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Standpunkt: Würzburger Gewitter
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:50 Uhr

Meteorologisch herrschte am Sonntag schönstes Herbstwetter in Würzburg, politisch ist ein Gewitter über die Stadt gezogen. Die Landtagswahl hat das gewohnte politische Koordinatensystem in einer Weise durcheinander gewirbelt, die noch vor Jahresfrist unvorstellbar schien.

Der Verlust des Direktmandats bedeutet für die CSU nicht nur eine Niederlage, sondern eine Zäsur. Zwar hatte die Partei im Stimmkreis Würzburg, zu dem auch Rottendorf und Gerbrunn gehören, zuletzt immer etwas unter dem Landesdurchschnitt gelegen, doch der Gewinn des Direktmandats war ein Ziel, dessen Erreichung außer Frage stand: 2013 hatten zwischen Oliver Jörg und dem jetzt gewählten Abgeordneten Patrick Friedl (Grüne) noch satte 23 Prozent gelegen.

Vom negativen Parteitrend nicht abgekoppelt

Oliver Jörg ist es nicht gelungen, sich vom Negativtrend seiner Partei abzukoppeln, und das, obwohl er kein CSU-Hardliner ist: In der Flüchtlingsfrage waren von ihm keine Stammtischparolen zu hören. Jörg hatte sich in den zwei Legislaturperioden in die Sacharbeit gestürzt. Den Fleiß wird dem 46-Jährigen niemand absprechen und auch nicht, dass er einen engagierten Wahlkampf geführt hat. Doch Fleiß allein reicht nicht, wenn sich im Land eine massive Stimmung gegen die eigene Partei aufbaut.

Im Wahlsieg Patrick Friedls zeigt sich, dass Würzburg noch viel mehr als im übrigen Freistaat ein grünes Pflaster ist. Die Tendenz hatte sich bei vorangegangenen Wahlen bereits abgezeichnet. Für Patrick Friedl zahlte sich am Sonntag eine jahrelange politische Kärrnerarbeit aus. In Würzburg präsentieren sich die Grünen seit langem als realpolitisch verankert, sie sind damit längst nicht nur fürs bürgerliche, sondern auch fürs konservative Klientel wählbar geworden. Und das ist in Würzburg, wo die CSU bisher auf ein treues Wahlvolk vertrauen durfte, enorm wichtig. Zu Friedls Wahlsieg hat möglicherweise auch beigetragen, dass angesichts des Niedergangs der bayerischen Sozialdemokratie mancher SPD-Wähler seine Erststimme nicht „verschenken“ wollte und sie an Friedl statt an Georg Rosenthal gab.

Für Patrick Friedl bedeutet der Wählerauftrag jetzt aber auch, dass er in München den Stimmkreis in der Gesamtheit seiner Bevölkerung vertreten muss. Auch davon wird abhängen, ob sich in Würzburg die Grünen tatsächlich als neue Volkspartei verankern. Allerdings gilt der 48-Jährige Grüne nicht als Ideologe, daher könnte diese Aufgabe gelingen.

OB-Bonus zog nicht mehr

Georg Rosenthal, der 2013 noch 25,2 Prozent der Erststimmen holte, konnte diesmal offenbar nicht mehr vom Amtsbonus des ehemaligen Oberbürgermeisters profitieren. Ähnlich wie Oliver Jörg war auch Rosenthal im Wahlkampf omnipräsent, doch wenn die SPD im Bund immer mehr Menschen als entbehrlich gilt, dann gilt das in Bayern – traditionell schwieriges Pflaster für Sozialdemokraten – eben erst recht.

Der Aufwärtstrend der FDP erwies sich auch in Würzburg stabil, hier liegt das Ergebnis sogar etwas über dem Landestrend. Ganz anders bei den Freien Wählern: Die traditionell im ländlichen Raum starke Partei kann in der Stadt nicht punkten.

Aufgabe der etablierten Parteien

Aufhorchen lassen muss das Ergebnis der AfD. Rund sieben Prozent hat die Partei sowohl bei den Erst- als auch den Zweitstimmen erreicht. Das ist zwar weniger als das Landesergebnis von etwas mehr als zehn Prozent, aber schon allein deshalb bemerkenswert, da der Direktkandidat der AfD in seinem Stimmkreis praktisch keinen Wahlkampf gemacht hat. Es wird eine der Aufgaben der etablierten Parteien sein, dem Populismus der Rechtsaußenpartei geschlossen entgegen zu treten.

 
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  • marent1@hotmail.de
    Herr Schleicher, es ist richtig, dass Patrick Friedl ein pragmatischer Kämpfer ist, aber was wäre an einer Ideologie dahinter verkehrt? Ich behaupte ohne geht es gar nicht...und das schliesst sich meines Erachtens gar nicht aus...
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Gewitter über Würzburg

    Sogar ein alter Miesmacher wie ich muss zugeben, hier hat ein politisches Erdbeben stattgefunden. Ich drücke Patrick Friedl die Daumen, dass er ein gutes Händchen für die Themen beweisen möge, die die Leute hier wirklich drücken und das dann auch in München "durchzubringen".

    Vielleicht, ganz vielleicht ist das auch ein ganz zaghafter Fingerzeig, dass die Leute mancherorts in Bayern tatsächlich die Nase voll haben von "mia san mia", "weiter so!" und "das haben wir schon immer so gemacht"... ?
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  • Arcus
    Schau mir gerade die Pressekonferenz der CSU an. Die schnoddrige Art von Söder zeigt mir, dass da von Demut nichts zu spüren ist.
    Die CSU wird weiter verlieren. Die Grünen weiter gewinnen. Auch und gerade auf dem flachen Land. Denn die FW sind noch konservativer als die CSU selbst.
    Die CSU hat den Schlag überhaupt nicht gehört. Dafür wird sie weiter abgestraft werden. Söder mit seiner überbordenden Arroganz wird als Ministerpräsident kein Fuß auf den Boden bekommen. Die CSU weigert sich gesellschaftlichen Änderungen wahrzunehmen, geschweige denn zu akzeptieren. Der alte Dampfer CSU marschiert ohne Korrektur weiter stramm auf den Abgrund zu.
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Da liegt er soweit auch richtig, der Herr Söder - @ Arcus -

    betrachten Sie mal in aller Ruhe das Wahlergebnis und die Konsequenzen daraus.

    Summa summarum 60 - 70 Prozent für die "konservative" Politik und nicht mal 30 für Grüne und SPD zusammen. Der Söder hat gut lachen, ich sag's Ihnen - der bleibt wahrscheinlich MP bis zum St.-Nimmerleins-Tag... traurig
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