Carlos Paredes führt seine Tanzpartnerin Vivian Arenas über das Parkett. Zu den Klängen südamerikanischer Musik tanzen die beiden in fließenden Bewegungen einen Tango Argentino. Sie wirken wie eine Einheit: Durch kaum sichtbare Hinweise tanzt Vivian Arenas in die Richtung, in die Carlos Paredes sie führen möchte. Nach dem letzten Takt der Musik bleiben die beiden einen Moment ruhig stehen. Die 20 Tanzschüler, die ihre Lehrer fasziniert beobachtet hatten, klatschen.
Jeden Dienstagabend heißt es für Oscar Giménez und seine Tangoschule 'Blanco y Negro': Tanzunterricht im Gemeinderaum der Christengemeinschaft im Würzburger Stadteil Frauenland. Giménez kommt aus Erlangen und ist mit seinen Tangolehrern an fünf Tagen in der Woche in verschiedenen bayerischen Städten unterwegs, um dort Tangounterricht anzubieten. Genauer gesagt: Tango Argentino, die ursprüngliche Form des Tango.
Und wie der Tanz kommt auch Oscar Giménez aus Argentinien. Er ist seit den 1970er-Jahren in Deutschland und war bis 2014 Elektroingenieur. Ein Jahr später gründete er seine Tangoschule. "Mit dem Tango hatte ich nichts zu tun, bis meine Frau sagte: Du bist Argentinier, du musst Tango tanzen können", erzählt Giménez.
Der Tango Argentino ist anders als der europäische Tango
Er beschloss, Tanzunterricht bei verschiedenen Lehrern zu nehmen – und verfiel dem Bann des Tango: "Das ist wie eine Droge: Man wird mit der Zeit süchtig." Er erzählt von einem Tanzerlebnis, bei dem er die Musik so sehr fühlte, dass er vergaß, welche Schritte er gerade tanzte. Prägend: Giménez' Augen glänzen, wenn er davon berichtet. "Das hat mich sehr fasziniert. Ich bin überzeugt, dass die Menschen nach diesem Erlebnis suchen, wenn sie Tanzunterricht nehmen."
Der Tango Argentino könne genau dieses Erlebnis erzeugen. Denn der argentinische Tango ist anders als der europäische, den viele Tänzer noch aus den Schülerkursen kennen. "Der Tango in Europa ist viel zackiger. Im Tango Argentino sind die Bewegungen natürlicher." Ob es im argentinischen Tango Grundschritte gibt, darüber streiten sich die Tanzlehrer.
Lehrer Carlos Paredes ist Tango-Weltmeister
In der Tanzschule 'Blanco y Negro' ist das abhängig vom jeweiligen Lehrer. Oscar Giménez, der selbst nur in den Anfängerkursen assistiert, tauscht seine Lehrer regelmäßig. "Jeder Lehrer bringt einen anderen Schwerpunkt in den Tanzunterricht. Bei Carlos ist es vor allem die Kreativität", erklärt Oscar Giménez. Das sei für viele Tänzer etwas Besonderes. Vom Standardtanz kennen die meisten bestimmte Grundschritte, die sie auswendig lernen müssen. Nicht so bei Paredes' Interpretation des Tango Argentino. "Carlos bringt den Schülern bei, dass sie auf ihren Körper hören müssen. Wenn sie die Musik fühlen, können sie sich Figuren selbst ausdenken", so Giménez.
Das versucht Paredes den Kursteilnehmern näher zu bringen. Im Kreis stehen die Männer und Frauen um ihn herum, Paredes erklärt ihnen das Wichtigste. "Die Männer müssen führen. Sie bestimmen Abstand, Geschwindigkeit und Richtung", sagt Paredes in einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Spanisch und ergänzt: "Die Frauen müssen sich fallen lassen." Der gebürtige Kolumbianer führt eine Frau auf die Tanzfläche. Und er hält kurz inne. "Hast du Hunger?", fragt er die Frau und streckt seinen Bauch heraus. Die Tangoschüler lachen. Paredes schiebt den Bauch seiner Partnerin nach hinten und weist darauf hin, wie wichtig die Körperhaltung ist. Humor spielt in seinem Unterricht eine große Rolle.
