Kindertag im Knast: Meist am zweiten Samstag im Monat stellt der für die Besucherzone zuständige Beamte der Justizvollzugsanstalt (JVA) Würzburg früh die Spielkisten bereit mit Plüschtieren, Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spielen und Memory, Puzzles, Malstiften und -büchern. Es warten auf die Buben und Mädchen 90 Minuten mit Mama und Papa. Besuchsende ist um 11 Uhr, die Zeit wird den Gefangenen nicht auf die übliche Besuchszeit – in Würzburg bei Inhaftierten mit Ehepartner oder Lebensgefährten drei Stunden im Monat – angerechnet.
Mit Rapportschein an die katholische Gefängnisseelsorgerin Doris Schäfer können Gefangene mit und ohne Konfession einen Besuchstermin für ihre Kinder beantragen. Etwa 30 Namen hat Doris Schäfer meist auf ihrer Warteliste plus Daten der Bezugspersonen draußen, um mit denen dann einen Termin abzustimmen. Voraussetzung ist unter anderem, dass für den Gefangenen bei Besuchen keine Trennscheibe angeordnet und aktuell keine Disziplinarmaßnahme verhängt wurde, dass der Antragsteller Strafgefangener und das Kind nicht über 14 Jahre alt ist.
Erlaubnis für Kinder bis 14 Jahre
Bis zu acht Gefangene dürfen von ihren Kindern besucht werden, in Begleitung eines Erwachsenen. JVA-Chef, Leitender Regierungsdirektor Robert Hutter, sieht in diesem Kinder-Besuchstag eine sinnvolle Ergänzung des Behandlungsangebots, gibt aber sofort zu, dass die Räumlichkeiten aufgrund der Enge nur bedingt geeignet sind. Von den 36 bayerischen Justizvollzugsanstalten bieten 14 regelmäßig einen Besuchstag für Kinder von Gefangenen an, Würzburg gehörte zu den ersten.
Und dann sieht man ganz ungewohnte Bilder: Männer, breites Kreuz, wenig Freiflächen für weitere Tattoos, Delikt und Höhe der zu verbüßenden Strafe unbekannt, gehen freiwillig zu Boden und krabbeln auf allen Vieren, weil der Sohnemann wieder mal auf Papa reiten oder einen mit Legosteinen beladenen Plastik-Lastwagen zwischen den Tischbeinen fahren lassen möchte. Ein Mädchen fragt im Abstand von höchstens zwei Minuten, ob der Papa schon erkennen kann, was das Kind gerade malt. Er weiß es noch nicht, nur, dass es wieder ein Bild für seine Zellenwand wird, auf das er sich freut.
Väter, die ihr Baby draußen noch nicht gesehen haben, nehmen es zu Beginn des Besuchs in den Arm und geben es nicht mehr raus, bis kurz vor 11 Uhr das Ende der Besuchszeit angekündigt wird. Mannsbilder, die in Freiheit bestimmt seit Jahrzehnten nicht mehr Mensch-ärgere-Dich-nicht gespielt haben, würfeln drauf los und versuchen, die Spielregeln zugunsten ihrer Kinder zu verändern, damit die auf jeden Fall gewinnen. Natürlich wird das durchschaut. „Papa, du musst mich rauswerfen, ich schmeiß dich doch auch raus, wenn ich kann.“ Manchmal wechseln die Gefangenen auch sehr schnell das Spiel, weil ihnen dafür einfach die notwendige Geduld fehlt. Jedenfalls, so die Erfahrung der ehrenamtlichen Begleiter, überbrückt das Spielen zu Beginn oft eine gewisse Sprachlosigkeit.
Verständlich, dass einem Gast, der freiwillig in den Knast ging, ohne Rapportschein, nur für eine Reportage, nahegelegt wird, sich zurückzuhalten. Die Zeit sei kostbar und kurz, wenn da noch ein Fremder Interviews machen will, komme das nicht unbedingt gut an. Und manche Frage an den Vater oder die Mutter könnte den Sohn oder die Tochter verunsichern. So bleibt es bei einem Blick aus leichter Distanz, beim Beobachten, beim Bewerten – und trotzdem kommt dann dennoch viel rüber bei mehreren Besuchen.
Einfach beeindruckend, wenn Kinder da den inhaftierten Elternteil ein bisschen verwöhnen wollen, einen Becher Kaffee holen, etwas zum Knabbern. Als er hört, dass nichts bezahlt werden muss, nimmt ein Bub gleich sechs Stück Würfelzucker mit. Ein anderer hätte gern eine Cola für die Mutter, gibt es nicht, aber „darf's auch Multivitamin-Saft sein?“. Moment, er muss erst fragen, ob die Mama überhaupt so etwas mag.
