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Würzburg
Senioren verzweifelt, Sozialreferat kritisiert die Bundesregierung: 2500 Wohngeldanträge in Würzburg nicht bearbeitet
Weil das Sozialreferat überlastet ist, warten in Würzburg tausende Menschen seit Monaten auf ihr Wohngeld. Wie es zwei Rentner trifft und was die Stadt zum Problem sagt.
Die Würzburger Rentnerin Renate L. blickt verzweifelt auf ihren abgelaufenen Wohngeldbescheid. Seit März dieses Jahres hat sie kein Wohngeld mehr erhalten.
Foto: Benjamin Brückner | Die Würzburger Rentnerin Renate L. blickt verzweifelt auf ihren abgelaufenen Wohngeldbescheid. Seit März dieses Jahres hat sie kein Wohngeld mehr erhalten.
Aaron Niemeyer
 |  aktualisiert: 13.08.2024 02:38 Uhr

Als Renate L. (Name geändert) bei der Redaktion anruft, hat sie noch drei Euro auf ihrem Konto. Die Rentnerin hat ihr Leben lang gearbeitet und bekommt 1100 Euro Rente. Zum Leben reicht das nicht, doch mit den 350 Euro Wohngeld, die ihr zustehen, kam sie bisher irgendwie über die Runden, sagt sie. Doch seit März dieses Jahres bekommt Renate L. ihr Wohngeld nicht mehr.

"Ich weiß nicht mehr weiter", sagt Renate L. Gerade habe sie ein Gespräch mit dem Sozialreferat gehabt. "Leihen Sie sich doch was", habe ihr die Sachbearbeiterin gesagt. Solange der Antrag nicht bearbeitet sei, gebe es kein Geld. Sie habe niemanden, von dem sie sich Geld leihen kann, sagt Renate L. "Ich verstehe das alles nicht und bin nur noch am verzweifeln."

Würzburger Rentner: Ich dachte, ich wäre im falschen Film gelandet

Einer, der das alles besser versteht, ist Wigbert Baumann, ebenfalls Rentner aus Würzburg. Er spricht von Reformen des Arbeitsministers Hubertus Heil (SPD) und davon, wie er beim Wohngeld zwischenzeitlich "Bauklötze gestaunt" hat und sich sogar das Deutschlandticket leisten konnte.

Doch auch er hat sich nun verzweifelt an die Redaktion gewandt und erklärt, wie aus seiner Sicht plötzlich alles den Bach runterging: "Ich habe den Erstantrag vollständig am 31. Januar 2023 beim Amt abgeliefert. Ende April 2023 war der Bescheid im Briefkasten", erinnert sich Baumann. Ein Jahr später habe er seinen Wiederbewilligungsantrag eingereicht. "Am Telefon sagte die Mitarbeiterin, dass mit Wartezeiten von sechs Monaten zu rechnen sei. Wenn es knapp werden sollte, könnte ich ja zur Tafel gehen. Ich bin ruhig geblieben, obwohl ich dachte, ich wäre im falschen Film gelandet."

Wigbert Baumann steht vor dem Rathaus und ärgert sich über die Stadt, weil sein Wohngeldantrag einfach nicht bearbeitet wird.
Foto: Aaron Niemeyer | Wigbert Baumann steht vor dem Rathaus und ärgert sich über die Stadt, weil sein Wohngeldantrag einfach nicht bearbeitet wird.

Die Bundesregierung hatte zum 1. Januar 2023 das Wohngeld in Deutschland reformiert. Anstelle von 600.000 waren nun rund zwei Millionen Haushalte für das neue "Wohngeld Plus" bezugsberechtigt. Durchschnittlich wurden die Bezüge laut Bundesregierung pro Haushalt um 190 Euro angehoben. Die Regierung spricht von der "größten Wohngeldreform in der Geschichte Deutschlands". 380.000 Haushalte seien jetzt "nicht mehr auf Bürgergeld oder Sozialhilfe angewiesen". In der Praxis sieht das aktuell jedoch anders aus.

