
Was vor Weihnachten als Idee für einen satirischen Auftritt begann, hat sich innerhalb weniger Wochen zu einer ernsthaften Kandidatur für die Kommunalwahl entwickelt: Mit der „Stadtinnovationsliste“ – kurz „STIL“ – wollen junge Leute aus der Würzburger Kulturszene den Sprung in den Stadtrat schaffen. Erster Schritt: Bis kommenden Montag, 3. Februar, um 12 Uhr müssen sie die erforderlichen 385 Unterschriften für die Zulassung zur Wahl am 16. März beisammen haben.
Potenzieller OB-Kandidat – er wäre Nummer acht – und Initiator der mittlerweile 15. Gruppierung, die in sechs Wochen auf dem Wahlzettel stehen möchte, ist Andreas Emmerling. Der Physiker ist einer der Betreiber der Kneipe „Kellerperle“ unter dem Studentenhaus und ein bekanntes Gesicht in der freien Kulturszene. Entstanden ist STIL aus seiner Idee heraus, den Kommunalwahlkampf als Kabarettnummer auf die Bühne zu bringen – entstanden nach einer Diskussionsveranstaltung mit dem OB-Kandidaten von SPD und Grünen, Kulturreferent Muchtar al Ghusain.
An besagtem Abend im Kulturspeicher-Lokal „MS Zufriedenheit“ ging es vor eher älterem Publikum hauptsächlich um das Mainfranken Theater, die Frankenhalle und eine eventuelle kulturelle Nutzung des Mozart-Areals. Die junge Kulturszene hatte zwar mit Tine Ott eine Vertreterin auf der Bühne, die kam aber – zumindest aus Sicht von Emmerling und seinen Mitstreitern – nicht ausreichend zu Wort.
Aus der Idee, daraus einen kabarettistischen Auftritt in Form einer nachgestellten Pressekonferenz als OB-Kandidat mit allerlei abstrusen Plänen (Rodung des Ringparks, ein Ring von Einkaufszentren rund um die Innenstadt, ein Flugplatz auf dem Hubland) zu machen, entwickelte sich eine Stadtratsliste mit elf Kandidaten und einer Kandidatin, die ernsthaft versuchen wollen, in den Stadtrat zu kommen und dort einen neuen Politik-STIL einzuführen.
Die Pressekonferenz – mit leicht kabarettistischen Anflügen, aber weitgehend als ernst gemeinte Angelegenheit – fand nun am Mittwochabend vor recht großem Publikum, aber wenig Medienvertretern in der „MS Zufriedenheit“ statt. Erstes Ziel von Emmerling und STIL: Die nötigen Unterstützer-Unterschriften im Rathaus bis Montag um 12 Uhr zusammenbekommen. Sie sind vorsichtig optimistisch, das zu schaffen: „Wir sind in unserer Szene über das Internet und die sozialen Netzwerken so gut vernetzt, das wir das packen können“, hofft Emmerling.
Sollte STIL die Zulassung schaffen, rechnet er mit einem Potenzial von drei bis vier Prozent der Wählerstimmen, das im Idealfall abgerufen werden könnte. Auf klassische Wahlkampf-Werkzeuge wollen die Kulturschaffenden aber komplett verzichten: „Bei dem Wahlplakat-Wahnsinn werden wir nicht mitmachen. Wir wollen unser Geld und unsere Arbeitszeit sinnvoller einsetzen.“
Hauptgrund für die Kandidatur ist die Unzufriedenheit mit der bisherigen Stadtpolitik. „Es tut sich nichts. Und wenn sich etwas tut, dann Richtung Sackgasse“, sagt Emmerling. STIL wünscht sich unter anderem mehr kulturelle Freiräume in der Stadt, eine bessere Förderung der Jugendarbeit, mehr Möglichkeiten zur Begegnung im öffentlichen Raum und ein Verkehrskonzept für die gesamte Stadt mit Aufwertung des Öffentlichen Nahverkehrs und Verbesserung des Fahrradverkehrs.
