Die Kornkammern Europas befinden sich im Krieg und die Welt bangt um ihre Ernährungssicherheit: Die EU-Kommission hat deshalb im März die Weichen für eine Krisenproduktion in der Landwirtschaft gestellt. Bauern in der EU sollen im Sommer 2022 für Umweltschutz vorgesehene Ackerflächen nutzen dürfen, um dort Nahrungs- und Futtermittel anzubauen.
Doch Deutschland will die vorgeschlagenen Maßnahmen nur teilweise umsetzen. Das sieht eine vom Bundesrat gebilligte Verordnung von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) vor. Warum manche unterfränkischen Landwirtinnen und Landwirte diesen Schritt als vertane Chance kritisieren - und anderen die Regelung nicht weit genug geht.
Warum hat die EU-Kommission die Weichen für eine Krisenproduktion in der Landwirtschaft gestellt?
Der Beschluss der EU-Kommission soll den Mitgliedstaaten ermöglichen, Maßnahmen für die weltweite Ernährungssicherheitzu ergreifen. Zwar sei die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in der EU derzeit nicht gefährdet, so die Kommission, allerdings kommt es laut Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis weltweit "zu zahlreichen Problemen".
Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine werden vor allem für ärmere Länder verheerende Folgen befürchtet. Die Ukraine und Russland sind wichtige Produzenten von günstigem Getreide, vor allem von Weizen. Die beiden Länder liefern nach Angaben der EU-Kommission zusammen rund 34 Prozent des Weizens für die Weltmärkte.
Welche Ausnahmeregelungen stellt die EU jetzt in Aussicht?
Die EU-Kommission bietet den Mitgliedstaaten eine "außergewöhnliche und befristete Ausnahmeregelung" an, um die "Erzeugung von Nahrungs- und Futtermittelpflanzen auf Brachflächen zuzulassen". Aufgrund bisheriger EU-Auflagen durften diese Vorrangflächen nur im Interesse der Umwelt genutzt werden. Für das Jahr 2022 erlaubt die EU ihren Mitgliedstaaten nun aber, diese Regelung ausnahmsweise auszusetzen.
Was galt bisher für Brachflächen und wie viele davon gibt es in Unterfranken?
"Brachflächen" sind laut Herbert Siedler vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kitzingen-Würzburg (AELF) "ökologische Vorrangflächen (ÖVF)". Diese müssten von den Landwirtinnen und Landwirten "im Umweltinteresse genutzt werden" - zum Beispiel zum Erhalt von Hecken oder als Pufferstreifen zu Gewässern. Laut Siedler sind in Unterfranken "5307 Hektar brachliegende Flächen als ÖVF" ausgewiesen.
Stefan Köhler, Präsident des unterfränkischen Bauernverbands (BBV), merkt an, dass erfahrungsgemäß nur "schlechtere Standorte mit einem geringeren Ertragspotenzial für ÖVF genutzt" würden, um den wirtschaftlichen Ertragsausfall so gering wie möglich zu halten.
Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) sieht derzeit vor, dass Landwirte, die mehr als 15 Hektar Ackerland besitzen, fünf Prozent ihrer Flächen im Umweltinteresse stilllegen müssen. Ab 2023 soll die Regelung dahingehend angepasst werden, dass Bauern, die mehr als zehn Hektar Ackerland besitzen, vier Prozent davon zu ÖVP machen müssen.
Warum setzt Deutschland die EU-Ausnahmeregelung nicht komplett um?
In Deutschland hat der Bundesrat die Umsetzung des Beschlusses der EU-Kommission zur Nutzung von Brachflächen nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt. So sollen die betroffenen Flächen ab 1. Juli ausschließlich freigegeben werden, um Gras und andere Futterpflanzen zu mähen oder Weidevieh darauf grasen zu lassen. Dies soll den Preisanstieg beim Futter für die Betriebe abfedern.
Sieben Bundesländer – darunter auch Bayern – hatten sich im Bundesrat dafür ausgesprochen, die Brachflächen auch zur Nahrungsmittelproduktion zu nutzen. Özdemir hielt an seiner Regelung fest: Es sei gut, dass der Bundesrat mit Änderungen der Verordnung nicht so weit gegangen sei. Denn eine völlige Freigabe des Anbaus und die unter anderem geforderte Erlaubnis zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf den ÖVF hätten erhebliche negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt.
