
181 Lego-Steine – einer auf den anderen gestapelt. Ein Turm, der Woche für Woche kleiner wurde. Sechs Monate war Rainer F.* vergangenes Jahr im Kosovo stationiert – fernab von zu Hause. Jeder Stein stand für einen der 181 Tage, die der Vater nicht bei seiner Familie war. Es war sein erster Auslandseinsatz, daheim warteten Frau und Kinder. Carina ist neun Jahre alt, Dominik sechs Jahre.
Mit den Spielsteinen versuchte Rainer F. die Situation für seine Kinder greifbar zu machen. An jedem Einsatztag durften sie einen Stein vom Gehen- auf den Kommen-Turm stecken. Ein festes Ritual. Jeden Abend. "Das ist ihre Welt. Das verstehen sie", sagt er. Rational könne man Kindern den Einsatz im Ausland nicht vermitteln.
Aktuell sind 1200 Soldaten der 10. Panzerdivision mit Sitz in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) im Ausland stationiert – darunter in Afghanistan, Mali, Kosovo und Litauen. Doch das Bewusstsein für die Belastung, denen man im Einsatz ausgesetzt ist, sei nicht besonders ausgeprägt, sagt Rainer F. Besonders fehle der Blick für die Familien und Angehörigen.
Knapp 1000 Kilometer weit weg
F. ist seit 30 Jahren bei der Bundeswehr, war schon Kommandant auf dem Kampfpanzer Leopard, später Fahrlehrer. Seit er 2017 an den Standort Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) gewechselt ist, beschäftigt er sich mit Fragen der militärischen Sicherheit. Damit war schnell klar: Er muss ins Ausland. Erste Station: Prizren, eine Großstadt im Süden des Kosovo. Dort sitzt das deutsche Einsatzkontingent. Er war als Sicherheitsberater vor Ort.
Als die Nachricht kam, war das für seine Frau schwer zu verkraften. "Dass es ganze sechs Monate sein sollten, fand ich befremdlich", erzählt Jutta F. rückblickend. Dabei war die Situation vor Ort gar nicht das Problem. "Man hatte nie das Gefühl, dass es gefährlich werden könnte", erzählt ihr Mann. "Das gefährlichste im Kosovo ist tatsächlich der Straßenverkehr." Trotzdem setzten sich die beiden vor der Abreise zusammen und verfassten ein Testament.
Im Kosovo war es dann das Gefühl, weit weg zu sein, das Rainer F. beschäftigt hat. Der wichtigste Draht nach Hause: die Videotelefonie. Gerade in den Abendstunden habe er viel Zeit gehabt, in Gedanken bei seiner Familie zu sein. Aber er konnte seine Frau nicht in den Arm nehmen, die Kinder nicht ins Bett bringen. "Nach Monaten kämpft man schon", erzählt der 49-Jährige. "Wir sind zwar beide nicht die Typen für Drama und Drehbuch, aber der Abschied war doch sehr emotional."
Scheidungsquote bei mehr als 50 Prozent
So ein Einsatz stellt die Ehe und die Familie auf die Probe. "Man will das eigentlich nicht wahrhaben, aber natürlich hinterlässt die lange Trennung Spuren", erzählt Rainer F.. Heute glauben beide, sie seien in der Zeit enger zusammengewachsen. "Es ist das Gefühl, es gemeinsam erlebt, gemeinsam geschafft zu haben", sagt seine Frau Jutta.
Den Eindruck teilt auch Militärpfarrer Johannes Müller: "Ein solcher Einsatz kann die Beziehung deutlich vertiefen", erzählt er. "Man wird sich bewusst, was man aneinander hat". Viele Angehörige würden sehr professionell mit der Situation umgehen. Auslandseinsätze gehörten für sie einfach dazu. Doch es kann auch anders laufen.
Die Probleme des Alltags
Mehr als 50 Prozent der Ehen und Partnerschaften bei Soldaten gehen in die Brüche. Das schreibt der Wehrbeauftragte des Bundestag, Hans-Peter Bartels, in seinem aktuellen Jahresbericht und beruft sich dabei auf den Bundeswehrverband. Er kritisiert gegenüber dieser Redaktion, dass das Verteidungsministerium hierzu noch immer keine belastbaren Zahlen erhoben habe.

