Mit dem Aufblühen der Militärfliegerei verlor das Hubland endgültig seine Unschuld. Erst kamen Kampfflugzeuge, dann exerzierende Schüler, schließlich Kriegsgefangene.
Die Flugbegeisterung zweier junger Männer schien alle Grenzen zu überwinden. Als der 23-jährige Würzburger Flugzeugkonstrukteur Leo Lendner am Abend des 8. Juli 1913 auf der holprigen Rollbahn am Galgenberg abhob, um mit seiner Maschine das Kiliani-Volksfest zu überfliegen, saß der erst 19-jährige Franzose Albert Sénard am Steuerknüppel. Mochten Deutschland und Frankreich 1870 gegeneinander Krieg geführt haben – jetzt zeigten zwei Freunde, dass es auch anders ging.
Nach wenigen Minuten beendete eine Katastrophe das friedliche Abenteuer, das die Zuschauermassen auf dem Boden begeistert hatte: Beim Rückflug stürzte das Flugzeug am Hubland ab und Lendner und Sénard starben. Im Rückblick ein symbolhaftes Unglück, denn ein gutes Jahr später begann der Erste Weltkrieg, den Deutsche und Franzosen auf dem Boden des Nachbarlandes besonders fanatisch führten und der Millionen Opfer forderte.
Auf dem 1830 eingerichteten Exerzierplatz am Hubland hatten auch die Soldaten früherer Kriege ihr mörderisches Handwerk gelernt, doch die Flugpioniere, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Genehmigung der Militärverwaltung dort starteten und landeten, waren Zivilisten und vor allem an der Entwicklung der Zivilluftfahrt interessiert.
Doch ab 1913 änderte sich das Bild: Immer mehr Militärmaschinen flogen Würzburg an.
In Deutschland wurde ab 1911, wie in anderen europäischen Ländern, die Schaffung eines Militärflugwesens vorangetrieben, schreiben Heinz Gräf und Otto Weber-Niebuer in ihrer Broschüre „Luftfahrt in Würzburg. Ein Rückblick auf Würzburgs Fluggeschichte“. Das Königreich Bayern war in Friedenszeiten militärisch selbstständig und konnte so seine eigene „Königlich Bayerische Fliegertruppe“ mit einer Fliegerschule auf dem Oberwiesenfeld in München und später in Oberschleißheim schaffen. Ein Großteil der Ausrüstung kam von den Otto-Flugwerken in München.
Die ersten bayerischen Militärflieger wurden laut Gräf und Weber-Niebuer noch in Darmstadt ausgebildet, darunter der aus Würzburg stammende Leutnant Wilhelm Wirth und Oberleutnant Luitpold Graf Wolfskeel aus Reichenberg. Sie erhielten am 6. Juli 1911 die deutschen Pilotenzeugnisse Nr. 92 und 93 ausgehändigt. Wolfskeel brachte es zum Rittmeister und war bis zum Kriegsausbruch im August 1914 Chef der Bayerischen Militärfliegerabteilung.
Ein anderer Würzburger, Leutnant Karl Ritter, legte seine Militärpilotenprüfung im September 1911 bereits auf dem Oberwiesenfeld ab. Er wurde in den dreißiger Jahren als Regisseur von Fliegerfilmen bekannt.
Den ganzen Sommer 1913 hindurch benützten bayerische Militärflugzeuge des neu aufgestellten königlich bayerischen Fliegerbataillons aus Oberschleißheim den Galgenberg für Starts und Landungen; die Armee hatte sogar die Absicht, dort einen festen Flugplatz einzurichten. Der Ausbruch des Krieges verhinderte das; während des Krieges entstand stattdessen in Kitzingen ein Flugplatz. So steht es in Walter Kopps Buch „Würzburger Wehr“.
Meist flogen die Maschinen zum Truppenübungsplatz Hammelburg weiter. Falls sie für eine Nacht auf dem Galgenberg untergestellt werden mussten, diente dazu die von Stadtrat Georg Rockenmeyer 1913 errichtete „Flughalle Würzburg“, die drei Flugzeugen Platz bot. Bereits 1910 hatte der Sägewerksbesitzer einen kleinen Schuppen speziell für den Pionier Leo Lendner gebaut.
Die erste Landung eines zweisitzigen „Otto“-Doppeldeckers am 30. Oktober 1913 zog viele Schaulustige auf den Galgenberg. Auch der Würzburger Oberleutnant Fritz Moosmair von 9. Bayerischen Infanterieregiment, den „Neunern“, war inzwischen Militärpilot geworden und kam mehrmals mit dem Flugzeug in seine Heimatstadt.
Ein altes Foto zeigt Moosmair mit einem weiteren Soldaten im Mai 1914 in seinem Propeller-Militärflugzeug „Otto Typ B Nr. 100“ auf dem Galgenberg. Der 100-PS-Mercedes-Motor mit seitlichen Kühlern war offen und erhöht hinter der Besatzung befestigt. Ein „Stoßrad“ vorne im Rumpf sollte Kopfstände verhindern. Ein elegant gekleidetes Paar, das die Maschine offenbar bei einem Spaziergang besichtigt hatte, schaut in die Kamera; ein Mann mit Schiebermütze blickt – wahrscheinlich bewundernd – zu den Piloten auf.