Sozialreferat: 2500 Wohngeldanträge in Würzburg nicht bearbeitet

Etwa 2500 Wohngeldanträge in Würzburg warten nach Angaben des Sozialreferats derzeit auf Bearbeitung. "Viele Kommunen haben bereits vor Inkrafttreten der Wohngeld-Plus-Novelle nachdrücklich davor gewarnt, dass es aufgrund der neuen Regelungen in den Verwaltungen ohne ausreichende Vorlaufzeit nicht möglich sein wird, die zu erwartende Antragsflut zu bewältigen", so das Sozialreferat auf Anfrage. Ähnlich wie in Würzburg sehe es in anderen Städten aus.

"Die Antragszahlen haben sich fast vervierfacht, die vom Gesetzgeber festgelegten Prüfungsvoraussetzungen erfuhren keine Vereinfachungen", klagt das Sozialreferat weiter. "Gleichzeitig leiden alle Verwaltungen unter akutem Personalmangel." Aufgrund gesetzlicher Vorgaben könne ein Vorschuss nur bei überprüftem Anspruch gezahlt werden. "Diese Prüfung ist umfangreich, bedeutet zusätzlichen Verwaltungsaufwand."

Ziel der bundesweiten Reform sei gewesen, "die Bürgerschaft mit Blick auf die sehr hohen Energiekosten 2022 zu entlasten", teilt die Stadt Würzburg weiter mit. "Dies konnte aufgrund der erschwerten Umsetzungsmodalitäten und absehbaren Personalproblematik nicht erreicht werden."

Diese Schritte hat die Stadt Würzburg zur Lösung des Problems unternommen

Doch welche Pläne hat die Stadtverwaltung zur Lösung des Problems? Auch das wollte die Redaktion wissen. Dazu das Sozialreferat: "Die Verwaltung hat verschiedene Schritte unternommen, um die Situation zu verbessern: ehemalige Mitarbeiterinnen und Nachwuchskräfte unterstützen das Wohngeldteam vorübergehend, die Bewilligungszeiträume werden - wann es auch immer rechtlich machbar ist - auf zwei Jahre verlängert, umfassende Fortbildungsmaßnahmen werden für neue Kolleginnen und Kollegen ermöglicht."

Rentner Wigbert Baumann will das jedoch nicht gelten lassen. Er sagt: "Zwei oder maximal drei Monate Bearbeitungszeit fürs Wohngeld sind hinnehmbar und akzeptabel. Aber acht Monate? Da kommt schon etwas Politik- oder Behördenverdrossenheit auf." Er sehe in Hinblick auf die Wohngeldstelle "einiges an Organisationsversagen". Seine Miete und Nahrungsmittel kriege er mit familiärer Hilfe übergangsweise schon bezahlt. Für eine neue Brille und zwei neue Hosen reiche das Geld dann jedoch nicht mehr.

Und Renate L.? Für die bleibt – so scheint es derzeit – bis zur Bearbeitung ihres Antrags wohl nur noch der Gang zur Tafel.

 
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  • Matthias Rothkegel
    Es lohnt sich ergänzend zu diesem Artikel mal einen Artikel einer anderen Zeitung hinzu zu ziehen statt einfach auf die Würzburger Verwaltung verbal einzuschlagen:

    „Landkreistag warnt vor Finanzkollaps – „Jeder kann sehen, dass das nicht gut gehen kann““

    https://www.welt.de/politik/deutschland/article252930106/Alarmruf-aus-Kommunen-Landkreistag-warnt-vor-Finanzkollaps-Jeder-kann-sehen-dass-das-nicht-gut-gehen-kann.html

    Ergänzend hilft ein Blick in die Statistik um festzustellen das wir finanziell schneller an unsere Grenzen kommen als viele wahrhaben wollen: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14177/umfrage/deutschland-anteil-rentner-an-erwerbsbevoelkerung/

