Erzählt Anna Goesmann, was sie beruflich macht, hört sie meist: „Das könnte ich nie.“ Seit mehr als fünf Jahren therapiert sie Sexualstraftäter. Für Goesmann ist die Arbeit, die sie in der Würzburger Fachambulanz des diözesanen Caritasverbands leistest, wichtig, sinnerfüllend und vor allem: erfolgreich. Das belegt auch ein Evaluationsbericht, der vor kurzem von Experten der Uni Ulm angefertigt wurde. Demnach hilft die Fachambulanz in hohem Maße, Rückfälle zu verhindern.
Sich für Sexualstraftäter zu engagieren, war jahrelang ein ziemlich abwegiger Gedanke. Kaum eine Straftätergruppe ist so stigmatisiert wie Männer, die eine Frau vergewaltigt haben, oder Väter und Mütter, die sich an ihrem Kind vergingen. Es gibt auch niemanden bei der Würzburger Fachambulanz, der solche Delikte entschuldigen würde. Doch das Team um Anna Goesmann, das seit Februar 2011 zu 356 Sexualstraftätern Kontakt hatte, lernte in den vergangenen Jahren, Sexualstraftäter zu verstehen.
Dieses Verstehen ist laut der Ambulanzleiterin auch die Voraussetzung dafür, um den Betroffenen helfen zu können. Was, oft nach jahrelanger Therapie, tatsächlich in den allermeisten Fällen gelingt. „Wir hatten bisher nur einen einzigen einschlägigen Rückfall“, sagt Goesmann.
120 Sexualstraftäter, einige davon noch aus der Gründungzeit der Ambulanz, werden aktuell von vier Therapeutinnen und vier Therapeuten behandelt. Götz H. (Name geändert) ist einer von ihnen. Vor zehn Jahren missbrauchte er seine damals sieben Jahre alte Tochter. Zwei weitere Übergriffe folgten. Die Sache kam zur Anzeige. Fünf Jahre büßte Götz H. das, was er seinem Kind angetan hatte, hinter Gittern. Anfang 2015 kam er im Rahmen der Führungsaufsicht zu Anna Goesmann.
„Damals hatte er noch kaum eine Sprache, um sich auszudrücken“, erinnert sich die Psychologin. Götz H. hatte nie gelernt, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen. Gefühle auszudrücken. Wünsche zu äußern. Das, fand Goesmann heraus, lag in seiner Kindheit begründet. Sein Vater war extrem herrschsüchtig. Ständig musste das Kind auf der Hut sein, damit es bloß keinen Fehler machte.
Ein halbes Jahr lang traf sich Anna Goesmann regelmäßig mit Götz H., ohne dass sich bei ihm irgendetwas verändert hätte. Das schreckte die Psychologin nicht ab. So, sagt sie, ist es fast immer. „Wir fangen nach drei Jahren etwa dort an, wo niedergelassene Therapeuten normalerweise mit ihrer Psychotherapie beginnen.“
Den meisten Sexualstraftätern mangele es grundlegend an sozialen Kompetenzen. Mehr noch: Sie kennen sich selbst nicht und sind weit davon entfernt, ihr eigenes Leben zu leben. „Wir resozialisieren nicht“, sagt Goesmann. „Wir sozialisieren.“ Die Therapeuten holten im Grunde das nach, was die Eltern der Klienten bei der Erziehung versäumt haben.
Die Betroffenen „in die Lebendigkeit zu bringen“, sie zu einem „Menschen“ zu machen, gehört zu Goesmanns wichtigsten Therapiezielen. Dieses Ziel verfolgt die Ambulanzleiterin beharrlich – und mit Methoden, die ungewöhnlich erscheinen: „Einmal sprach ich mit einem jungen Landwirt 20 Sitzungen lang über Schlepper, Ernten und darüber, wie der Weizen gerade steht.“ Sie besuchte ihn sogar und ließ sich seinen Hof zeigen.
Nach einem halben Therapiejahr begann sich der Mann, der ein Kind missbraucht hatte, zu öffnen. Er begann, von sich zu erzählen. Davon, wie schlecht es ihm selbst als Kind ergangen war. Das führte nicht zu Selbstmitleid. Er begriff vielmehr, was er seinem eigenen Kind angetan hatte. Und empfand tiefe Reue.
Nicht nur die Einzeltherapien helfen, dass die Delinquenten rückfallfrei bleiben. Auch die in den vergangenen Jahren aufgebauten Gruppen tragen zur Prävention bei. Es gibt inzwischen eine Gruppe für ältere Männer, eine für Männer, die wegen Kinderpornografie straffällig wurden, sowie eine Gruppe, in der Männer in prekären Lebensumständen lernen, zu kochen und einen Haushalt zu führen. „Wir haben nicht wenige wohnungslose Klienten“, sagt Goesmann.
Gerade mit Blick auf jene Klienten, die in Obdachlosenunterkünften leben, würde sich Anna Goesmann wünschen, dass es in Würzburg eine betreute Wohngemeinschaft für Sexualstraftäter gibt. In anderen Städten wurden solche WGs etabliert. Betreutes Wohnen würde helfen, das Rückfallrisiko weiter zu minimieren. „Obdachlosenunterkünfte bieten für niemanden ein gutes Wohnumfeld“, so Goesmann: „Schon gar nicht für Sexualstraftäter.“
Fachambulanz
Anfang 2011 nahm die Fachambulanz für Sexualstraftäter in Würzburg ihren Betrieb auf. Das vom Caritasverband der Diözese Würzburg betriebene und vom Freistaat Bayern finanzierte Projekt hilft unter anderem aus dem Justizvollzug entlassenen Straftätern, denen die Weisung erteilt wurde, sich einer Therapie zu unterziehen.
Zu 356 Sexualstraftätern hatte die Ambulanz bisher Kontakt. Ein Drittel war zuvor inhaftiert. In fast jedem dritten Fall kamen die Klienten wegen sexuellen Missbrauch eines Kindes. Danach folgen Kinderpornografie und sexuelle Nötigung. Die meisten Straftäter ließen sich aufgrund einer Bewährungsauflage behandeln. pat
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen erwachsenen Menschen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden
Trotzdem nicht aufhören mit den Bemühungen! Und jedem Klienten der dort hingeht wünsche ich genügend durchhaltekraft - für seine evlt. zukünftigen Opfer - die Opfer der Vergangenheit Leiden leider weiterhin...