Zentraler Punkt des Programms ist außerdem eine bessere Bürgerbeteiligung. Emmerling dazu: „Es fehlen Konzepte, Visionen und ein Leitbild für die Stadt. Wichtig wäre, dass unter Einbeziehung der Bürger ein Stadtentwicklungsplan entsteht. Auch wenn es um große Projekte wie die neue Straßenbahnlinie oder die Theatersanierung geht, sollten die Bürger befragt werden.“
STIL-Stadtratsliste
Die 12 Kandidaten auf der STIL-Stadtratsliste:
1. Andreas Emmerling, Physiker
2. Florian Spengler, Angestellter
3. Johannes Ment, IT-Systemkaufm.
4. Julian Fischer, Student
5. Michael Frank, Sozialpädagoge
6. Jann Kolter, Biologe
7. Joachim Rind, Designer
8. Dirk Geldermann, Student
9. Frederik Keupp, Tennistrainer
10. Benny Brückner, Fotograf
11. Jennifer Beier, Studentin
12. Andreas Bürkl, Student
Wir haben nur Spitzenkandidaten und eine Spitzenkandidatin! Warum sie nicht OB-Kandidatin werden wollte, müsst ihr sie persönlich fragen. Bei uns wird niemand auf das Schild gehoben, wenn sie oder er nicht will. Nur weil es ein noch hübscheres Bild abgäbe.
Und erst recht nicht darum, dass wir von STIL – bei allen Ideen und Vorstellungen, die wir selbst mitbringen – alleine vorgeben, wie die Stadt auszusehen hat. Politik sollte nicht ein Restaurant mit einer fest vorgegebenen speisekarte sein. Sondern eines, bei der die Gäste die speisekarte mitschreiben und mitgestalten können. Denn sie sind es, die das Essen essen müssen!
Das ist genau unsere Kernaussage – und ein großes Problem der Stadtpolitik der letzten Jahre. Es fehlt an einem "Masterplan", weswegen viele einzelne Projekte und "Bausstellen" in der Stadt (Bahnhofsumfeld, Moz-Gymnasium, Sanierung Mainfrankentheater, Verkehr,...) völlig isoliert betrachtet werden, und dann entweder nichts voran geht oder Fakten geschaffen werden, die eine zukünftige, wünschenswerte Stadtentwicklung hernach behindern.
Es geht also grundsätzlich um die Frage, "Wie soll unsere Stadt aussehen?", "In welcher Stadt wollen wir (und unsere nachfolgenden Generationen) leben?" Und das ist etwas, was von den Würzbürgerinnen und -bürgern gemeinsam erarbeitet werden muss. Ein Konzept / Vision / Leitbild – wie immer man das auch nennen mag – gefunden werden muss, das von einer großen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert und getragen werden sollte. Ein "Stadtbild", in der ein gedeihliches Miteinander und akzeptiertes Nebeneinander von hoffentlich fast allen Bürgern möglich ist.
Gut erkannt! Zumindest zur Hälfte. Das genau ist das systemische Problem, dass es immer um Mehrheitsfindung geht, die über Mehrheitsentscheidungen herbeigeführt werden. Das führt meist dazu, dass bessere, oft auch vielleicht sogar mehrheitlich akzeptierte Lösungsvarianten im Mehrheitsbeschaffungsprozess ausscheiden, und am Ende dann ein Minderheitenvorschlag gewinnt, der möglicherweise und auch oft die Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden zurücklässt. Deshalb ja unser Vorschlag, nur Konzepte und Lösungen zur verfolgen, die eine breite Akzeptanz finden. Und dann erübrigt sich die Frage, aus wieviel Splittergruppen sich ein Gremium zusammensetzt.
Natürlich kann man sich auch innerhalb einer bestehenden politischen Gruppierung engagieren. Warum das "demokratischer" sein soll, erschließt sich mir allerdings nicht. Und wenn, müsste man zwar sicher nicht "100% Übereinstimmung" haben, aber zumindest einen hohen Grad an Gemeinsamkeiten. Und denn habe ich bei keiner Partei.
@tortuga
Respekt sollte man Menschen gegenüber zeigen, weniger zunächst einem Amt oder einer Institution als formales Konstrukt – sonst wird man schnell zum Untertan. Wenn es nun Personen in "Ämtern" (egal ob OB, ReferentInnen, Stadtrat) nicht gelingt, ihr Amt zum Wohle aller oder zumindest einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung auszuüben, wird es schwierig, der Amtsausübung (nicht der Person an sich!) Respekt zu zollen. Man schaue sich nur die Stadtpolitik der letzen Jahre an, die sich ständig orientierungslos im Kreise dreht und nicht recht vom Fleck kommen mag. Da löst sich selbst der letzte Hauch Respekt schnell in Luft auf...
Es gibt im Übrigen noch genügend Sachzwänge, z. B. begrenzte Finanzmittel, die den Stadtrat dazu bringen, in den meisten Fällen mehrheitlich zu beschließen.
Welche Konzepte habt ihr um die Bürgerbeteiligung zu erhöhen?