Weihnachten – das Fest der Familie. Was aber, wenn wichtige Menschen fehlen, weil sie viel zu früh gestorben sind oder sich das Leben genommen haben? Ein Gespräch mit Teresa Enke, Witwe von Fußball-Nationaltorwart Robert Enke, über den Suizid ihres Ehemanns, Depression, ihre Stiftung und Quellen der Zuversicht.
Frage: Frau Enke, wo verbringen Sie Weihnachten?
Teresa Enke: Bei meiner Familie in Bad Windsheim mit Weihnachtsbaum und Plätzchen. Ich freue mich, mal wieder in meiner alten Heimat zu sein, mein Fränkisch auszupacken…
Ist diese „Heimat“ durch die Ereignisse der letzten Jahre wieder wichtiger geworden?
Enke: Ja, aber mehr die Familie als die Örtlichkeit. Das Elternhaus, wo wir alle aufgewachsen sind, ist das Verbindende, das Langlebige, die Konstanz.
Holt Sie an Weihnachten die Vergangenheit besonders ein? Aus der Familie fehlen einige…
Enke: Ja, man merkt es an den Bildern. Erst war Lara weg, dann Robert, die Omas, mein Bruder… Und die Todesfälle immer in der dunklen Jahreszeit. Also Weihnachten ist bei uns nicht so unbelastet wie bei anderen. Die Verluste spürt man da stärker.
Wie gehen Sie damit um?
Enke: Weitermachen, sich über die diejenigen, die da sind, freuen und die anderen nicht vergessen. Wir lachen auch viel und sind nicht nur wehmütig.
Hat sich diese Dankbarkeit aus Ihrer Leiderfahrung entwickelt oder sind Sie von Haus aus ein pragmatischer Mensch?
Enke: Das lernt man. Viele haben mich gefragt, wie ich das alles aushalte. Aber ich finde, ich bin nicht besonders stark. Wenn einem Leid widerfährt, muss man es angehen – gerade, wenn man Verantwortung für Kinder oder Familie hat. Ich weiß: Es gibt viele, denen es schlechter geht. Auch als Robbi gestorben ist – ich war in einer privilegierten Position. Ich hatte keine finanziellen Nöte und habe viel Aufmerksamkeit bekommen. Andere kommen wirtschaftlich in Bedrängnis oder werden sogar geächtet.
Wenn Sie heute am Grab von Robert und ihrer Tochter Lara stehen – was geht Ihnen durch den Kopf?
Enke: Ich denke „Das kann nicht wahr sein“… ja, wirklich. Es ist ein Irrsinn und kommt mir manchmal so irreal vor. Ich bin nicht gerne am Grab. Als Lara gestorben ist, war das für Robbi und mich ein ganz wichtiger Ort. Nach dem Tod von Robert hat sich das verändert. Ich habe andere Orte, wo ich an die beiden denke, und brauche dazu nicht das Grab.
Wieviel Schmerz ist noch da?
Enke: Es gibt ihn in bestimmten Situationen. Aber mittlerweile blicke ich mehr mit Dankbarkeit zurück. Ganz verheilen wird es nicht, aber der Schmerz wird erträglich.
Fragen Sie sich noch, ob Sie den Suizid hätten verhindern können?
Enke: Ja, das bleibt und kommt in manchen Momenten hoch. Ich weiß aber heute viel mehr über diese Krankheit. Wenn sich Betroffene entscheiden zu gehen, sind Angehörige meist machtlos. Manchmal frage ich mich, ob ich ihn hätte zwangseinweisen müssen. Aber ich weiß nicht, was es ausgelöst hätte. Ich hatte seinen Willen zu akzeptieren. Was ich machen konnte, habe ich getan.
Wie hat er seinen Zustand beschrieben? Was hat er nicht mehr ausgehalten?
Enke: Dieses „Schwarze“. Er sagte: Wenn Du eine Minute in meinem Kopf wärst, würdest Du es verstehen. Die Krankheit ist so übermächtig, dass der Tod dann eine Erlösung ist.
Dass der Tod eine Option sein könnte – haben Sie darüber mit Ihrem Mann gesprochen?
Enke: Ja. Ich habe ihm gesagt: Das kannst du nicht machen, ins Grab zu seiner Tochter... Er dachte, sein Suizid würde weniger an die Öffentlichkeit dringen, als wenn er sich zur Krankheit bekennen würde. Das war in der Krankheitsphase ein Stück verzerrte Realität.
So haben Sie mit Ihrem Mann die Erkrankung über Jahre geheim gehalten.
Enke: Robbi wollte es so – es hat ihn viel Kraft gekostet. Das ist ja das Schwierige an der Erkrankung. Er hatte Angst, dass es an die Öffentlichkeit kommt und er seinen Platz in der Nationalmannschaft verliert. Er glaubte nicht an Akzeptanz. Daran arbeite ich jetzt mit der Stiftung, an der Enttabuisierung. Ich möchte, dass niemand mehr Scheu hat, sich zu öffnen und Hilfe zu erhalten.
Sind Sie dann sozusagen an seiner Stelle an die Öffentlichkeit gegangen, um die Krankheit zu thematisieren?
Enke: Nein, so weit habe ich nicht gedacht. Es ging übers Persönliche. Und er war mein Mann, also habe ich über ihn gesprochen – auch, um Spekulationen vorzubeugen. Ich habe nicht geahnt, was daraus entstehen könnte.