Jutta F. hat die Trennung nicht nur emotional beschäftigt. In den sechs Monaten war die 48-jährige Mutter auf sich allein gestellt. "Man kommt abends nach Hause, man räumt alleine die Küche auf und bringt die Kinder ins Bett", erzählt sie. "Da kriegst du die ganze Ladung ab."
Die Gesellschaft sei sich dessen nicht bewusst, selbst Freunde könnten sich in ihre Lage oft nicht hineinversetzen. "Man will in der Zeit verstanden werden. Das können viele Außenstehende nicht", erzählt sie. Deswegen suchte sie schnell den Kontakt zum Familienbetreuungszentrum in Veitshöchheim – ein Angebot der Bundeswehr, um Angehörige zu unterstützen und den Austausch mit anderen Familien zu ermöglichen.
Auch ihr Mann Rainer war im Kosovo größeren Belastungen ausgesetzt als in der Kaserne in Veitshöchheim. "Man verschiebt nicht einfach aus der Entfernung Material", erklärt er. "Jede Entscheidung wirkt sich unmittelbar auf die Kameraden aus."
Abends im Feldlager saß die Truppe dann oft zusammen. Er erzählt von altgedienten Soldaten, deren Familien seit Jahrzehnten mit Einsätzen im Ausland leben müssen – aber auch von jungen Kameraden, deren Freundinnen in der Heimat mit der Situation gar nicht klar kommen. Die ganze Bandbreite. "Wir haben oft stundenlang darüber gesprochen", erzählt er. Das schweißt zusammen. Es seien Freundschaften entstanden, die weit über den Einsatz hinausgehen. Mit einem seiner Kameraden geht es demnächst in den Urlaub.
Den kommenden Einsätzen blickt die Familie deutlich gelassener entgegen. Lediglich Afghanistan und Mali als Einsatzorte seien nochmal mit ganz anderen Gedanken verbunden. "Obwohl man noch nicht dort war, hat man schon ein Bild im Kopf", sagt Rainer F. Gerade in Mali gebe es Einsatzgebiete, wo jederzeit eine Sprengladung ins Feldlager fliegen könnte. Peter Zimmermann, leitender Arzt am Bundeswehrkrankenhaus Berlin erklärt, es gebe kaum Soldaten die unverändert aus solchen Einsätzen zurückkommen. Bei 40 bis 50 Prozent könne ein "relevantes Leiden" diagnostiziert werden.
Zurück in ein normales Familienleben
"Bei solchen psychischen Belastungen kann die Familie leiden. Sie kann aber auch heilen", sagt Zimmermann. Oft stelle sich nach Einsätzen, in denen die Soldaten mit Tod und Verwundung konfrontiert waren, Reizbarkeit oder ein verändertes Sexualverhalten ein. Elf Prozent leiden nach der Rückkehr unter einer Angststörung. Damit müssen die Angehörigen umgehen.
"Viele Familien geben ihr Bestes", sagt Zimmermann. Nicht selten würde sie dabei bis an die eigene Belastungsgrenze gehen. Noch dazu sind viele Soldaten nach ihrem Einsatz verschlossen, wollen das Erlebte nicht thematisieren. Der Weg zurück in ein normales Familienleben sei schwer.
Peter Zimmermann bedauert, dass sich Soldaten häufig erst spät in Therapie begeben. "Viele verpassen so die besten Jahre ihres Lebens." Dabei zeigen Studien, dass sich nach einer Behandlung bei 50 bis 80 Prozent der Patienten spürbare Fortschritte einstellen. Trotzdem gebe es Erfahrungen, die Soldaten ihr ganzes Leben lang nicht los werden – und mit ihnen ihre Familien.
*Namen aufgrund der militärischen Tätigkeit geändert
Mal ne andere Frage. Waren sie jemals beim Bund Bzw. bei der allgemeinen Grundausbildung. Oder gar mal im Einsatz weit weg von der Familie mit unbekanntem Ausgang? Ich denke dann wüssten sie den Unterschied zwischen „Gejammer“/ „Gewinsel“ und menschlichen Emotionen wie Heimweh oder seine Familie zu vermissen. Bei ersterem haben sie halbwegs recht, letzteres gehört zum Mensch-sein eben dazu. Ein wenig mehr Respekt und Verständnis vor/für diese/n Leute/n wäre in der Gesellschaft angebracht.