Schuldig oder nicht schuldig? In seiner Inszenierung des gleichzeitig sehr erfolgreichen, aber auch viel diskutierten Theaterstücks „Terror“ von Ferdinand von Schirach macht auch das Mainfranken Theater die Zuschauer zum Richter über einen Kampfpiloten der Bundeswehr.
Der Angeklagte in dem Gerichtsdrama hat eine von Terroristen entführte Passagiermaschine abgeschossen, um deren Explosion über einem mit 70 000 Menschen besetzten Fußballstadion zu verhindern. In Zeiten von Anschlägen wie in Paris und zuletzt in Berlin ist „Terror“ auch in Würzburg ein Thema, das viele Menschen bewegt.
Schirach-Stück über Recht, Moral und Menschenwürde.
Intendant Markus Trabusch und Regisseur Dirk Diekmann haben die Inszenierung des Schirach-Stücks über Recht, Moral und Menschenwürde in einer scheinbar ausweglosen Situation in den Würzburger Ratssaal verlegt – wie bei einer realen Gerichtsverhandlung sind die Protagonisten den Zuschauern, die gleich zu Beginn als Laienrichter verpflichtet werden, sehr nahe und agieren auf Augenhöhe mit dem Publikum.
Autor und Regisseur geht es darum, mit dem Stück einen Diskurs auszulösen. Das gelingt ihnen und den Schauspielern geradezu mühelos: Im Rathaus-Foyer wird vor der Entscheidung über Verurteilung oder Freispruch des Angeklagten eine gute halbe Stunde lang eifrig diskutiert.
Gemeinsames Symposium.
Doch damit nicht genug: Das Stück polarisiert so stark, dass bei bei einem gemeinsamen Symposium des Mainfranken Theaters mit der Katholischen Akademie Domschule mit rund 30 Teilnehmern am Samstag gut eine Stunde lang intensiv über die ethischen und rechtlichen Aspekte gesprochen wurde. Die Kernfrage des Stücks: Durfte der Bundeswehr-Pilot 164 unschuldige Passagiere in dem zur terroristischen Waffe gewordenen Flugzeug töten, um bis zu 70 000 Menschen im Stadion zu retten? Ausgelöst wird seine Entscheidung dadurch, dass in der Krisensituation niemand die Anweisung gibt, das Stadion zu evakuieren – obwohl dafür im fiktiven Szenario des Stücks mehr als eine Stunde Zeit gewesen wäre.
Der Theologe Stephan Ernst von der Uni Würzburg hat für die Frage nach Schuld oder Unschuld des Piloten aus ethischer Sicht eine eindeutige Antwort: Schießt der Pilot die Lufthansa-Maschine nicht ab, dann sterben deren Passagiere und bis zu 70 000 Menschen im Stadion. „Es geht in diesem Fall nicht um die Abwägung Leben gegen Leben, sondern um eine Handlung, die sittlich-moralisch als Lebensrettung zu sehen ist. Daher ist der Abschuss der Maschine aus ethischer Sicht gerechtfertigt und vertretbar“, so Ernst.
In über 90 Prozent der Fälle freigesprochen.
Das sehen bisher übrigens weltweit die Mehrzahl der Zuschauer so – mit Ausnahme von Japan, wo der Pilot grundsätzlich vom Publikum verurteilt wird. In Deutschland wurde der Angeklagte bei inzwischen rund 820 Aufführungen an 43 Theatern in über 90 Prozent der Fälle freigesprochen. In Würzburg gab es bei mittlerweile zwölf Vorstellungen elf Freisprüche – nachzulesen im Internet unter „terror.theater“.
Dass Ferdinand von Schirach den Zuschauern in seinem Stück die wesentlichen rechtlichen Grundsätze für eine juristisch korrekte Entscheidung vorenthält, missfällt vielen Juristen – das als Richter verpflichtete Publikum kann so nur über die moralischen Aspekte urteilen. Ein Freispruch wäre nach Ansicht von Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf von der Alma Julia aber auch aus juristischer Sicht die korrekte Entscheidung. Im deutschen Strafrecht muss ein Straftäter nämlich nicht nur den Tatbestand verwirklicht und dabei rechtswidrig gehandelt, sondern dadurch auch Schuld auf sich geladen haben – dieser Aspekt kommt im Stück nicht vor.
Keinerlei Rechtfertigung für seine Handlung.
Rechtswidrig handelt der Pilot deshalb, weil es im Gesetz keinerlei Rechtfertigung für seine Handlung gibt. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005 zum Luftfahrtsicherheitsgesetz widerspricht es dem Schutz der Menschenwürde, das Leben von Menschen gegeneinander aufzurechnen – auch nicht 164 gegen 70 000. „Deshalb kann der Abschuss der Maschine juristisch aus keinem Grund gerechtfertigt sein“, so Hilgendorf.
