
Als Renate L. (Name geändert) bei der Redaktion anruft, hat sie noch drei Euro auf ihrem Konto. Die Rentnerin hat ihr Leben lang gearbeitet und bekommt 1100 Euro Rente. Zum Leben reicht das nicht, doch mit den 350 Euro Wohngeld, die ihr zustehen, kam sie bisher irgendwie über die Runden, sagt sie. Doch seit März dieses Jahres bekommt Renate L. ihr Wohngeld nicht mehr.
"Ich weiß nicht mehr weiter", sagt Renate L. Gerade habe sie ein Gespräch mit dem Sozialreferat gehabt. "Leihen Sie sich doch was", habe ihr die Sachbearbeiterin gesagt. Solange der Antrag nicht bearbeitet sei, gebe es kein Geld. Sie habe niemanden, von dem sie sich Geld leihen kann, sagt Renate L. "Ich verstehe das alles nicht und bin nur noch am verzweifeln."
Würzburger Rentner: Ich dachte, ich wäre im falschen Film gelandet
Einer, der das alles besser versteht, ist Wigbert Baumann, ebenfalls Rentner aus Würzburg. Er spricht von Reformen des Arbeitsministers Hubertus Heil (SPD) und davon, wie er beim Wohngeld zwischenzeitlich "Bauklötze gestaunt" hat und sich sogar das Deutschlandticket leisten konnte.
Doch auch er hat sich nun verzweifelt an die Redaktion gewandt und erklärt, wie aus seiner Sicht plötzlich alles den Bach runterging: "Ich habe den Erstantrag vollständig am 31. Januar 2023 beim Amt abgeliefert. Ende April 2023 war der Bescheid im Briefkasten", erinnert sich Baumann. Ein Jahr später habe er seinen Wiederbewilligungsantrag eingereicht. "Am Telefon sagte die Mitarbeiterin, dass mit Wartezeiten von sechs Monaten zu rechnen sei. Wenn es knapp werden sollte, könnte ich ja zur Tafel gehen. Ich bin ruhig geblieben, obwohl ich dachte, ich wäre im falschen Film gelandet."

Die Bundesregierung hatte zum 1. Januar 2023 das Wohngeld in Deutschland reformiert. Anstelle von 600.000 waren nun rund zwei Millionen Haushalte für das neue "Wohngeld Plus" bezugsberechtigt. Durchschnittlich wurden die Bezüge laut Bundesregierung pro Haushalt um 190 Euro angehoben. Die Regierung spricht von der "größten Wohngeldreform in der Geschichte Deutschlands". 380.000 Haushalte seien jetzt "nicht mehr auf Bürgergeld oder Sozialhilfe angewiesen". In der Praxis sieht das aktuell jedoch anders aus.
Sozialreferat: 2500 Wohngeldanträge in Würzburg nicht bearbeitet
Etwa 2500 Wohngeldanträge in Würzburg warten nach Angaben des Sozialreferats derzeit auf Bearbeitung. "Viele Kommunen haben bereits vor Inkrafttreten der Wohngeld-Plus-Novelle nachdrücklich davor gewarnt, dass es aufgrund der neuen Regelungen in den Verwaltungen ohne ausreichende Vorlaufzeit nicht möglich sein wird, die zu erwartende Antragsflut zu bewältigen", so das Sozialreferat auf Anfrage. Ähnlich wie in Würzburg sehe es in anderen Städten aus.
"Die Antragszahlen haben sich fast vervierfacht, die vom Gesetzgeber festgelegten Prüfungsvoraussetzungen erfuhren keine Vereinfachungen", klagt das Sozialreferat weiter. "Gleichzeitig leiden alle Verwaltungen unter akutem Personalmangel." Aufgrund gesetzlicher Vorgaben könne ein Vorschuss nur bei überprüftem Anspruch gezahlt werden. "Diese Prüfung ist umfangreich, bedeutet zusätzlichen Verwaltungsaufwand."
Ziel der bundesweiten Reform sei gewesen, "die Bürgerschaft mit Blick auf die sehr hohen Energiekosten 2022 zu entlasten", teilt die Stadt Würzburg weiter mit. "Dies konnte aufgrund der erschwerten Umsetzungsmodalitäten und absehbaren Personalproblematik nicht erreicht werden."
