Geben ist seliger als nehmen (Apg 20, 35b) – Als der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder gefragt wurde, ob es ihn ärgere, dass er so viel Steuern zahlen müsse, soll er geantwortet haben: „Ich bin stolz meinem Staat eine solch große Summe zur Verfügung stellen zu können.“ Verrückt, meinen Sie? Vielleicht hat er sich das oben genannte Bibelwort zu eigen gemacht. Oder er weiß, dass Geben und Nehmen zusammen gehören. Mir gefällt seine Einstellung gerade in unserer heutigen Zeit, in der eine „Geiz ist geil“ - Mentalität die Runde macht.
Nehmen, nehmen, nur nicht geben ... Schön wäre es, wenn man diese Einstellung einfach umkehren könnte. Doch vermutlich hätten wir dann die nächste Schieflage. Denn um etwas zu geben, muss ich erst etwas bekommen. Geben allein funktioniert ebenso wenig. Nur wer Arbeit hat, kann Steuern zahlen. Aber wenn wir genau hinschauen, werden wir feststellen, dass jeder von uns jeden Tag eine Menge geschenkt bekommt.
Nachdem Sie gerade diesen Text lesen, haben Sie Augen, die sehen können. Sie haben heute folglich sicher die Möglichkeit jemanden freundlich anzuschauen. Den meisten von uns wird dieser ganze Tag heute als Lebenszeit geschenkt. Vielleicht gibt es Menschen, die sich freuen, wenn wir ihnen einen Teil unserer Zeit schenken. Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Doch warum soll Geben seliger sein als Nehmen, wenn ich nur geben kann, was ich bekommen habe?
Manchmal ist Geben sicher seliger, weil ich die Freude des Beschenkten sehe. Oder weil ich in der privilegierten Situation bin, etwas geben zu können. Aber es wird mir kaum einer abnehmen, wenn ich behaupte, dass ich beim Steuern zahlen Seligkeit erlebe. Ich denke, Geben und Nehmen gehören zusammen. Weder das eine noch das andere ist besser.
Problematisch wird es nur, wenn wir den Fluss von Geben und Nehmen durchbrechen und alles festhalten wollen. Deswegen gefällt es mir wie die Theologin Dorothee Sölle das Bibelwort aus der Apostelgeschichte deutet: „Geben und Nehmen sind seliger als Haben und Halten. Ich kann mit meinen Händen nur dann nehmen und geben, wenn ich nicht mit Halten beschäftigt bin.“
Die Autorin Roswitha Spenkuch ist Gemeindereferentin in der Pfarreiengemeinschaft Sanderau