Am 1. Juli 1818 wurde Ignaz Philipp Semmelweis im ungarischen Buda als fünftes Kind einer deutschsprachigen Familie geboren. Er wurde Mediziner in einer Zeit, in der es ein Risiko war, als Schwangere in einer Klinik zu entbinden. Denn die Gefahr für die jungen Mütter, an Kindbettfieber zu sterben, war dort weitaus größer als bei Hausgeburten. Doch warum? Viele Ärzte nahmen dies als schicksalhaft hin, ohne nach Ursachen zu forschen.
Ein Würzburger leistete besonders heftig Widerstand
Nur Ignaz Philipp Semmelweis nicht. Heute gilt er als „Retter der Mütter“, zu Lebzeiten aber hatte der ungarische Chirurg und Geburtshelfer mit heftigsten Anfeindungen zu kämpfen. Seine Erkenntnisse, die der junge Assistenzarzt an der ersten Wiener Geburtshilflichen Klinik gewonnen hatte, musste er gegen immense Widerstände seiner Fachkollegen durchsetzen. Einer der prominentesten Geburtshelfer dieser Zeit war der Würzburger Ordinarius für Geburtshilfe, Friedrich Wilhelm von Scanzoni (1821-1891). Ein renommierter Arzt, der 1857 und 1863 die Entbindungen der Zarin Marija Alexandrowna, Gattin Alexanders II. von Russland, in Sankt Petersburg betreuen sollte.
Nach den damals in Deutschland gängigen Erklärungsmodellen, die durch die Humoralpathologie, die „Säftelehre“ geprägt waren, galten atmosphärische, kosmische oder aus der Erde kommende Einflüsse als epidemische Ursachen („Genius epidemicus“) des Kindbettfiebers. Als strenger Verfechter dieser Lehre galt Wilhelm von Scanzoni, wie auch zunächst der zeitgleich in Würzburg lehrende Pathologe Rudolf Virchow.
Semmelweis‘ „Lehre von der Ursache des Kindbettfiebers“ aber fußte auf der Beobachtung, dass in der ersten Gebärklinik in Wien, die Erkrankungen an Kindbettfieber deutlich höher waren als in der zweiten Gebärklinik. Zwölf Prozent der Frauen erkrankten in der ersten Klinik, in der Medizinstudenten die Schwangeren untersuchten. Gleich nach den Obduktionen in der Pathologie kamen sie in den Kreißsaal, ohne sich vorher die Hände zu waschen. In der zweiten Gebärklinik, wo drei Prozent der Frauen am Kindbett erkrankten, betreuten ausschließlich Hebammen und Hebammenschülerinnen die Gebärenden.
Der Tod seines Freundes, des Pathologen Jakob Kolletschka, brachte Semmelweis den entscheidenden Hinweis: Kolletschka war durch einen Studenten bei der Obduktion einer an Kindbettfieber verstorbenen Patientin am Finger verletzt worden. Bei der Autopsie Kolletschkas fand man ähnlich wie bei an Kindbettfieber verstorbenen Frauen Eiter und andere Absonderungen. Semmelweis folgerte daraus, dass die Hände des Untersuchers die Überträger der Keime und somit für den Tod der Wöchnerinnen verantwortlich waren.
Von der Hand in den Tod
Der direkte Weg vom Seziertisch in den Kreißsaal durch den untersuchenden Arzt war offengelegt. Die erschütternde Erkenntnis, dass er sich selbst als Hauptüberträger identifizierte, der frühmorgens Leichen sezierte und später die Gebärenden im Kreißsaal untersuchte, muss den sensiblen Semmelweis tief getroffen haben.
Die Einsicht, dass die Ärzte selbst durch ihre unsauberen Hände den Tod vieler Patientinnen herbeiführten, stieß auf große Skepsis. Erst als die allmähliche Einführung von Handreinigungsvorschriften die Sterblichkeitsrate der Mütter signifikant senkte, galt dies als eindeutige Bestätigung von Semmelweis‘ Theorie. Tragisch erscheint aus heutiger Sicht die Ignoranz in der damaligen Fachwelt und die nur sehr zögerliche praktische Umsetzung der Erkenntnisse Semmelweis‘. Wider besseres Wissen hielt man stur an der epidemischen Ursache des Kindbettfiebers fest.