Diese Schritte hat die Stadt Würzburg zur Lösung des Problems unternommen
Doch welche Pläne hat die Stadtverwaltung zur Lösung des Problems? Auch das wollte die Redaktion wissen. Dazu das Sozialreferat: "Die Verwaltung hat verschiedene Schritte unternommen, um die Situation zu verbessern: ehemalige Mitarbeiterinnen und Nachwuchskräfte unterstützen das Wohngeldteam vorübergehend, die Bewilligungszeiträume werden - wann es auch immer rechtlich machbar ist - auf zwei Jahre verlängert, umfassende Fortbildungsmaßnahmen werden für neue Kolleginnen und Kollegen ermöglicht."
Rentner Wigbert Baumann will das jedoch nicht gelten lassen. Er sagt: "Zwei oder maximal drei Monate Bearbeitungszeit fürs Wohngeld sind hinnehmbar und akzeptabel. Aber acht Monate? Da kommt schon etwas Politik- oder Behördenverdrossenheit auf." Er sehe in Hinblick auf die Wohngeldstelle "einiges an Organisationsversagen". Seine Miete und Nahrungsmittel kriege er mit familiärer Hilfe übergangsweise schon bezahlt. Für eine neue Brille und zwei neue Hosen reiche das Geld dann jedoch nicht mehr.
Und Renate L.? Für die bleibt – so scheint es derzeit – bis zur Bearbeitung ihres Antrags wohl nur noch der Gang zur Tafel.
„Landkreistag warnt vor Finanzkollaps – „Jeder kann sehen, dass das nicht gut gehen kann““
https://www.welt.de/politik/deutschland/article252930106/Alarmruf-aus-Kommunen-Landkreistag-warnt-vor-Finanzkollaps-Jeder-kann-sehen-dass-das-nicht-gut-gehen-kann.html
Ergänzend hilft ein Blick in die Statistik um festzustellen das wir finanziell schneller an unsere Grenzen kommen als viele wahrhaben wollen: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14177/umfrage/deutschland-anteil-rentner-an-erwerbsbevoelkerung/
Wie sollen da noch all die Herausforderungen, Verpflichtungen und Ansprüche finanziert werden?
(1) Eine vorläufige Zahlung des Wohngeldes kann erfolgen, wenn zur Feststellung des Wohngeldanspruchs voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Wohngeld besteht. Grundlage der vorläufigen Zahlung sind ausschließlich die für das Wohngeld maßgeblichen Berechnungsgrößen nach § 4.
C. Behringer
Bemerkenswert wäre es wenn die Ämter endlich mal ihre Aufträge erfüllen würden und nicht nur wegen Personalmangel jammern, sondern einmal nach sinnvollen Lösungen suchen.
Weniger Bürokratie , da kann man echt nur darüber lachen , es wird immer schlimmer !
Meine Frau wurde in einer Würzburger Behörde mal zum Chef zitiert: Sie müsse sich die Arbeit schon einteilen. Wenn sie weiter so schnell arbeite, würde sie die Kollegen unnötig unter Druck setzen. Das zeigt schon welche Geisteshaltung in diesen Räumen vorherrscht. Unsere Bürokratie krankt daran das wir zuviele Politiker, zu viele Regeln und zu viele Beamte haben …
Meine Vermutung: wenn man sich die Prozesse in der Stadt Würzburg so anschaut, dann sind die möglicherweise - freundlich ausgedrückt - angestaubt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit könnte man die Prozesse auch so modernisieren, dass die Bearbeitung nicht so lange dauert.
Im Zuge der Digitalisierung sollte man auch die bestehenden Prozesse prüfen und optimieren. Die direkte Digitalisierung eines schlechten Prozesses ergibt nämlich nur einen schlechten digitalen Prozess.
Also nicht das Land mit den Bezirken verwechseln. Im übrigen hat Berlin mit ganz anderen sozialen Herausforderungen zu kämpfen als Würzburg.
Vielleicht ginge es in Würzburg auch schneller, wenn die letzte CSU Bundes-Digitalisierungsministerin Digi Doro von der CSU und ihr CSU Kollegin Gerlach auf der bayrischen Seite, wirklich was zustande gebracht hätten.