Für seine Tat verurteilt werden könnte der Pilot seiner Ansicht nach trotzdem nicht, weil ihm die Tat in seiner ausweglosen Situation – in der er im Stück übrigens einen ausdrücklichen Befehl des Bundesverteidigungsministers ignoriert – nicht vorgeworfen werden kann: „Was der Pilot tut, ist falsch, aber man kann ihn trotzdem nicht verurteilen, weil er nicht schuldhaft gehandelt hat. Ich würde wetten, dass 99 Prozent der deutschen Juristen das genauso sehen.“
24 entschieden sich für Freispruch.
Die meisten Teilnehmer des Symposiums stimmten zu – 24 entschieden sich für Freispruch, nur vier für eine Verurteilung. Für eine Zuhörerin ist die Schuldfrage auch aus juristischer Sicht nicht so einfach zu beantworten – schließlich hat sich der Pilot, wie er in seiner Aussage vor Gericht zugibt, vor der Tat hunderte Male mit der Situation beschäftigt und für sich bereits im Vorfeld entschieden, dass er so handeln würde wie er es dann auch tut. „Er ist ein hoch ausgebildeter Kampfflieger, das sollte man auch bedenken“, sagte die Frau. Auch Schauspiel-Dramaturgin Antonia Tretter vom Mainfranken Theater votierte für schuldig – unter anderem, weil der Pilot sich über einen Befehl von höchster Stelle hinweg setzt.
Eins scheint sicher: Das Stück wird nicht nur in Würzburg weiter intensiv diskutiert werden. Intendant Markus Trabusch hat angekündigt, „Terror“ so lange weiter aufzuführen, wie die Leute die Inszenierung sehen wollen. Viele Schulklassen haben das Stück bereits besucht und mit der Theater-Pädagogik durchgesprochen. „Sehr viele meiner Schüler haben mit mir darüber diskutiert und sie sind nicht alle für Freispruch, sondern hängen die Menschenwürde häufig sehr hoch“, berichtete eine junge Lehrerin. 120 Polizeischüler haben das Stück ebenfalls gesehen und sich einstimmig für einen Freispruch entschieden.
„Die Veranstaltung hat mir geholfen.“
Das Symposium an der Domschule hat einigen Teilnehmern geholfen, das Thema besser zu verstehen und einzuordnen: „Die Veranstaltung hat mir geholfen, zu einem nicht leichten, aber richtigen Ergebnis zu kommen“, betonte am Ende einer der Zuhörer.
Stimmen aus dem Symposium
Dr. Stefan Meyer-Ahlen, Studienleiter der Domschule: „Die Frage, ob Leben gegen Leben abgewogen werden kann, zieht sich wie ein roter Faden durch die Inszenierung.“
Antonia Tretter, Schauspieldramaturgin des Mainfranken Theaters: „Das Stück fordert wie keine andere Inszenierung in dieser Spielzeit den Diskurs heraus. Für mich werden hier Grundprinzipien unseres Rechtsstaats behandelt.“
Professor Eric Hilgendorf, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht und Rechtstheorie: „In ethischen Fragen stoßen Juristen regelmäßig auf Fälle, für die es keine glatten Lösungen gibt. In diesem Fall ist die Handlung des Piloten meiner Meinung nach rechtswidrig, aber er würde trotzdem nicht verurteilt werden.“
Professor Stephan Ernst, Lehrstuhlinhaber für Theologische Ethik:
„Meiner Meinung nach ist der Abschuss der Maschine in dieser tragischen Situation ethisch gerechtfertigt. Das Stück macht deutlich dass es auch immer wieder Fälle geben kann, in denen das Recht nicht ausreicht.“
Anja Brünglinghaus, Schauspielerin:
„Die größte Herausforderung an dem Stück war für mich, dass im Ratssaal alles wegfällt, das einem Schauspieler auf der Bühne Schutz bietet. Es liegt in der Natur der Sache, dass es bei Ethik und Recht immer wieder unterschiedliche Ergebnisse gibt.“
Dr. Margot Raps-Hoelscher, Würzburg:
„Es empört mich, dass Ferdinand von Schirach eine Mordanklage gemacht hat. Das Stück ist in der Juristerei zu Recht schlecht weggekommen.“
Dr. Renate Fiedler, Würzburg:
„Das Stück ist sicher juristisch nicht perfekt, aber das ist auch gar nicht notwendig. Der Autor will damit ja eine Diskussion anstoßen. Das kann er nur tun, indem er Emotionen auslöst. Dafür ist es sehr gut gemacht.“