Der Himmel ist bedeckt an diesem Morgen im Weinparadies, man kann eine Jacke gut brauchen. Doch die Stimmung ist ausgelassen wie bei einem Klassentreffen oder einem Kindergeburtstag: Es ist Weinlese bei den Langmanns, die in Uffenheim wohnen, aber ihre Weinberge in Bullenheim haben.
Seit Jahrzehnten kommen immer wieder die gleichen Helfer zur Lese. Für Manche ist es das einzige Treffen im Jahr. Es gibt zwei Geheimnisse, warum das funktioniert: „Die Kuchen von Mama sind legendär“, hat die Fränkische Weinkönigin Kristin Langmann schon an anderer Stelle geschwärmt. Ihr Papa Wilfried nennt einen zweiten Grund: „Wir nehmen uns nie zu viel vor. Es soll nicht endlos gehen.“ Ein Drittel Hektar zu zwölft – da ist von 8.30 Uhr bis kurz vor eins alles gelesen. Und es bleibt Zeit fürs Wesentliche: Schoppen und Vesper, Kaffee und Kuchen.
Am Morgen drückt mir Ruth Langmann eine Rebschere in die gelben Gummihandschuhe. „Vorsicht auf die Finger. Das Ding ist messerscharf“, gibt mir die Mama der Weinkönigin mit auf den Weg. Heute ist Domina dran, die Bedingungen für mein „erstes Mal“ könnten nicht besser sein: Bedeckter Himmel, weder zu heiß noch zu kalt, und es wird Domina gelesen. „Das macht richtig Spaß,“ sagt Wilfried Langmann. „Da sieht man die Trauben gut, muss nicht so genau hinschauen und suchen wie bei Weißwein.“
Mir gegenüber schneidet Kristin Langmann Trauben ab – man merkt ihr die Routine an: Schon als kleines Kind ging sie mit ihrer Schwester Anna-Lena mit zur Weinlese. Trotzdem haben beide noch alle zehn Finger. „So arg viel gearbeitet haben wir damals ja nicht, eher rumgespielt. Wir waren schon deshalb dabei, weil alle Erwachsenen zur Lese gebraucht wurden und zu Hause ja niemand zum Aufpassen gewesen wäre.“
Und schon gibt es leise Kritik an meiner Arbeit: „Wenn du den Eimer richtig unter die Zeile stellst, fallen die Trauben direkt rein.“ Schneller werde ich danach allerdings nicht: Jetzt treibt mich der Ehrgeiz an, dass die Trauben immer direkt reinfallen in den Eimer, wie beim Basketball in den Korb. Wenigstens ist die Trefferquote recht ordentlich.
Hinter mir herrscht munteres Stimmengewirr. „Was macht denn das Baby?“ „Sie brabbelt und macht Lärm. Reden dauert noch ein bisschen.“ „Weißt du, wie's der Ingrid geht?“ „Wo bleibt denn der Wilfried, die Eimer sind voll?“ „Der steht unten und räbert mit die Leut'“. Gelächter, die Stimmung ist blendend, der Flachs blüht. Wilfried fährt den Schlepper mit dem großen Bottich, in den die vollen Eimer gekippt werden. Und der Chef lädt die Trauben nachher auf den Hänger um, mit dem sie später zur GWF-Kelterei nach Iphofen gebracht werden.
Die Weinkönigin ist ungeduldig: Mir gefällt es, eine neue Seite an ihr kennen zu lernen. „Es macht mich fuchtig, wenn das mit den vollen und leeren Eimern nicht perfekt klappt. Deshalb arbeite ich gerne in der Zeile, wo der Schlepper steht. Mir macht es Spaß, die vollen Eimer in den Bottich zu kippen. Dann habe ich alles selber im Griff.“
Ich spüre zum ersten mal leichtes Kreuzweh. Und ein komisches Ziehen in der rechten Hand vom Trauben-Schneiden. Was mich verblüfft: Innerhalb einer Zeile hängen einmal Reben, wo der Eimer im Nu voll ist. Und nur ein paar Schritte weiter sind die Trauben klein, ist viel Grün – und man schneidet sich die Finger wund, ohne dass der Eimer sich füllt. „Das hat mit dem Boden zu tun, mit Windeinfall, auch wo bewässert wurde. Wir kennen die Stellen, das ist jedes Jahr ähnlich“, erläutert Ruth Langmann. Von ihr schaue ich mir ab, an den schwierigeren Ecken erst Blätter abzureißen, damit man die Trauben wenigstens besser sieht.
Meine Frustphase ist zum Glück kurz - schon bin ich wieder an einem Platz, wo alles voll hängt. Als Papa Wilfried mir zuliebe die Vesper vorziehen will, gibt es Protest: „Wir machen erst alles fertig. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, sind sich die drei Damen des Hauses Langmann einig – ebenso die übrigen Helfer, mich eingeschlossen.
Die letzten drei Zeilen sind im Nu gelesen, dann folgt der Höhepunkt jeder Lese, das Zusammensitzen bei Wurst und Käse, Brot und Brötchen, Schoppen und Wasser, Gurken und Tomaten. Papa Wilfried ist mit dem Refraktometer zugange, lässt mich ablesen: 105 Oechsle, dann 98, dann 102. „Rund 100, das ist sehr gut. Hätte es etwas mehr Regen gegeben, wäre es ein Spitzenjahrgang geworden.“
Beim Essen wird wieder gescherzt und gelacht, auch, als ich frage, ob es ein Ritual für Neulinge gibt. „Es reicht, wenn alle Finger dran sind“, ruft jemand, es gibt Gelächter. Mama Ruths Zwetschgenkuchen hat tatsächlich Suchtpotential. Mehr Lob geht nicht von einem, der Kuchen fast immer verschmäht, lieber noch ne Portion Schweinshaxe mehr futtert oder Kloß mit Soß'.