    Wie sollen da noch all die Herausforderungen, Verpflichtungen und Ansprüche finanziert werden?
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  • Roland Rösch
    Der ungehörige Umgang mit den Bedürftigen Menschen die eine Lebensleistung vorweisen können ist ein Schlag ins Gesicht. Was ich mit solchen Menschen machen würde darf ich Leider nicht Scheiben ,auf jeden Fall sollten diese Personen sich schämen solche Antworten zu geben. Da fehlt die gute Mutterstube für den Respekt vor Menschen .
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  • Hermann Spitznagel
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • Jochen Radau
    Im Wohngeldgesetz gibt es einen Paragrafen für die vorläufige Zahlung des Wohngeldes. Wäre ich in der Redaktion, würde ich das juristisch anschauen lassen, warum das in Würzburg nicht umgesetzt wird: § 26a WoGG – Vorläufige Zahlung des Wohngeldes

    (1) Eine vorläufige Zahlung des Wohngeldes kann erfolgen, wenn zur Feststellung des Wohngeldanspruchs voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wohngeld besteht. Grundlage der vorläufigen Zahlung sind ausschließlich die für das Wohngeld maßgeblichen Berechnungsgrößen nach § 4.
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  • Monika Klaus
    Rechtzeitig ausgeschrieben, gäbe es auch genügend Studenten der BWL oder Jura, die sicher in der Lage wären, die Bearbeitung der Wohngeldanträge zu unterstützen - Semesterferien sind jetzt auch!
    C. Behringer
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  • Gerhard Zwierlein
    Studenten? die wären wohl zu günstig. Da brauchts schon Beraterverträge für Mio + X . Nur so zur Info....die Anspruchsgrundlage wurde durch die Gesetzesänderung erweitert. Wiederholungsanträge können da schon durchgewunken werden und im nächsten Jahr beim nächsten Wiederholungsantrag noch mal drüber geschaut. Aber schon klar, wer der Schuldige ist....die Ampel....hat einfach so ein neues Gesetz gemacht....
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  • Werner Rau
    Wir haben 8 Monate (!) auf die Bearbeitung eines Folgeantrags meines Schwiegervaters gewartet, arme Bürokratie, Digitalisierung im Rathaus - nicht vorhanden
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  • Dieter Popp
    Personen, die wegen Ablauf des Bewilligungszeitraums kein Wohngeld mehr erhalten und deren finanzielle Verhältnisse sich nur unwesentlich geändert haben, was bei den meisten Rentnern zutreffen dürfte, haben bis zur endgültigen Bewilligung in der Regel einen Anspruch auf Vorschusszahlung nach Paragraph 42 Abs 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 SGB I. Wird ein solcher Vorschuss zusätzlich zum eigentlichen Wohngeldantrag gestellt, muss (!!!)dieser Vorschuss innerhalb eines Monats von der Wohngeldstelle gezahlt werden, und zwar regelmäßig jeden Monat, ohne dass immer wieder ein neuer Vorschuss beantragt werden muss. Es genügt ein kleines zusätzliche Schreiben mit einem einzigen Satz, in dem unter Hinweis auf den gestellten Wohngeldantrag ausdrücklich ein Vorschuss (dieses Wort unbedingt verwenden) beantragt wird. Verweis an die Tafel ist eine bodenlose Unverschämtheit worauf ich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde an den OB reagieren würde.
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  • Roland Rösch
    Würzburg hat ihre eigenen Gesetze.
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  • Thomas Diener
    Bewunderswert das man diese lange Wartezeiten nicht den alten Regierungen usw. untergejubebeln kann.
    Bemerkenswert wäre es wenn die Ämter endlich mal ihre Aufträge erfüllen würden und nicht nur wegen Personalmangel jammern, sondern einmal nach sinnvollen Lösungen suchen.
    Weniger Bürokratie , da kann man echt nur darüber lachen , es wird immer schlimmer !
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  • Jens Lattke
    Die Sachbearbeiterin hätte – statt vollkommen unverschämte Aussagen zu schwingen – auch mal einen vollkommen ungewöhnlichen Weg für eine Beamtin wählen können: statt sich auf den fetten Bezügen auszuruhen einfach mal arbeiten!

