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Würzburg
So funktioniert Fridays for Future in Würzburg
Sie sind anders als alle Protestbewegungen zuvor: achtsam, feministisch, flexibel und überraschend nüchtern und gelassen. Das kommt bei den Politikern gut an.
Kurz vor der Sommerpause demonstrierten noch einmal zahlreiche Schülerinnen und Schüler in der Würzburger Innenstadt für mehr Klimaschutz.
Foto: Daniel Peter | Kurz vor der Sommerpause demonstrierten noch einmal zahlreiche Schülerinnen und Schüler in der Würzburger Innenstadt für mehr Klimaschutz.
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:52 Uhr

In der Nacht zum 23. Juli betraten Trolle die Telegram-Gruppe – einen virtuellen Nachrichtenraum der Würzburger Gruppe von Fridays for Future: Sie hinterließen viele unflätige Beleidigungen, bizarre Fotos und mehrfach das Logo der AfD - über 100 Einträge in kurzer Zeit. Erst am frühen Nachmittag des 23. Juli löschten die Administratoren den Unrat. Auf die Frage, warum so spät, teilten sie mit: Sie hätten nichts davon mitbekommen, sie seien in der Schule gewesen.  

Die Anzahl der Versuche, Fridays for Future einzuschüchtern oder Wissen, Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit abzusprechen ist unüberschaubar, vor allem in den sozialen Medien. Die meisten Angriffe gehen, zumindest was die Würzburger Ortsgruppe betrifft, daneben. Die jungen Leute kriegen nur wenig davon mit, weil sie in der Regel andere Internetplattformen nutzen als ihre Widersacher. Was sie mitkriegen, ignorieren sie.

Friday-for-Future-Bewegung bleibt gelassen 

Die Würzburger Gruppe von Fridays for Future ist knapp sieben Monate alt. Sie demonstrierten ein Dutzend Mal, bestreikten sieben Mal ihre Schulen, hielten drei Mahnwachen ab, folgten Einladungen zur Diskussion etwa mit den Senioren der Kirchengemeinde St. Johannis und erarbeiteten einen 22-seitigen Katalog mit Forderungen an die Stadt Würzburg.  

Die großen sozialen Bewegungen in Würzburg vor ihnen wie beispielsweise zur Anti-AKW- und Friedensbewegung bis hin zum Autonomen Kulturzentrum attackierten Autoritäten. Ihre politische Auseinandersetzung war eine permanente, hitzige und überschäumende Reaktion auf das Reden und Tun ihrer Gegner.

Egal, wie derb und beleidigend die Angriffe gegen Fridays for Future sind: Die jungen Leute eignen sich nicht die Umgangsformen ihrer Angreifer an, sie lassen sie ins Leere laufen. Sie kämpfen anders als alle früheren Protestbewegungen in der Stadt.

Teilnehmer fungieren als Lautsprecher der Forscher

Ein Abend im Keller des "Standard" in der Oberthürstraße: Gut ein Dutzend Studierende, Schülerinnen und Schüler sitzt zusammen, alle von Fridays for Future. Sie müssten die Kämpfe gegen die Autoritäten nicht mehr kämpfen, sagt einer. Die seien "einfach schon ausgetragen", das sei ein Geschenk vorangegangener Generationen.

Vermutlich hat ihre augenscheinliche Gelassenheit auch damit zu tun, dass sie die Verbündeten einer Autorität sind: der Naturwissenschaft. Wie keine Protestbewegung zuvor garniert Fridays for Future Reden und Veröffentlichungen mit Verweisen auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Sie sind die Lautsprecher der Forscher, die unter anderem die Grundlagen für die UN-Klimaverträge von Kyoto (1997) und Paris (2015) lieferten.

"Die sind einfach supergut informiert."
Grünen-Landtagsabgeordneter Patrick Friedl über Friday for Future

Der Grünen-Landtagsabgeordnete Patrick Friedl sagt: "Die sind einfach supergut informiert." Er berichtet von Diskussionen mit Schulklassen, die "an die Grundsätze unseres politischen Handelns und unserer Demokratie" gingen.

