
Friedrich-Bergius-Ring 27, Haus C, zweiter Stock, Westgang: Hier, im Knast, ist in den vergangenen Monaten eine "Wohngemeinschaft für Senioren" entstanden, genauer: die "Abteilung für lebensältere Inhaftierte". Es ist die bislang einzige solche Abteilung im bayerischen Strafvollzug. Was hier anders ist: Die elf Zellentüren bleiben länger als üblich geöffnet, die Betten sind zehn Zentimeter höher als bei anderen Gefangenen, beim Duschen kann man sitzen, bei Bedarf wird der Toilettensitz erhöht. Griffe an der Wand geben besseren Halt, wenn man sich beim Aufstehen altersbedingt schwer tut.
"Das ist keine Wellness-Abteilung"
"Das ist keine Wellness-Abteilung für verurteilte Senioren mit 24 Stunden Bespaßung ", sagt Sozialarbeiter Holger Schubert im Bewusstsein, dass das Thema Rentner-WG schnell für Missverständnisse sorgen kann und außerhalb der Gefängnismauern falsche Vorstellungen weckt. Aber Veränderungen im Tagesablauf und einige bauliche Maßnahmen sollen das Leben der Senioren im Vollzug in der neuen Abteilung etwas erleichtern. Und erleichtert wurde auch der Zugang von Ehrenamtlichen - um der Langeweile und dem geistigen Abbau im Alter entgegen zu wirken. Mancher ältere Gefangene würde gerne täglich arbeiten, kann altersbedingt aber nicht mehr - zumal Arbeit im Knast ohnehin knapp ist, schon für die Jüngeren.
Aus der "Schusslinie" des normalen Vollzugs
In Küche und Aufenthaltsraum im zweiten Stock von Haus C, Westgang, erinnert die Atmosphäre an Seniorennachmittage "draußen". Mit Rollator, Gehhilfen, Rollstuhl, Zukunftsplänen - nur ohne Frauen. Im Vergleich zu anderen Gefangenen seien die Senioren nicht unbedingt "pflegeleicht", ein wenig Herummotzen gehöre auch bei ihnen dazu, erzählt ein JVA-Beamter. Aber sie schätzen es, dass sie aus der "Schusslinie" sind. Auf den normalen Stationen hätten Ältere durchaus auch Stress mit jüngeren Gefangenen - wegen der allgemeinen Lautstärke, der Programmauswahl beim Fernsehen oder vor dem Einkaufstag, wenn es um "Tabak", die Knastwährung, geht. Da werde mitunter Druck auf Nichtraucher ausgeübt, noch dazu, wenn man wisse, dass der ältere Mitgefangene eine ordentliche Rente bekommt.
Da sitzen die Männer von der "Rentner-WG" und spielen Mensch-ärger-Dich nicht, ein Puzzle mit 1000 Teilen und einem historischen Motiv brechen sie vorzeitig ab, weil angeblich Teile für den Rahmen fehlen. Im Türrahmen steht ein Gefangener, will aber nicht hereinkommen, weil es hier nur um "Kinkerlitzchen" gehe: "Die Bemühungen sind schön, aber es bringt nichts", sagt er über die ehrenamtliche Betreuung. Es gibt auch Gefangene, die kaum aus ihrer Zelle kommen, Kontakt weitgehend ablehnen und auch nicht zum Hofgang gehen.

Gefängnis bedeute Stress - und zwar für alle Beteiligten, sagt Sozialpädagogin Lea Knolmar vom Sozialdienst der JVA. "Gerade deswegen wollten wir eine Abteilung schaffen, die es den lebensälteren Inhaftierten ermöglicht, diesem Stress zumindest in Teilen entgehen zu können, um die Resozialisierung zu fördern". Und damit man den Begriff "Senioren-Abteilung" nicht falsch versteht, erinnert auch Knolmar daran, dass es hier um Freiheitsentzug geht, auch wenn die Zellentüren länger als üblich offen stehen.
Demografischer Wandel macht vor Knastzelle nicht Halt
Auch Gefangene werden immer älter, der demografische Wandel macht vor Gittern nicht Halt. Von den 550 Gefangenen in der JVA Würzburg Anfang August waren elf über 65 Jahre alt, davon fünf über 70. Die neue Abteilung sei zunächst ausreichend, so der Leitende Regierungsdirektor Robert Hutter. Jetzt gehe es darum, Erfahrungen zu sammeln. Wichtig, aber noch schwieriger als bei jüngeren Gefangenen sei es, im Verbund mit Partnern draußen bei der Entlassung eine Wohnung anbieten zu können.
Aus der Senioren-WG habe bisher kein Inhaftierter den Wunsch geäußert, in seine alte Zelle und Umgebung zurückzukehren, sagt Justizinspektor Andreas Heinkel, der für Haus C zuständig ist. Die Älteren sollten sich - im Rahmen der Möglichkeiten des Strafvollzugs - gut aufgehoben fühlen. Sie schätzen, so Heinkel, vor allem die Ruhe. Die größte Erleichterung für viele sei, zu wissen, dass die Türe über lange Zeit am Tag nicht abgeschlossen ist.
Dankbar ist man in der JVA für Unterstützung. Inge Schömig beispielsweise kommt seit über zehn Jahren als Ehrenamtliche in den Knast. Im Moment drei Mal in der Woche: ein Mal zu Meditation mit Frauen, an zwei Tagen zu den alten Herrn zum Reden oder gemeinsam Kochen. Zwetschgenkuchen will Inge Schömig demnächst mit den Senioren backen. Noch wird diskutiert: mit oder ohne Streusel?
