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WÜRZBURG
Stock und Handy weisen den Weg
In fremder Umgebung nutzt Cem Tören neben dem Weißen Stock die Navigations-App seines Smartphones, um ans Ziel zu kommen.
Foto: Marcus Meier | In fremder Umgebung nutzt Cem Tören neben dem Weißen Stock die Navigations-App seines Smartphones, um ans Ziel zu kommen.
Das Gespräch führte Marcus Meier
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:16 Uhr

Würzburg Die Woche des Sehens geht an diesem Samstag, 15. Oktober, mit dem bundesweiten Tag des weißen Stocks zu Ende. Cem Tören hat solch ein Hilfsmittel, um sich als Blinder in fremder Umgebung zurecht zu finden. Der 26-jährige Würzburger berichtet über seine Blindheit, die Bedeutung des weißen Stocks, den Nutzen neuer Hilfsmittel und über Vorurteile gegenüber Menschen mit Seheinschränkung.

Frage: Wie wichtig ist für Sie der weiße Stock – von vielen auch Blindenstock oder Langstock genannt?

Cem Tören: Der weiße Stock ist für mich als blinder Mensch das Hilfsmittel schlechthin. Er gibt mir Sicherheit. Damit weiß ich, was unmittelbar vor mir ist. Mit ihm kann ich mich orientieren.

War es für Sie schwer, den Langstock als Hilfsmittel zu akzeptieren?

Tören: Das war es. Vor acht Jahren fing es ziemlich schleichend mit meiner Seheinschränkung an. Vor allem bei Dunkelheit hatte ich Probleme. Es war anfangs natürlich extrem uncool, plötzlich mit einem Blindenstock herum zu laufen. Inzwischen stehe ich dazu und weiß den Riesennutzen sehr zu schätzen.

Gab es auch mal Probleme damit?

Tören: Vor drei Jahren stieg ich an der Würzburger Juliuspromenade in die Straßenbahn ein. Als ich halb drin war, ging plötzlich die Tür zu. Mir ist zum Glück nichts passiert, aber mein Langstock fuhr Richtung Bahnhof davon. Ich hatte nur noch den mickrigen Stumpf in der Hand. Ohne Langstock bist Du als blinder Mensch immobil. Ich hatte zum Glück einen sehenden Freund dabei.

Seitdem habe ich immer einen zweiten Langstock als Ersatz dabei.

Welche Hilfsmittel nutzen Sie außer dem weißen Stock noch?

Tören: Neben dem weißen Stock habe ich das Smartphone als Universalhilfsmittel entdeckt. Mit der Sprachausgabe und einiger Übung klappt das richtig gut.

Wie profitieren Sie davon?

Tören: Ich nutze es vorwiegend zur Navigation in fremder Umgebung. Zurzeit mache ich eine Ausbildung zum Physiotherapeuten in Mainz und Nürnberg. Dort nutze ich die App „Blind Square“. Sie ist auf 20 Meter genau und sagt mir über das Smartphone ziemlich genau an, wo es lang geht. Weitere Funktionen sind Farberkennung, Fahrpläne aufrufen, das Einscannen und Lesen von Speisekarten, Geldscheine oder Gegenstände erkennen.

Wie funktioniert das?

Tören: Ich fotografiere den unbekannten Gegenstand. Nach kurzer Zeit beschreibt mir das Smartphone die Sache, die vor mir steht. Ich mache es mal vor. (Tören ertastet ein auf dem Tisch stehendes volles Glas und fotografiert es mit seinem Smartphone. Nach kurzer Zeit meldet die Sprachausgabe: „Trinkglas mit brauner Flüssigkeit.“ Cem Tören muss lachen). Aha, wahrscheinlich Cola.

Geben Sie Ihr Knowhow zum Smartphone an Betroffene weiter?

Tören: Ja. Ich bin Referent für elektronische Hilfsmittel beim Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund und als solcher gebe ich unter anderem Workshops zum blindheitsgemäßen Umgang mit Smartphones und Tablets. Meine älteste Teilnehmerin war 84 Jahre alt und ist ganz begeistert von den Möglichkeiten der neuen Technik.

Wie stehen Sie zu Initiativen wie der „Woche des Sehens“ und dem heutigen „Tag des weißen Stocks“?

Tören: Ich finde es gut, dass es Tage gibt, an denen man auf die Belange von uns blinden Menschen aufmerksam macht. So kann man eventuelle Vorbehalte zwischen sehenden und sehbehinderten Menschen abbauen.

Was können „Sehende“ im Umgang mit blinden Menschen besser machen?

Tören: Behinderte Menschen aufmerksam behandeln und ihnen auf Augenhöhe begegnen. In der Würzburger Fußgängerzone zum Beispiel latscht man mir manchmal über den Langstock, was sehr irritierend ist. Oder Leute stehen an der Bushaltestelle auf den tastbaren Aufmerksamkeitsfeldern, die mir Orientierung geben. Andererseits weiß ich, dass es auch blinde Menschen gibt, die ihr Handicap zu sehr in den Mittelpunkt stellen und übertriebene Sonderrechte einfordern. Das ist auch nicht immer das, was ich unter Augenhöhe verstehe.

 
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