    Meine Frau wurde in einer Würzburger Behörde mal zum Chef zitiert: Sie müsse sich die Arbeit schon einteilen. Wenn sie weiter so schnell arbeite, würde sie die Kollegen unnötig unter Druck setzen. Das zeigt schon welche Geisteshaltung in diesen Räumen vorherrscht. Unsere Bürokratie krankt daran das wir zuviele Politiker, zu viele Regeln und zu viele Beamte haben …
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  • Rainer Boutter
    Die Sozialreferätin sollte mal weniger Wahlkampf und Medienpräsenz präferieren und richtig arbeiten. Oder will Sie uns weismachen, dass die monatelangen Wartezeiten im Rathaus, im Bürgerbüro, bei Pass- und Führerscheinangelegenheiten usw. Alle von Berlin verschuldet sind? Haltet die schweigende Mehrheit doch nicht für blöd!
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  • Roland Rösch
    Top Reiner👍
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  • Heiko Rittelmeier
    Ist auch irgendwie symptomatisch heute: die Verwaltung kriegt Ihr Zeug nicht auf die Reihe und sucht Schuldige. Da ist die Ampel gerade gut.
    Meine Vermutung: wenn man sich die Prozesse in der Stadt Würzburg so anschaut, dann sind die möglicherweise - freundlich ausgedrückt - angestaubt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit könnte man die Prozesse auch so modernisieren, dass die Bearbeitung nicht so lange dauert.
    Im Zuge der Digitalisierung sollte man auch die bestehenden Prozesse prüfen und optimieren. Die direkte Digitalisierung eines schlechten Prozesses ergibt nämlich nur einen schlechten digitalen Prozess.
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  • Jens Lattke
    Das System krankt doch schon im Ansatz. Status und Bezüge hängen auch von der Anzahl der geführten Personen ab. Was also sollte einen Bereichsleiter dazu bringen Prozesse so zu digitalisieren/vereinfachen, dass er u.U. weniger Personal benötigt … Am Ende müsste ein externer eiserner Besen durch alle Behörden geschickt werden. Am Ende bliebe ja dennoch genug übrig. Es würde nur schneller gehen und langfristig würden tatsächlich weniger MA benötigt. Was mehr als Wünschenswert wäre! Mit 5,2 Mio beschäftigten haben wir wieder so viele Menschen in diesen Behörden sitzen wie zuletzt 1996 … als ob der Computer nie erfunden worden wäre.
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  • Johannes Metzger
    In dem so oft gescholtenen Berlin dauert die Bearbeitung des Wohngeldantrages weniger als 3 Monate.
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  • Walter Weiss
    Ja. Da sind auch die Kindergartenplätze kostenlos. Jedoch ist Berlin der größte Landerfinanzausgleichsempfänger in Deutschland und lebt trotzdem nach dem Motto: Was kostet die Welt und stellt halt noch mehr Personal ein.
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  • Johannes Metzger
    Wohngeld wird von den Bezirken in Berlin und nicht dem Land Berlin bearbeitet. Bezirke in Berlin, das ist ungefähr das, was im Rest des Landes Großstädte sind. (Würzburg würde da nicht dazuzählen. Wäre zu klein)
    Also nicht das Land mit den Bezirken verwechseln. Im übrigen hat Berlin mit ganz anderen sozialen Herausforderungen zu kämpfen als Würzburg.
    Vielleicht ginge es in Würzburg auch schneller, wenn die letzte CSU Bundes-Digitalisierungsministerin Digi Doro von der CSU und ihr CSU Kollegin Gerlach auf der bayrischen Seite, wirklich was zustande gebracht hätten.
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  • Thomas Diener
    In Berlin kümmert sich auch keiner um die Finanzen , weil die von den anderen Bundesländern immer mit abgedeckt und ausgeglichen werden !
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  • Hermann Spitznagel
    Vermutlich sind die Berliner Bearbeiter schlechter bezahlt als die in Bayern und somit näher dran an den Betroffenen.
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