Fridays for Future beschreibt er als "das Beste, was einer grünen Bewegung guttun kann". Bei der Kandidatenaufstellung zur Stadtratswahl hatten arrivierte Grüne allerdings damit zu kämpfen. Vier von fünf männlichen grünen Ratsmitgliedern wurden in Kampfabstimmungen gegen junge, mit Fridays for Future verbundene Kandidaten auf hintere Listenplätze durchgereicht.

Ein weiterer Unterschied zu früheren Protestbewegungen ist die Achtsamkeit im Umgang untereinander. Sie sprechen geschlechtergerecht, etwa von "Aktivist-innen" und nicht von "Aktivisten". "Feminismus", sagt ein Jugendlicher beim Treffen in der Kneipe, "hat immer was mit sozialen Bewegungen zu tun." Sie machen sich Gedanken über männliche Dominanz beim Organisieren und versuchen, in der Aufgabenverteilung eine Fifty-Fifty-Quote einzuhalten.

Respektvoller Umgang untereinander

Augenfällig ist das Signalisieren von Zustimmung und Ablehnung, wenn sie in größeren Gesprächsrunden zusammensitzen. Sie nutzen Elemente der Gebärdensprache für Gehörlose. Beifall zeigen sie mit dem Wedeln der erhobenen Hände, Missfallen mit dem Wedeln der gesenkten Hände. Das tun sie, erklären sie, "damit es nicht so laut ist und nicht so viel Unruhe gibt". So fänden sie im Plenum viel schneller zu Entscheidungen. Und "natürlich" funktioniere das nicht immer.

Einer erklärt die pfleglichen Umgangsformen mit dem Klimawandel als existenzielle Bedrohung, "die alle angeht und alle eint". Das sorge für eine besondere Stimmung untereinander. Eine andere Begründung für den respektvollen Umgang klingt nüchterner: Würzburg sei "nicht die politisch aktivste Stadt. Wenn man sich’s hier miteinander verscheißt, macht’s keiner mehr."

Wie viele sie sind, wissen sie nicht. Eine WhatsApp-Gruppe, in der sie sich besprechen, hat rund 100 Mitglieder, über 2000 sind vor der Europa-Wahl zu ihrer größten Demonstration gekommen. Als "liquid democracy" – flüssige Demokratie – beschreibt einer ihre Organisations- und Entscheidungsstruktur. Sie haben sich grobe Richtlinien verordnet, kommen aber ohne Hierarchie, feste Zuständigkeiten oder organisierte Verwaltung aus. Wer da ist, macht was.  

"Alle geben ihre Energie rein und vertrauen der Bewegung."
Nikolai Seidl, Würzburger Delegierter bei Friday for Future Deutschland

Nikolai Seidl ist einer von zwei Würzburger Delegierten bei Fridays for Future Deutschland. Ihr System funktioniere, sagt er, "weil alle ihre Energie reingeben und alle der Bewegung vertrauen". Es baue darauf auf, dass alle, die Verantwortung tragen, verantwortlich handeln. Das Konstrukt, die weltweite Vernetzung inklusive, schildert er als "extrem groß und extrem komplex", wodurch es schnell zusammenstürzen könne. Aber es sei auch sehr flexibel und sehr dynamisch, "dadurch schaffen wir unheimlich viele Sachen".

Ihre Effektivität lässt sich unter anderem ablesen an Verbündeten, die frühere Generationen kaum oder gar nicht hatten: an ihren Eltern und Großeltern. Viele haben sich in "Parents for Future" zusammengetan und sich vor allem die digitalen Kommunikationswerkzeuge der Jungen zu Eigen gemacht, sagt ihre Sprecherin Christina Kees.

In der Kneipe erzählen die jungen Leute von einem anstrengenden vergangenen halben Jahr. Während der Sommerferien wollen sie es ruhiger angehen lassen. Ihren Gegnern machen sie keine Hoffnung. Im September wollen sie weitermachen, noch größer als bisher.

