Männer fordern von Frauen eine übersteigerte Sexualität, Frauen erfüllen diese Forderung auf selbstzerstörerische Weise. Anderes Thema: Nützlichkeit macht alle anderen Qualitäten von Dingen unsichtbar; aber Künstler verfremden Dinge, um sie wieder ganz sichtbar zu machen. Betrachterinnen und Betrachter einer solchen Kunst werden durch die neu gesehenen Dinge sensibilisiert, nicht nur für die Außenwelt, sondern auch für die innere. Männliche Betrachter können sich leichter selbst hinterfragen, auch ihre Forderungen an Frauen. Manches kann gut werden.
Derlei kann die Ausstellung "Strange Cargo" von Ingrid Honneth leisten, die seit Mittwoch in der Kunstvereins-Galerie Arte Noah hinterm Kulturspeicher hängt und steht. Kunsthistorisch gesehen ist sie eine Adaption von Marcel Duchamps Arbeitskomplex "Junggesellenmaschine", wie der Künstlerinnengatte Andreas Honneth bei der Vernissage erläuterte.
Befremdlich hergerichtete Schaufensterpuppen
Zwei dieser Junggesellen betreten die Ausstellung in Form von befremdlich hergerichteten Schaufensterpuppen. Ihnen diagonal gegenüber steht die aufgedonnerte Frauenplastik "Vanitas-Eitelkeit-Verblendung", die sich mit den daneben stehenden überdimensionalen Lippenstiften den Mund blutig gerieben hat. Halb hinter einem Vorhang liegt ihre Schwester Annabelle in Stücke geschnitten, unter anderem von der "Axt für das gefrorene Meer in uns", so der Werktitel eines überdimensionalen Beils, ein Zitat von Franz Kafka. Die vordere Hälfte des Schiffs ist die männliche, die hintere die weibliche.
Doch es geht nicht in allen Exponaten Honneths so martialisch zu. Gut zwei Meter hohe Skulpturen von Streichhölzern in verschiedenen Graden der Abgebranntheit, eine halbe Wand voller riesiger Schlüssel – diese Werke protestieren laut Andreas Honneth dagegen, "alles auf das Maß des Menschen zu reduzieren"; vielmehr gelte es, "Nützlichkeit zu verweigern".
Niemand muss wissen, was die Künstlerin uns sagen will
So viel Bedeutung und intellektuelle Arbeit auch in dieser seltsamen Ladung der Arte Noah steckt, so einfach wird sie doch, wenn man sich einfach auf sie einlässt. Heißt, niemand muss wissen, was die Künstlerin uns sagen will. Gerade wenn man diese Werke erst einmal nicht versteht, beginnen sie zu wirken – im Staunen der Augen von Betrachtenden. Möglicherweise beginnt so der reinigende, karthartische Effekt unseres Anfangsabsatzes.
Wer handfestere Informationen braucht: Honneth (71) ist die Zwillingsschwester der Jungen Wilden Elvira Bach. Sie studierte nach ihrer bühnenbildnerischen Tätigkeit – u. a. am TAT Frankfurt – Theaterwissenschaft in Berlin. Heute lebt sie in ihrer alten Heimatstadt Bad Soden im Taunus. Sie bekam internationale Stipendien und stellte interkontinental aus.
"Strange Cargo" ist bis 4. Juni donnerstags bis samstags, 15 bis 18 Uhr, auf der Arte Noah im Alten Hafen zu erleben, sonntags von 12 bis 18 Uhr.