Wie reagieren andere EU-Mitgliedstaaten?
In Österreich setzt die dortige Bundesregierung die Ausnahmeregelung zur Nutzung ökologischer Vorrangflächen zur Lebensmittelproduktion um. Auch Frankreich, Polen, Spanien und Italien wollen Brachflächen zum Anbau von Lebensmitteln nutzen.
Was sagt der unterfränkische Bauernverband zur Entscheidung des Bundesrats?
Der Bauernverband zeigt sich über den Schritt empört. Aufgrund der aktuellen Preissituation würden die Landwirtinnen und Landwirte davon profitieren, wenn Lebensmittel auf den Vorrangflächen produziert werden könnten, sagt Köhler. Bei einer frühzeitigen Freigabe der Flächen hätte beispielsweise Sommerweizen angebaut werden können - dies wäre ein Beitrag zur Ernährungssicherheit gewesen.
Da sich die Regelung der Bundesregierung nun aber lediglich auf Futterpflanzen beziehe, könne man auf den Brachflächen nur Klee- oder Weidegras ansäen. "Viel wichtiger wäre es aber gewesen, Lebensmittel produzieren zu dürfen", so Köhler. Doch dazu sei es inzwischen zu spät, da die Aussaat bereits hätte erfolgen müssen.
Was halten Bio-Landwirtinnen und -Landwirte aus Unterfranken von dem Beschluss?
Bio-Landwirtinnen und -Landwirte begrüßen die Entscheidung des Bundesrates. "Das ist aus meiner Sicht ein gutes Kompromissangebot", sagt Eberhard Räder, Biolandwirt aus Bastheim und ehrenamtlicher Sprecher der ARGE Biobauern Rhön-Grabfeld, einer Arbeitsgemeinschaft aller Biobauern im Landkreis. Die Nutzung der Brachflächen zur Futtergewinnung ohne die Verwendung von Pestiziden hält er für richtig. Dies könne indirekt auch für etwas Entspannung auf dem Lebensmittelmarkt sorgen, weil so die Versorgung von Nutztieren gesichert werde.
Hätte eine komplette Umsetzung des EU-Maßnahmen-Pakets in Deutschland den Getreide-Ausfall durch den Krieg in der Ukraine abfedern können?
Da in Deutschland genügend Getreide vorhanden sei, ließen sich die steigenden Lebensmittelpreise in diesem Bereich noch gut abfangen, sagt Stefan Köhler vom BBV. Doch gerade für nordafrikanische Staaten sei die derzeitige Situation gefährlich. Hinzu kämen Umweltfaktoren wie die Gefahr größerer Dürreperioden aufgrund des Klimawandels, die wiederum zu weiteren Ernteausfällen führen könnten. "Insofern haben wir in Deutschland zwar genug Weizen, könnten aber dennoch durch Flüchtlingswellen und Nahrungsmittelhilfen sehr stark wirtschaftlich betroffen sein - obwohl wir uns die höheren Lebensmittelpreise leisten können."
Laut Köhler decke ein Hektar Getreide-Acker "den Pro-Kopf-Bedarf von rund 85 Menschen". In Deutschland würde auf insgesamt 11,5 Millionen Hektar Getreide angebaut. Wenn davon bis 2023 vier Prozent stillgelegt werden müssten, "dann wird für 39,1 Millionen Menschen kein Getreide in Deutschland produziert". Dies sei zwar eine Überschlagsrechnung, zeige aber die Auswirkungen, wenn zeitgleich aus der Ukraine oder Russland kein Getreide mehr käme.
Bio-Landwirt Räder hält dagegen: "Bei den Brachflächen handelt es sich in der Regel um ohnehin eher ertragsarme Standorte." Der Mehrertrag stünde seiner Meinung nach in keinem Verhältnis zum Schaden an der Biodiversität. Nicht die Nahrungsmittelknappheit stelle im Hinblick auf den Hunger in der Welt das eigentliche Problem dar, sondern die ungerechte Verteilung der Lebensmittel. Zu viel werde weggeworfen oder lande im Futtertrog. Dies seien die Hebel, an denen man ansetzen müsse.