Rund 250 Menschen nahmen bereits im April an dem Klimastreik der „Fridays-for-future“-Bewegung in Würzburg teil, die am Hauptbahnhof startete. Seither stieg die Zahl der Teilnehmer stetig.
Foto: Patty Varasano | Rund 250 Menschen nahmen bereits im April an dem Klimastreik der „Fridays-for-future“-Bewegung in Würzburg teil, die am Hauptbahnhof startete. Seither stieg die Zahl der Teilnehmer stetig.
 
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Kommentare
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    Auch in diesem Kommentarthread zeigt sich, dass es großen Teilen der Gesellschaft tatsächlich sehr an Weitblick mangelt. Meine Hochachtung für die jungen Menschen, die sich anschicken, diesen zu kultivieren! Meine Unterstützung haben sie!
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  • T. M.
    Wie Sie aus ein paar Kommentaren auf große Teile der Gesellschaft schließen ist schon erstaunlich. Haben Sie ne große Glaskugel zuhause?
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  • S. F.
    Weil sie wahrscheinlich JU Mitglied sind.
    Wie äußerte sich neulich in der MP ein CSU Ortsvorsitzender sinngemäß, :"Bei uns müssen sich die Jungen erst am Grillstand bewähren um später politische Verantwortung zu übernehmen."
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  • H. S.
    Mir graut davor, wer alles besser weiß und uns regiert oder es will: Oberlehrer, Erzieher, Kinder, Sozis, Linke, Rechte, ... Hauptsache man ist dagegen, denn alles was man bisher gemacht hat, ist ja sowas von grundfalsch.
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  • W. K.
    Wenn ich das untere Bild (IHR NIMMT ...) ansehe, wäre es dringend nötig, dass die Schule besucht wird anstatt zu demonstrieren!
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  • O. H.
    Und "sollen" mit 3 l - Schulbesuch dringend erforderlich!!!
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  • J. S.
    ... und "LERNEN" mit "E", statt mit "Ä"!!!1!!
    Vom Ärnst des Läbens keine Ohnung.
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  • T. R.
    Es ist mittlerweile "hip", gegen alles zu sein.
    Aber umsetzbare Lösungen für die Probleme haben die FFF Kinder auch nicht!
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  • P. F.
    Diese von Unkenntnis geprägte Aussage ist einfach falsch. Hier die Forderungen von fridays-for-future in Würzburg an die Stadt Würzburg: https://parentsforfuture.de/sites/default/files/2019-07/Forderungen_FFF_Wue.pdf - Die Frage wäre nur, warum darüber in der Mainpost noch nicht berichtet wurde...
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  • P. L.
    Mandatsträger erklären sich gerne solidarisch mit allem Fußvolk. Die Zeit fehlt ihm dann, über die Dinge gründlich zu reflektieren und sich mit erwachsenen Menschen die in Lohn und Brot für oder gegen bestimmte Einsichten oder Ansichten sind sich auseinander zu setzen. Wer Ohren hat, der höre!
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  • J. N.
    Wir haben einen Hinweis zu Ihrem Kommentar. Sie haben dreimal denselben Link gepostet.
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  • P. K.
    Haben in unserer Demokratie also nur Erwachsene „in Lohn und Brot“ das Recht gehört zu werden?
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  • d. m.
    "Während der Sommerferien wollen sie es ruhiger angehen lassen."
    Warum? Evtl, weil man dann nicht schwätzen kann oder mit dem Flugzeug in den Urlaub ist?
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  • J. N.
    Schätzen? Schreiben?

    Lesen: https://kongress.fridaysforfuture.de/
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  • O. H.
    Die Ferienzeit könnten einige nutzen, sich die Grundlagen der deutschen Grammatik und Rechtschreibung anzueignen ...
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  • P. R.
    Wieso bin ich 22 und krieg jedes Mal einen Würgreiz wenn ich diesen Schrott lese.
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  • J. N.
    Das wird besser, wenn Sie 23 sind. Und etwas mehr wissen: https://kongress.fridaysforfuture.de/
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