„Wir sind hier im alten Stadtkern, aber daran erinnert leider nichts mehr“, sagt Hans Steidle. Der Stadtheimatpfleger steht in der Spiegelstraße, die wie die Eichhornstraße zur Fußgängerzone umgebaut wird. Die Archäologen sind dabei, eine alte Mauer, vermutlich aus der Zeit um 1100, zu „sichern“, das heißt fotografieren und ausmessen – aber nur für die geschichtliche Dokumentation. Danach muss das Fundstück Platz machen für neue Leitungen und Rohre oder wird wieder zugeschüttet. Möglicherweise wird Geschichte bald sichtbarer.
Die CSU-Stadtratsfraktion hat die „Erkenntlichmachung verschwundener Bauwerke beantragt. Steidle begrüßt diesen Vorstoß. „Es ärgert mich, wenn beispielsweise nichts mehr auf diese Mauer in der Spiegelstraße hinweist.“ Wenn auch der Fund bislang schwer einzuordnen sei, möglicherweise ein Stück Stadtmauer, möglicherweise Reste eines Domherrenhofes: „Es ist ein Zeugnis von Würzburgs Geschichte, an den in irgendeiner Form erinnert werden sollte.“
Und nicht nur an dieses. Und nicht nur in der Eichhorn- oder Spiegelstraße. „Würzburg kommt mir vor wie eine Stadt ohne Unterleib“, beklagt der Stadtheimatpfleger fehlende Hinweise auf verschwundene oder nicht sichtbare Dokumente der Stadtgeschichte. Die Archäologen werden an vielen Ecken und Enden in der Innenstadt fündig, wie bei Bau des Museums am Dom, bei Grabungen an der Polizeidirektion Augustinerstraße oder eben in der Eichhornstraße. Doch nach der dokumentarischen Erfassung bekommen Bürger und Passanten von diesen Bodendenkmälern nichts mehr mit.
Andere Städte sind weiter
Andere Städte zeigen sich da geschichtsbewusster, weiß Steidle. Er verweist auf den Platz der Schweinfurter Kilianskirche, auf dem eine Pflasterung an den Verlauf der ehemaligen Grundmauer erinnert. Oder an archäologische Fenster in Bad Windsheim. Dort gibt eine Glasplatte im Boden die Sicht auf einen antiken Wasserkanal frei. Oder die archäologische Vitrine in Aachen, einer leichten Edelstahlkonstruktion.
In der Eichhornstraße mit ihren vielen Untergrundfunden in den vergangenen drei Jahren gibt es nichts dergleichen – mal abgesehen von einem QR-Code an der Einmündung Martinstraße, der auf einen mittelalterlichen Brunnen im Untergrund hinweist. Ansonsten keine besonderen Pflasterungen, Hinweistafeln oder gar Schaufenster im Boden.
Das wär ein überdimensionaler Aufwand, der zu noch größeren Zeitverzögerungen beim Bau und Kosten führt“, sagt dazu Rathaussprecher Christian Weiß. Er kündigt lediglich eine „große Dokumentation über alle Arbeiten“ in der neuen Fußgängerzone an – in gedruckter Form sowie über einen QR-Code vor Ort, dessen Infos sich per Smartphone abscannen lassen.
Diese digitale Art der Erinnerung hält Steidle allerdings nur für eine Ergänzung zu direkt sichtbaren Erinnerungspunkt, auf den auch die Stadtführer bei ihren Begehungen eingehen könnten. Schützenhilfe erhält der Stadtheimatpfleger jetzt von der CSU-Fraktion.
Für die Eichhornstraße zu spät
Stadträtin Judith Jörg hat den Antrag auf „Kenntlichmachung verschwundener Bauwerke“ eingebracht, den die Stadtverwaltung nach Stadtratsbeschuss weiterverfolgen soll. In Abstimmung mit Stadtheimatpfleger und Stadtarchiv, so Jörg, sollen bei Straßen- oder Brückensanierungen mit farblich abgesetzten Steinen historische Gebäudeumrisse, Torbögen oder eben auch Grundrisse im Boden sichtbar gemacht werden.
„Beispielsweise in Trier ist das sehr schön gemacht“, sagt Jörg, wie ihr die Idee für diese Art der Erinnerungskultur kam. Beim Stadtheimatpfleger rennt sie damit offene Türen ein: „Ich sehe in dem Antrag eine Chance, die Geschichte des 'verlorenen Würzburg' zu veranschaulichen.
Für die neue Fußgängerzone Eichhorn- und Spiegelstraße kommt der Vorstoß wahrscheinlich zu spät, viele Fundorte sind vom Muschelkalkpflaster bereits überdeckt. Das ist beim Mauerfund in der Spiegelstraße noch nicht der Fall. Auch nicht an der Ecke Eichhorn-/Theaterstraße, wo man auf Reste eines mittelalterlichen Stadttores im Untergrund stieß. Doch das Rathaus hat, wie erwähnt aus Kosten- und Zeitgründen, keine baulichen Hinweise auf die dortige Geschichte geplant.
Rechtzeitig Gedanken machen
Wie man dieses Manko künftig vermeiden kann? „Da muss man schon vor den Planungen drüber reden, was einen an historischen Fundstücken im Untergrund erwarten könnte. Und sich dann Gedanken machen, wie man damit umgeht“, nennt Steidle einen praktikablen Weg, um Stadtgeschichte nicht weiter verschwinden zu lassen.
"Hier sehen Sie die Reste einer öffentlichen Latrine aus dem 16. Jhdt." oder so? Man kann es auch übertreiben.
Wenn es nach Herrn Steidle geht, sollte man wahrscheinlich alle Gebäude, die nach '45 gebaut wurden, abtragen und 10 Meter tief graben, da gibts bestimmt genug Funde, zu denen er dann seine Schkenntnis loswerden und wo er sich wichtig machen kann.
Ich stimme jedoch mit den Vorkommentierern überein, dass die neue Fußgängerzone eine etwas großzügigere Begrünung hätte bekommen sollen, da ist mir auch zu viel grauer Stein.
Armes Würzburg!