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WÜRZBURG
Starke Mütter gegen Radikalisierung der Kinder
Syrien-Konflikt       -  Rauch ist über den Dächern eines Gebiets im Süden der Stadt Damaskus (Syrien) zu sehen, in dem sich Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im vergangenen April verschanzt hatten. Es gab Tote. Damit Mütter es rechtzeitig erkennen, wenn ihre Kinder im Begriff sind, sich zu radikalisieren, gibt es Angebote wie die MotherSchool.
Foto: Hummam Sheikh dpa | Rauch ist über den Dächern eines Gebiets im Süden der Stadt Damaskus (Syrien) zu sehen, in dem sich Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im vergangenen April verschanzt hatten. Es gab Tote.
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 27.04.2023 06:48 Uhr

Seit einem Jahr gibt es in vier unterfränkischen Kommunen eine „Mother School“, eine „Mutterschule“: in Würzburg, Schweinfurt, Aschaffenburg und Erlenbach am Main. Mit ihnen wollen die Städte Müttern helfen, eine mögliche Radikalisierung ihrer Kinder frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern.

Kommunikations- und Konfliktfähigkeit schulen

Das bayerische Familienministerium hat die vier Mother Schools initiiert, es bezuschusst sie auch. Familienministerin Kerstin Schreyer begründet das Engagement in einer Pressemitteilung: radikale Ideologien stellten die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage und zerrütteten Familien. Deshalb wolle ihr Ministerium Mütter „sensibilisieren und im Umgang mit ihren heranwachsenden Jugendlichen stärken“. Dazu gehöre, ihnen Wissen über die psychosoziale Entwicklung von jungen Menschen zu vermitteln und ihre Kommunikations- und Konfliktfähigkeit schulen. All das täten die MotherSchools. „Sie sind damit“, so Schreyer, „für mich eines der wichtigsten Präventionsprojekte.“

In diesem Jahr will jede der vier Städte zwei „Mutterschulen“ durchführen. In Würzburg steuert Schreyers Ministerium 30.000 Euro dazu.

Islamischer Extremismus in Würzburg nicht bekannt

Islamischen Extremismus gibt es dem bayerischen Verfassungsschutzbericht zufolge in Würzburg nicht. Dennoch nahmen an der ersten MotherSchool mehrheitlich muslimische Mütter teil. Heike Mix vom Sozialreferat berichtet von einer heterogenen Gruppe. Die 17 Teilnehmerinnen, auf die MotherSchool aufmerksam gemacht über das dichte Integrationsnetzwerk in Würzburg, stammten aus Afghanistan, Türkei, Kasachstan, Syrien, Aserbaidschan, Jordanien und Ägypten.

Laut der städtischen Integrationsbeauftragten Christine Blum-Köhler war die Zusammensetzung ein Zufall. Die MotherSchools seien nicht nur für Frauen mit Wurzeln im Ausland gedacht. Sie seien allgemein da für „Frauen mit der Besorgnis, dass ihre Kinder sich radikalisieren könnten“. Weil die Teilnahme am Workshop viel Offenheit und Vertrauen erfordere, habe das Sozialreferat für die erste MotherSchool nach einem gemeinsamen Nenner gesucht, und der sei der Migrationshintergrund gewesen. Bei der nächsten Gruppe werde das anders sein.

Ausgeklügeltes Programm

Ersonnen hat die MotherSchool die Nichtregierungsorganisation (NGO) „Frauen ohne Grenzen“ mit Sitz in Wien. Seit zehn Jahren organisieren sie die Workshops in mehrheitlich muslimischen Ländern. Von der NGO ausgebildete Lehrerinnen leiten die zehnwöchigen Workshops nach einem ausgeklügelten Programm.

Sie diskutieren die Rolle der Mütter und der Väter in der Familie und fragen nach dem Leben, das die Frauen gelebt hätten, wären sie nicht Mutter geworden. Mix und Blum-Köhler berichten von unterschiedlichen Ansätzen und Lebensentwürfen in der Gruppe, von konservativ bis fortschrittlich. Für manche Frauen sei der Gedanke neu, dass sie in der Gesellschaft eine Stimme haben. Mix zufolge trauen sie sich das „in patriarchalen Strukturen gar nicht so. Und wenn sie es dann machen, sind sie voll stolz“.

Wie sich Jugendliche radikalisieren

Die Mütter erfahren, wie Jugendliche sich radikalisieren und woran die Mütter das erkennen können. Mix und Blum-Köhler sagen, der Weg sei immer gleich, meist begründet in einem Ereignis in der Familie, einem nicht überwundenen Trauma. Der junge Mensch fühle sich perspektivlos, ihm fehle Anerkennung, und dann komme jemand, der sagt: „Du bist mein Bruder, bei uns bist du aufgehoben.“ Junge Menschen in der Pubertät seien „relativ offen für solche Ansprachen“ und schlössen „sich Gruppen an, die kontraproduktiv sind“.

Die MotherSchool soll, sagt Blum-Köhler, „ansetzen, bevor das passiert“. Sie berichtet, die Frauen hätten „sich ganz schnell geöffnet in dieser Gruppe, auch über persönliche Grenzen hinweg“. Sie hätten es „sehr genossen, gemeinsam in einem geschlossenen Raum, alle in einer ähnlichen Situation, miteinander sprechen zu dürfen und zu fragen, wie geht es dir, wie machst du das?“.

Zum Abschluss feierlicher Rahmen

Die Lehrerinnen beschließen den Workshop mit einer „Graduation Ceremony“ (der Gebrauch des Englischen stammt von „Frauen ohne Grenzen“). Die Teilnehmerinnen bekommen in einer großen Abschlussfeier - „in einem feierlichen Rahmen mit Musik und allem was man braucht“ (Blum-Köhler) Zertifikate verliehen. Auch für die eingeladenen Familien soll „ein sichtbares Zeichen“ sein, dass die Mütter im Mittelpunkt stehen.

Schreyer zufolge sind die unterfränkischen Mother Schools Pilotprojekte. Nach dem Willen der Ministerin sollen bald weitere bayerische Städte solche Mutterschulen durchführen.

 
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