Wenn Sie auf den Profi-Fußball von heute schauen: Könnte das nochmal so passieren?
Enke: Ich glaube nicht. Depression ist ein Thema geworden, auch andere Sportler wie Andres Iniesta oder Trainer Ralf Rangnick haben sich dazu bekannt. Es gibt heute Versorgungsstrukturen dafür in den Vereinen, man ist empathischer.
Eine Veränderung dahin, dass man im knallharten Profi-Geschäft auch Schwäche zeigen darf?
Enke: Es hat eben nichts mit Schwäche zu tun, sondern ist eine Krankheit. Und die kann man behandeln und zurückkommen. Dafür gibt es genug Beispiele. Es wird mittlerweile auch viel mehr berichtet als früher, das hilft sehr.
Das Schicksal Ihres Mannes hat wirklich viel verändert... Depression, der „Schwarze Hund“, ist aussprechbar geworden, das Umfeld reagiert nicht mehr panisch oder hilflos…
Enke: Ja. Bei Robbi hat man gesehen, dass es jeden treffen kann. Auch erfolgreiche, finanziell gesicherte Menschen, auch einen Nationalspieler. Andere haben sich dann weniger geschämt.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Verlust des Kindes und dem Suizid drei Jahre später?
Enke: Nicht unmittelbar, weil er schon davor Depressionen hatte. Für die gab es Auslöser wie Vereinswechsel oder weil er nicht gespielt hat. Wenn Vereine oder Trainer an ihm gezweifelt haben, wurde er unsicher. Eine Woche nach Laras Tod stand Robert wieder im Tor. Es musste weitergehen. Ich denke, das haben wir zusammen gemeistert, auch wenn wir keine Therapie gemacht haben. Für die letzte Depression gab es dann keinen erkennbaren Auslöser mehr.
Er ging in Behandlung und kehrte zurück auf den Platz, als wäre nichts. Haben Sie die Veränderung bemerkt?
Enke: Ich als Frau habe es erkannt, seine Unsicherheit im letzten Spiel gegen Hamburg… Im Nachhinein haben auch andere die Veränderung bemerkt, hatten es aber nicht mit der Krankheit in Verbindung gebracht. Außerdem war das nur eine Phase. Robbi war ansonsten ein ruhiger, aber lustiger Kerl mit Humor, vor allem schwarzem Humor. Er war nicht nur traurig.
Als er in der letzten Depression plötzlich initiativ wurde, dachten Sie, er habe sich gefangen. Dabei hatte er innerlich die Entscheidung zum Suizid getroffen.
Enke: Ja, dieses Phänomen des vermeintlichen Aufbäumens habe ich damals nicht gekannt und erst später im Rahmen der Stiftungsarbeit davon erfahren.
Sie schaffen also mit Ihrer Stiftung Hilfsangebote und Strukturen, die Sie selbst nicht hatten?
Enke: Genau, auch für die Angehörigen. Deshalb gehe ich an die Öffentlichkeit. Das Thema muss auf der Tagesordnung bleiben. Und wir haben Hilfsangebote geschaffen etwa über eine Hotline, an der fünf Tage in der Woche ein Psychiater sitzt. Dahinter steht ein bundesweites Netzwerk. Wir versprechen die Vermittlung eines Erstgespräches innerhalb von einer Woche.
Sie waren im Oktober das erste Mal seit der Gedenkfeier 2009 wieder richtig im Stadion in Hannover. Mit welchen Gefühlen?
Enke: Ja, es war das Abschiedsspiel von Per Mertesacker. Es war schön, aber auch ergreifend, die alten Weggefährten zu treffen. Es war ein Wechselbad, aber es ging.
War das Stadion für Ihren Mann ein „Gefängnis“, wie nach dem Tod jemand meinte?
Enke: Nein, definitiv nicht. Für Robbi war es ein Wohnzimmer. Wenn er gesund war, hat er die Atmosphäre geliebt. Da habe ich mir nie Sorgen gemacht. Natürlich gab es schlimme Situationen in Barcelona oder Istanbul, als es sportlich nicht gut lief. Aber die Menschenmenge hat ihm nichts ausgemacht.
Sie leben seit einigen Jahren in einer neuen Beziehung. Ein Familien-Neustart?
Enke: Mir geht es gut und ich bin wieder glücklich. Alles andere will ich aber aus der Öffentlichkeit halten.
Sie haben Kind, Mann und Bruder verloren: Haben Sie sich dadurch verändert?
Enke: Ja.
In welcher Weise?
Enke: Viele Dinge relativieren sich, werden in den Trauerphasen unbedeutend – Klamotten zum Beispiel. Das normalisiert sich wieder. Aber ich bin nachdenklicher geworden und bin nicht mehr so belastbar. Und: Ich habe Angst, dass noch etwas passiert, habe Verlustängste. Ich bin nicht nur die Starke.
Woher nehmen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?
Enke: Zu einem großen Stück aus der Stiftung. Die Tragödie hat damit zumindest einen Sinn für andere.
Beratungs-Hotline: Tel. 0241 – 80 36 777 (mit bundesweiter Vermittlung von Therapieplätzen)
Konto: SSK Barsinghausen, IBAN: DE31 2515 1270 0000 1477 51