Die Besuchszeit speziell für Kinder läuft nahezu ohne Programm ab: freundliche, individuelle Begrüßung, Hinweis an die Neuen, was man nicht darf und dass sie, da viele Besucher eine längere Anfahrt hinter sich haben, mit den „Hausbewohnern“ frühstücken können. Bedeutend sei, so die Gefängnisseelsorgerin, dass die Familie Zeit miteinander verbringt und die gegenseitige Nähe spüren kann. Die inhaftierten Väter dürfen es genießen, ihr Baby einfach nur im Arm zu halten, die inhaftierten Mütter können ungestört jede Veränderung ihres in ihren Augen allzu schnell wachsenden Kindes beobachten. Für die Kinder selbst sind die Spiele eine Möglichkeit, wieder eine vertraute Nähe entstehen zu lassen und ungezwungen dann, wenn ihnen gerade etwas einfällt, zu erzählen, was sie erlebt haben, oder zu fragen, was sie gerne wissen wollen.
Der monatliche „Kinder-Sonderbesuchstag“ im Knast sei ein echter Segen, sagt Seelsorgerin Doris Schäfer. So erleben die Kinder das Gefängnis weniger bedrückend als bei einem normalen Besuch. Die Uniformierten mit großem Schlüsselbund am Gürtel – für die Kinder oft schuld daran, dass Papa oder Mama nicht zu Hause sind – bleiben im Hintergrund. Selbst den Beamten, der direkt und über Monitore die Besucherzone überwacht, sehen sie kaum, da die Glaswand verspiegelt ist. Es sind viele andere Kinder da, sie können spielen, herumlaufen und auch mal etwas lauter sein, ohne dass man gleich andere stört. An normalen Besuchstagen sind bis zu 28 Gefangene und Besucher in einem Raum.
Für die Gefangenen bedeute, so Doris Schäfer, der „Kinder-Sonderbesuchstag“ die Möglichkeit, für kurze Zeit mal wieder ein Stück weit in die Normalität des Familienlebens einzutauchen. Es diene der Resozialisierung, denn auf diese Weise könne auch die spätere Rückkehr in die Familie bei der Entlassung geübt werden. „Für mich persönlich“, so die Seelsorgerin, „gehört dieser Samstagvormittag zu den schönsten Aufgaben im Gefängnis.
“ In vielen Zellen sei die Pinnwand über dem Bett übervoll mit Fotos von den eigenen Kindern. Manche merken erst bei der Inhaftierung wieder, was ihnen die Kinder bedeuten und dass sie draußen eine Familie haben.
Am Rande bekommt man auch mit, dass manche in der Zelle beantragte und dann auch genehmigte Begegnung kurzfristig nicht zustande kommt, weil die Mutter draußen angeblich keine Zeit oder wahrscheinlich „keinen Bock drauf hat“ und eine Ausrede vorschiebt. In zerbrechenden Beziehungen werden die Kinder dann für persönliche Abrechnungen eingesetzt. Es kommen aber auch Ehefrauen mit Kind, obwohl die Beziehung nicht mehr zu retten oder schon kaputt ist, um dem Kind den Kontakt zum Vater zu sichern.
Ehrenamtliche Helferinnen
Der Kinder-Besuch in der Justizvollzugsanstalt Würzburg ist vor zehn Jahren mit initiiert worden durch Johanna Falk, die langjährige Sprecherin des ökumenischen Nagelkreuz-Zentrums, die den Versöhnungsgedanken auch hinter die Knastmauern tragen wollte.
Abwechselnd sind die Gefängnisseelsorgerinnen Doris Schäfer und ihre evangelische Amtskollegin Hanna Friedlein an den Besuchstagen vor Ort, unterstützt von den drei ehrenamtlichen Helferinnen Inge Schömig, Gesine Unger und immer noch – mit ungebremstem Elan – Johanna Falk. Denen bestätigt Oberregierungsrat Florian Zecha, stellvertretender Chef der Würzburger JVA, eine hervorragende Arbeit, einen Service, „den wir so personell gar nicht stemmen könnten“. Ernstzunehmende Vorkommnisse hat es im Rahmen dieser besonderen Besuchstage für Kinder, so JVA-Chef Robert Hutter, in den vergangenen zehn Jahren nicht gegeben.
Was bleibt an Eindrücken? Unter anderem, dass eine Mutter mit Sicherheit ein großes Problem vor sich herschiebt. Sie hat dem schätzungsweise vier Jahre alten Sohn gesagt, dass der Papa hier in Würzburg arbeite, dass es sehr viel zu tun gebe und dass er deswegen vorübergehend nicht nach Hause kommen könne.
Und, es kommt immer wieder mal vor, dass der Sonderbesuchstag für Kinder auch zweckentfremdet wird, dass der oder die Gefangene sich mit dem Partner oder der Partnerin von draußen beschäftigen, sich nur über eine zusätzliche Besuchsmöglichkeit freuen – und das Kind der Spielkiste überlassen.
Foto: POW