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WÜRZBURG
Superdoping fürs Kindergehirn
Märchen faszinieren: Karola Graf zieht in der Grundschule Dürrbachgrund die Schüler als Khalifa beim Erzählen in ihren Bann.
Foto: Norbert Schwarzott | Märchen faszinieren: Karola Graf zieht in der Grundschule Dürrbachgrund die Schüler als Khalifa beim Erzählen in ihren Bann.
Von unserem Redaktionsmitglied REGINA URBON
 |  aktualisiert: 30.05.2013 17:18 Uhr

Da bekommen sogar Erwachsene Gänsehaut! Wenn Karola Graf, bekleidet wie eine Khalifa aus 1000 und eine Nacht auf ihrem stoffbeschlagenen Stuhl mit dem Glöckchen klingelt: „Mit dem kleinen Glöckchen hier öffnen wir die Märchentür“, sagt sie geheimnisvoll leise, „und wir alle geh'n zugleich in ein Märchenreich.“ Eine Kerze in der Mitte des Kreises, den die Drittklässler der Grundschule Dürrbachgrund bilden, wird angezündet, und Ella aus der Klasse 3 a darf den alten Koffer öffnen. Sie tut es langsam, gespannt. Im Koffer befindet sich eine Pfanne, die die Achtjährige jetzt heraushebt.

„Märchen wecken positive Gefühle“
Schulleiter Horst Peter

Das Geschehen spielt sich beim Projekt „Sprache – sprechen – erzählen – schreiben mit Märchen“ ab, das die beiden Grundschulen Dürrbachgrund und Heuchelhof miteinander in Angriff genommen haben. Ziel ist es, durch das Erzählen, Zuhören und Weitererzählen von Märchen und Mythen die Sprach- und Erzählkompetenz der Kinder positiv zu beeinflussen. Schulreferent Muchtar Al Ghusain und Lehrkräfte der Grundschule Heuchelhof kamen zu einer Präsentation der pädagogischen Arbeit in die Dürrbachtal-Grundschule, ebenso Vertreter von Sponsoren wie der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur und zahlreiche Eltern.

„Krick, krack, der Schlüssel dreht sich und kracht. Die Märchentür, die öffnet sich.“ Nach einer kleinen Pause sind es die Kinder, die jetzt loslegen: „Es waren einmal drei alte Weiber, die wollten einen Pfannekuchen backen. Als der Pfannekuchen fertig war, richtete er sich auf und lief in den Wald hinein. Der Hase Wippschwanz sagte: ,Ich will dich fressen, bleibt steh'n...“, und so erzählt immer ein anderes Kind die jeweils neue Station des Pfannkuchens und wiederholt das bisher Gesagte.

„In manchen Klassen haben wir 80 bis 90 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund“, sagt die stellvertretende Schulleiterin der Heuchelhof-Grundschule, Barbara Bartsch. „In der Schule sprechen die Kinder Deutsch, aber sehr unterschiedlich. Verstehen ist für sie eine Herausforderung, auch Text und Schriftsprache.“

Der gastgebende Schulleiter in Unterdürrbach Horst Peter ist sicher: „Die Märchen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Integration. Sie erweitern nicht nur die Sprach- und Erzählkompetenz unserer Kinder, sondern treffen auch ihre Seele, wecken positive Gefühle, wecken ihre Fantasie. Märchenerzählen ist Superdoping für ein Kindergehirn.“

Peter berichtet, dass sogar all zu quirlige Schüler in der Erzählstunde ganz ruhig sitzen. Die Kinder lernen Sprache: Die zirpenden Grillen haben mit dem Grillen im Garten nichts zu tun und die sieben Geißlein nichts mit Geistern, die Kohlköpfe nichts mit Kohle und so weiter. Sie lernen Geduld, haben Ideale im Sozialverhalten, fassen Bilder in Worte und kommen so ins Gespräch, auch über Satzbildung und Wortklang. Viele bringen Märchen ihrer Eltern mit, oft aus fremden Ländern. „Uns geht das Herz auf, wenn wir die Kinder dabei beobachten“, so Peter. „Augen und Münder stehen offen“, sagt Barbara Bartsch.

Am Ende des Märchens hüpft der Pfannkuchen freiwillig in den Korb armer Kinder und lässt sich aufessen. Das Märchen von Rapunzel folgt an diesem Vormittag eben so spannend für die Erstklässler, und man höre und staune: Nicht nur Grundschüler sind angetan von diesen Erzählungen, sondern auch Jugendliche, berichtet die Märchenerzählerin. Manchmal gelingt es ihr, die Schüler mit Märchen aus dem Heimatland migrierter Klassenkameraden in ihren Bann zu ziehen. „Ich spreche ihre Herzen an“. Grundsätzlich ist sie vor Pubertierenden „Storyteller“: Auf Englisch ist doch alles gleich viel interessanter! Selbst in zehnten und elften Gymnasialklassen zieht sie Märchenprojekte im Leistungskurs Deutsch durch, dann eher im Sinne von Märchenforschern.

Auch Heidi Andriessens und Elisabeth Köhler sind Märchenerzählerinnen im Projekt. Sie haben ihr Hobby zum Beruf gemacht, nicht nur, weil die Märchen schon ihre eigenen Kinder fasziniert haben, sondern auch, weil sie überzeugt sind, dass Märchen einen Großteil zur Lebensbewältigung beitragen.

 
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