In keiner bayerischen Stadt ist das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus so flächig präsent wie in Würzburg: Hier liegen mit Abstand die meisten „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig: 490 quadratische Steine mit Messingplatten wurden seit Juli 2006 in der Stadt verlegt. An diesem Donnerstag kommen weitere 22 hinzu.
Stolpersteine vor Wohnhäusern und Arbeitsstätten
Jeder einzelne Stein erinnert vor früheren Wohnhäusern oder Arbeitsstätten an Würzburger Frauen und Männer, die dem nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungswahn zum Opfer fielen.
Für Demnig (69) sind die Stolpersteine ein Lebenswerk, zu finden sind sie mittlerweile deutschlandweit in mehr als 1000 Orten sowie in 20 europäischen Ländern. Demnig zitiert den Talmud: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ Er wolle die Namen der NS-Opfer zurückholen – an Orte, wo sie gelebt haben.
Würzburger Arzt Werner Heyde: Freigabe zur Ermordung
An 14 Stellen in Würzburg werden am Donnerstag ab 9 Uhr weitere 22 Stolpersteine verlegt. Sie erinnern an ermordete jüdische Mitbürger und an Opfer der so genannten „Euthanasie“, die in Würzburg mit dem Arzt und Gutachter Werner Heyde besondere Bezugspunkte hatte.
Heyde war von 1939 bis 1945 Direktor der Uni-Nervenklinik und bis 1941 medizinischer Leiter der „Aktion T 4“ zur Ermordung von rund 70 000 psychisch kranken Patienten und Behinderten.
Erinnerung an polnischen Zwangsarbeiter Andrzej Rostecki
Martin Krupinski, Leiter der forensischen Psychiatrie, und Medizinhistorikerin Karen Nolte gehen davon aus, dass Heyde per Gutachten nicht nur Todesurteile unterschrieben hat, sondern in einem Fall direkt an der Ermordung beteiligt war: bei dem polnischen Zwangsarbeiter Andrzej Rostecki. Er wurde nur 24 Jahre alt.
Für ihn wird um 14 Uhr vor der Psychiatrischen Klinik am Margarete-Höppel-Platz 1 (früher Füchsleinstraße) ein Stolperstein verlegt. Die Patenschaft hat die forensische Abteilung übernommen.
Rostecki war einer von 32 polnischen Zwangsarbeitern, die in den 40er Jahren in die Nervenklinik aufgenommen wurden. Wie der Arbeitskreis Stolpersteine recherchiert hat, geben die Patientenakten Einblick in die „harten Arbeitsbedingungen, Gewalt und Willkür im Alltag der überwiegend in der Landwirtschaft eingesetzt Polen und Polinnen“.
Heyde gab dem Patienten die Todesspritze wohl persönlich
In der Gestapo-Akte Rosteckis ist eine Anfrage an Klinikleiter Heyde dokumentiert, ob er den Patienten mit einer Spritze exekutieren könne. Heyde lehnte mit Blick auf die Außenwirkung für die Klinik ab, erklärte sich aber „jederzeit bereit, außerhalb der Klinik in der jeder Weise hierzu behilflich zu sein. Es könnte dies an irgendeinem anderen Ort oder auf dem Transport geschehen.“
Rostecki wurde am 8. Juli 1942 auf dem angeblichen Weg zum Amtsarzt von einem Arzt - vermutlich Werner Heyde – mit einer Spritze getötet.
Lesung am Donnerstagabend in der Posthalle
Die Abendveranstaltung zur 23. Stolpersteinverlegung findet als Lesung an diesem Donnerstag um 19.30 Uhr in der Posthalle statt – in der Nähe der Bahngleise, aus Anlass der 75. Jahrestage der Deportationen von 1941/42. Titel: „Das Unsagbare beschreiben – Stimmen jüdischer NS-Opfer aus Unterfranken“. Auch Bahn-Vertreterin Susanne Kill, Leiterin der Konzerngeschichte, wird sprechen, der Valentin-Becker-Chor singt.
Eine informative und erschütternde Ausstellung (“erfasst, verfolgt, vernichtet“)über die Ermordung von kranken und behinderten Menschen im Nationalsozialismus ist noch bis 18.August im Lichthof der Neuen Universität am Sanderring 2 zu sehen.