Carlos Paredes ist seit anderthalb Jahren Lehrer an der Tanzschule. Mit den Schülern versteht er sich gut, herzlich umarmt er jeden Einzelnen zur Begrüßung. In der Tangoszene duzt man sich, Freundschaften entstehen schnell. Der gebürtige Kolumbianer ist eine echte Berühmtheit. Er wurde 2006 Weltmeister in der Kategorie 'Bühnentango'. Mit seiner Partnerin Diana Giraldo bildet er eines der wenigen nicht-argentinischen Paaren, die die seit 2003 ausgetragene Weltmeisterschaft bislang gewonnen haben. "Carlos ist trotz seines Titels nicht arrogant. Er ist er sehr locker, lacht viel und hat Spaß am Unterricht", sagt Oscar Giménez.
Viele Übungen sind für die Anfänger erst einmal schwierig
Seit Carlos Paredes in der Region unterrichtet, sind ihm viele kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Kolumbien aufgefallen. "Bei uns ist alles Tanz, alles ist Party. Das ist in Deutschland anders. Aber trotz der kulturellen Unterschiede: Der Tanz bleibt der gleiche." Für ihn sei es besonders wichtig, dass seine Schüler ein Körperbewusstsein entwickeln. "Die Menschen sollen etwas über ihren Körper lernen. Man muss den Kopf frei machen und mit dem Körper arbeiten." Was den Tango Argentino für ihn so besonders macht: Dass das Tanzpaar fast nie die umarmende Tanzhaltung verlässt und stattdessen sehr dicht beieinander bleibt.
An diesem Dienstagabend wird deutlich, dass der Tango kein einfacher Tanz ist: Los geht es mit dem Anfängerkurs. Zu Beginn stehen einige Trockenübungen an, mit denen Gleichgewicht und Balance geschult werden. Die Gruppe soll, auf einem Fuß stehend, Kreise mit dem anderen Fuß über den Boden ziehen. Diese Figur werden die Tänzer später benötigen. Das sieht bei vielen noch etwas wackelig aus. Daher hat Carlos Paredes auch einiges auszusetzen. "Popo nach hinten, der Fuß verlässt nie den Boden", ruft er den Teilnehmern zu. Seinem kritischen Blick entgeht nichts.
Die nächste Übung ist anstrengend: Die Tanzschüler sollen aus dem Oberschenkel heraus ihr rechtes Bein nach links hinten schwingen, "vom Boden zum Popo", wie Paredes erklärt. Die Kursteilnehmer kommen ins Schwitzen, doch Carlos Paredes lässt nicht locker: "Und nochmal, eins, zwei, drei, nicht absetzen!" Nach einer Viertelstunde ist er endlich zufrieden. Die meisten Teilnehmer atmen erleichtert auf. "Das wiederholt ihr als Hausaufgabe jeden Tag fünf Minuten. Okay?", ruft Paredes und lacht.
Die Tanzabende für den Tango Argentino heißen Milonga
Beim anschließenden Paartanz machen die Kursteilnehmer begeistert mit. Franz-Martin Lauter besucht seit langem die Kurse von Oscar Giménez, mittlerweile nicht nur als Schüler, sondern auch als Tanzpartner in den Anfänger- und Fortgeschrittenenkursen. "Carlos ist ein Ausnahmetalent und absolut bereichernd für den Unterricht." Lauter ist dem Tango ebenso verfallen wie Oscar Giménez. "Wer einmal mit dem Tango Argentino anfängt, der braucht keinen Standardtanz mehr."
Seine Leidenschaft gibt er inzwischen selbst als Lehrer an andere weiter: In einer Würzburger Tanzschule bietet er Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene an und organisiert in regelmäßigen Abständen sogenannte Milongas, Tanzabende, an denen nur Tango Argentino getanzt wird. Auch wenn er mittlerweile viel Erfahrung hat, tanzt er gerne mit Anfängerinnen. "Da muss man als Mann selbst viel führen. Fortgeschrittene wissen viel eher, in welche Richtung man möchte."
Was man mitbringen sollte, um Tango zu lernen? "Vor allem viel Spaß, nicht zu viel Ehrgeiz. Und immer locker bleiben", rät Oscar Giménez. Nach einem halben Jahr Unterricht könne man sich dann auf eine Milonga wagen – wie in jedem Tanz lernt man aber nie aus.