jahren als sie noch ein großes Territorium und Zugang zu vielen Ressourcen hatte. Tatsache ist: Der IS hatte 2014/2015 ein sehr großes Budget und hat sich aus sich selbst heraus finanziert. Man hat Steuern eingenommen, mit Ressourcen gehandelt. Und vieles lief über Bargeld. Da sind wir wieder an dem Punkt, woran die derzeitige Bekämpfung von Terrorfinanzierung krankt: Man hatte keinen Zugang zu Geldströmen innerhalb des IS-Territoriums, das nicht über ein Bankensystem, sondern über Bargeld lief. Ich kann mir gut vorstellen, dass als der sogenannte Islamische Staat zusammengebrochen ist, die IS-Führung einige Bargeldreserven beiseite geschafft hat. Und wir wissen: Die Vorgängerorganisation des IS im Irak hatte ein ganzes Netzwerk, das Leute erpresst und auf Kriminalität gesetzt hat. So hatte man sich ein relativ stabiles Einkommen verschafft. Ich vermute, dass das auch heute noch funktioniert.

Was werden Sie auf der Konferenz fordern?

Neumann: Ich werde sagen, dass die derzeitigen Strukturen, die sich nur auf das Bankensystem fokussieren, nicht funktionieren und dass wir uns breiter aufstellen müssen. Als erstes müssen wir uns anschauen, wie sich Terroristen finanzieren. Wenn sich Terroristen in Europa zum Beispiel durch Kleinkriminalität finanzieren, dann sollte die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung eine Polizeiaufgabe sein und nicht eine Aufgabe der jeweiligen Finanzministerien.

...in Deutschland war das Bundeskriminalamt zuständig. Erst vor rund einem Jahr wurde das geändert: Jetzt ist es der Zoll, der dem Finanzministerium untersteht. Der Zoll hat aber keinen Zugang zu polizeilichen Datenbanken...

Neumann: Ich weiß nicht genau, warum man das gemacht hat. Ich kann mir vorstellen, dass man sich einfach an den anderen europäischen Ländern orientiert hat, wo die Finanzministerien zuständig und Ansprechpartner sind.

Zielt Ihre Kritik nur auf die Zuständigkeiten ab?

Nein. Es geht auch um eine diplomatische Strategie. Denn in der Vergangenheit haben auch Staaten den Terrorismus finanziert, teilweise reiche Einzelpersonen innerhalb dieser Staaten. Es muss ganz klar gemacht werden, dass das nicht mehr toleriert wird. Da gibt es schon Fortschritte: Der Geldfluss aus Saudi-Arabien etwa, funktioniert nicht mehr so wie noch vor zehn Jahren. Aber dieser diplomatische und politische Druck muss auch aufrecht erhalten werden.

Welche Rolle spielen Gelder aus dem Ausland, mit denen etwa salafistische Moscheevereine in Deutschland unterstützt werden?

Neumann: Da muss man unterscheiden. Es ist ein Fehler, dass wir zum Beispiel die Finanzierung wahabistischer oder salafistischer Moscheen aus dem Ausland zulassen. Das sollte stark eingeschränkt werden, es ist aber keine direkte Terrorismusfinanzierung. Man kann zwar einen Zusammenhang herstellen zwischen Salafismus, Wahabismus und Dschihadismus. Aber zunächst einmal geht es hier um die Finanzierung einer noch friedvollen Religionsausübung – die dann aber umschlagen kann. Bei der Konferenz in Paris geht es darum, wie sich Terrororganisationen wie der IS oder El Kaida finanzieren.

Das Europaparlament hat erst vergangene Woche schärfere Regelungen zu Kryptowährungen wie Bitcoin beschlossen, um Geldwäsche, aber auch Terrorfinanzierung zu bekämpfen. Ein richtiger Schritt?

Neumann: Geldwäsche ist nicht das gleiche wie Terrorismusfinanzierung: Bei Geldwäsche soll schmutziges Geld sauber gemacht werden, bei der Terrorismusfinanzierung ist es oftmals der umgekehrte Prozess. Ich glaube, was Geldwäsche angeht, passiert viel über Kryptowährungen und im Darknet. Was den Terrorismus angeht, haben wir hier bislang sehr wenig Aktivität gesehen. Es gab ein oder zwei Fälle, in denen Terroristen versucht haben, Bitcoins zu benutzen. Nichts Systematisches. Das hängt auch damit zusammen, dass die Anschläge im Westen sehr billig sind und es nicht erfordern, Geld mit Kryptowährungen um die Welt zu schicken. Das hat kürzlich auch Europol bestätigt, aber das bedeutet natürlich nicht, dass das niemals ein Thema werden wird. Von daher ist es richtig, dass die EU hier mit einem achtsamen Auge draufschaut.

Zur Person

Peter Neumann aus Würzburg gilt als einer der renommiertesten Terrorismusexperten der Welt. Der 43-Jährige ist Professor am Londoner King's College und leitet dort das „Internationale Zentrum zum Studium von Radikalisierung“. Seit Jahren analysiert er die Radikalisierung von Islamisten und den Verlauf von Terroranschlägen auf der ganzen Welt. Neumann berät Regierungen, Nachrichtendienste und internationale Organisationen, darunter den UN-Sicherheitsrat. Am Mittwoch startet auf Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein internationaler Gipfel zum Thema Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung. Nach Expertenberatungen hinter verschlossenen Türen am Mittwoch wird Neumann am Donnerstag die Eröffnungsrede der Ministerkonferenz halten.
 
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Kommentare
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  • ebayeins@t-online.de
    "Was kostet ein Anschlag, Herr Neumann?"

    Er ist so billig, das er sogar mit Hartz IV finanziert werden kann.

    Erschreckend!
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