Militärflugzeuge als Attraktion für einen gemütlichen Sonntagsausflug – damit war es vorbei, als ein Vierteljahr später der Erste Weltkrieg ausbrach.
Innerhalb kürzester Zeit stampften die kriegsführenden Nationen Luftfahrtindustrien aus dem Boden, schreiben Gräf und Weber-Niebuer. Fast alle Sparten der Militärfliegerei bis hin zum Bombenkrieg gegen das Hinterland des Gegners wurden erprobt: Insgesamt setzten die Deutschen und ihre Gegner über 200 000 Flugzeuge ein. Deutschland konnte zeitweise die Luftherrschaft erringen, doch gegen Kriegsende war die zahlenmäßige und qualitative Überlegenheit der Alliierten ebenso erdrückend wie bei den Bodentruppen.
In Würzburg diente der Galgenberg als Landeplatz für Militärflieger auf Überlandflügen und für die nahen Fliegerschulen in Kitzingen und Bamberg.
1917, als die deutsche Niederlage noch nicht abzusehen war, fand in der „Ludwigshalle“, dem alten Bahnhof in der Ludwigstraße, eine große „Luftkriegs-Ausstellung“ statt, die dem kriegsmüden Volk die deutsche Überlegenheit beweisen sollte. Dicht an dicht standen die todbringenden Maschinen da, wo bis 1866 Züge ein- und ausgefahren waren. Sogar ein englisches Beuteflugzeug hatte man nach Würzburg gebracht, um die hungerleidenden Bürger aufzumuntern.
Ludwigshalle und Galgenberg spielten eine wichtige Rolle auch bei der vormilitärischen Ausbildung von 14- bis 17-jährigen Jugendlichen, wie im Jahresbericht 1916/17 des Königlichen Realgymnasiums (heute Siebold-Gymnasium) nachzulesen ist: „Die militärische Jugendausbildung fand in der Anstalt eingehende Pflege. Zur Landsturmriege meldeten sich freiwillig 61 Schüler, die in die unter der trefflichen Leitung des Königlichen Gymnasialprofessors Hans Fischl stehende 3. und 4. Kompanie des Jugendregiments Würzburg eingereiht wurden.“
Der Bericht weiter: „Die Einzelausbildung erfolgte dienstags von 8 bis 10 Uhr abends in der Ludwigshalle, bei günstiger Witterung auf dem Gardistenplatz. Die verschiedenen Arten des militärischen Dienstes (Schwarmübungen, Schützengrabendienst, Handgranatenwerfen, Pionierdienst, Geländeübungen) fanden auf dem Galgenberg oder in der Umgebung Würzburgs statt.“
Schützengräben wurden ausgehoben, in denen Lehrer die unmündigen Buben nach dem Unterricht und nachdem sie ihre Hausaufgaben erledigt hatten mit dem Tornister auf dem Rücken und dem Gewehr im Arm auf das große Abschlachten vorbereiteten.
Viele dieser Knaben sind wenig später gefallen; bei der bayerischen Fliegertruppe gab es allein 28 Würzburger Tote.
Weitgehend unbekannt ist die Tatsache, dass sich auf dem Galgenberg während des Ersten Weltkriegs ein großes Kriegsgefangenenlager befand, in dem Tausende von Männern, vor allem Franzosen, in Baracken hinter Stacheldraht untergebracht waren. Während auf den Schlachtfeldern die Barbarei triumphierte, durften die Gefangenen eine eigene Zeitung herausgeben, die bei der Fränkischen Gesellschaftsdruckerei gedruckt wurde, Theater spielen und Sport treiben.
Im November 1918 unterzeichnete Deutschland ein Waffenstillstandsabkommen. Von den etwa 14 000 deutschen Kriegsflugzeugen, die danach ausgeliefert oder zerstört werden mussten, wurden einige auch nach Würzburg überführt, auf dem Galgenberg hinter Stacheldraht verwahrt und später abgewrackt. Teile dieser Maschinen lagerten noch Jahre später in einem Nebengebäude der 1924 eröffneten „Fliegerschule Würzburg“.
Nach der Machtübernahme 1933 benannten die Nationalsozialisten mehrere Würzburger Straßen nach berühmten Weltkriegsfliegern. Der ehemalige Armensünderweg, auf dem die Verurteilten zur Hinrichtung am Galgenberg gegangen waren, hieß nun Bertholdstraße, nach dem Jagdflieger Rudolf Berthold, der aus den Haßbergen stammte und 44 Luftsiege errungen hatte. Heute hängen hier Schilder, auf denen „St. Benedikt-Straße“ steht.
Ein anderer Jagdflieger, der in Röttingen geborene Josef Löser, machte den ganzen Ersten Weltkrieg als Flieger mit, bis er am 3. Juni 1918 als Führer der Jagdstaffel 46 an der Westfront abgeschossen wurde. An ihn und manche andere wollte man jedoch nicht so gerne erinnern. Löser war nämlich Jude.
Nächste Folge: Das Kriegsgefangenenlager am Galgenberg.