Die weltweite Bevölkerungsexplosion in den letzten Jahrzehnten ist auch darauf zurückzuführen.
Und nur, weil jetzt die globale Ernährung ins Wanken gerät, weil sich eben der abartige Oberruzze nicht mehr an international übliche Gepflogenheiten gebunden fühlt, deswegen sollen wir in Deutschland jetzt die paar wenigen ökologischen Vorrangflächen wieder der Agrarindustrie opfern???
Das wäre ein absolut dummer Rückschluß.
Nachhaltiger Wirtschaften, weniger Fleisch, weniger Fertigfresschen, gesündere Lebensweise und selber Kochen, da könnte man die Lösung für manches Problem verorten !
Nahrungsmittel gibt's genug für alle Menschen, aber halt kein Rinderhüftsteak täglich für Jede*n.
Wenn nicht werden wir eine Völkerwanderung apokalyptischen Ausmaßes bekommen , oder eine Hungersnot die in Geschichtsbüchern eingehen wird.
Auch wir als Mitteleuropäer habe jetzt die elementare Aufgabe die Welt mit zu ernähren.
Siehe die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine 🇺🇦. Hunger schlägt Ideologie.
Hauptsache die grüne Ideologie bleibt an Bord!
Wo die Union nur mekkert und mehr Stillstand als Fortschritt zu erkennen war.
Ich finde es gut einen Grünen als Landwirtschaftsminister zu haben.
Es kommt mehr Bewegung in und frischer Wind in die Landwirtschaftspolitik.
Mit Besuchen von Biobetrieben, die zweifelsohne ihre Berechtigung haben, kann ich keine Bevölkerung ernähren!
Es geht auch nicht ums wegwerfen!
Es geht darum zu verstehen, wie das Wachstum ist, wie Fruchtfolgen funktionieren und wie Landwirtschaft wirklich, frei von Vorurteilen und Ideologien funktioniert!
Und ich wette, dass die meisten das auch nicht wirklich wissen!
Wir Umweltschutz geht immer vor!
Was spielt es für eine Rolle ob wir oder andere Hungern, wenn wir nur noch 3 Jahre zum Leben haben, wenn wir nichts unternehmen!
Wir sollten alle für die Rettung der Welt in den Hungerstreick treten!
Warum spricht keiner über die 11 Mio Tonnen Lebensmittel die in Deutschland weggeworfen werden. Erinnere nur an die Artikel im letzten Jahr in der Mainpost.
400 to Kartoffel in Fährbrück die niemand wollte. 100 to Karrotten in Mühlhausen.
Bitte mal in die Lagerflächen der Silos der Biogasanlagen im nördlichen Landkreis Wzb schauen.
Immer wieder ganze LKW Ladungen mit Kartoffeln, Karotten , Zwiebeln oder Kraut vom letzten Jahr das nicht verwertet wird.
In Indien gehen Nacht Schätzungen über 50 % der Getreideernte durch Nagerbefall und schlechte Lagerräume, sprich Feuchtigkeit und Schimmelbefall verloren.
Hier muß man ansetzen und nicht noch mehr den Globus ausbeuten.
Wenn man ein Feld besitzt und das mein Eigentum ist, da baue ich an, was für mich oder andere nötig ist.
Ich glaube eher, es wird so viel weggeworfen, weil es so billig ist. Oder anders gesagt: es muss weiterhin so billig bleiben, damit man es sich leisten kann, es wegzuwerfen.
Es gibt viele unsinnige Vorschriften die dafür sorgen, dass viele Lebensmittel erst gar nicht beim Verbraucher landen. Ob das nun Kartoffeln, Tomaten, Äpfel, oder sonst was sind: alles, was nicht in bestimmtes Raster passt, wird ausgesondert. Fragen Sie mal die Gemüsebauern entlang des Mains, wie viele Tomaten weggeworfen werden müssen, weil sie nicht rund, sondern oval sind.
Hier muss sich auch der Verbraucher an die eigene Nase fassen, woran es wo liegt, dass er keine ovalen Tomaten im Supermarkt Regal akzeptiert.
Solange dieser Schwachsinn praktiziert wird, kann's uns so schlecht nicht gehen.