Als Semmelweis-Anhänger öffentlich forderten, dass auch in der Frauenklinik in Prag endlich Chlorwaschungen durchzuführen seien, fühlte sich in Würzburg der Geburtshelfer Scanzoni als Absolvent der Prager Schule nicht nur medizinisch, sondern auch persönlich herausgefordert. Er wurde geradezu zum Wortführer des Widerstands gegen Semmelweis. Ein erbitterter Kampf mit polemischen Ausfällen in Form von Briefen und wissenschaftlichen Streitschriften begann. Scanzoni bezeichnete die Lehre von Semmelweis als „einseitig und beschränkt“. Semmelweis bezichtigte Scanzoni als „Mörder“.
Verletzte Eitelkeit
Die Stimme des Würzburgers hatte in der wissenschaftlichen Welt Gewicht und verdrängte den schreibscheuen Semmelweis. Scanzoni hätte mit seiner Autorität und seinem hohen Bekanntheitsgrad viel zur Verbreitung der Semmelweis?schen Lehre beitragen können, wäre er nicht vor allem aus verletzter Eitelkeit voreingenommen gewesen. Die entstehende Feindschaft zwischen dem Würzburger Scanzoni und dem Ungar Semmelweis wurde dadurch verstärkt, dass Semmelweis 1851 zwei Mal bei der Bewerbung um das Ordinariat in Prag abgelehnt worden war. Der wachsende Widerstand gegen Semmelweis wurde vor allen Dingen mit dem Argument geführt, er sehe Leichengift als alleinige Ursache des Kindbettfiebers an. Irgendwann ging es nicht mehr um die Sache, sondern beide Lager „pflegten“ den Streit. Scanzoni rückte nicht von seiner Meinung ab, obwohl die Gegenbeweise erdrückend waren.
Ähnliche Vermutungen, wie Semmelweis sie zur Ursache des Kindbettfiebers hatte, waren in Würzburg bereits 1819 unter Scanzonis Vorgänger geäußert worden. Dem Doktoranden Moses Schloss war nämlich aufgefallen, dass alle Wöchnerinnen des oberen Stockwerkes der Entbindungsklinik am Kindbettfieber erkrankten, während im unteren Stockwerk alle so lange gesund waren, bis eine frisch entbundene Wöchnerin von oben nach unten verlegt wurde. Schloss vermutete, dass sie den Ansteckungsstoff, das „Contagium“, übertragen würde. So wie es auch Mediziner in
England bereits vermutet und deshalb Reinlichkeitsmaßnahmen vorgeschrieben hatten.
„Irrtümer und Täuschungen“
Erst 13 Jahre nach seiner Entdeckung verfasste Ignaz Semmelweis 1861 die entscheidenden Schriften – unter anderem „Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers“. Das veranlasste ihn nachträglich zu folgender Äußerung bezüglich Wilhelm Scanzoni: „Herr Hofrath hatte 13 Jahre lang recht, weil ich 13 Jahre lang schwieg.“ Weiter schrieb er an Scanzoni im Anschluss an die Veröffentlichung einer statistischen Arbeit eines Assistenten Scanzonis, über das Kindbettfieber in Würzburg: „Ich kann Dr. Otto von Franqué nur bedauern als einen Betrogenen, welcher in gutem Glauben sich alle Ihre Irrthümer und Täuschungen so gründlich einstudirt. Die Verantwortung für die Irrthümer Ihrer Schüler trifft nur Sie, Herr Hofrath.“
Ferner bezeichnete Semmelweis die Todesfälle in Würzburg als „Mordthaten“ und alle Würzburger Ärzte und Hebammen als „Ignoranten“: „Und diesbezüglich haben Sie, Herr Hofrath, ein bedeutendes Contingent aus Unwissenheit Mordender in Deutschland versendet. (. . .) Sollten Sie aber (. . .) fortfahren, Ihre Schüler und Schülerinnen in der Lehre des epidemischen Kindbettfiebers zu erziehen, so erkläre ich Sie vor Gott und der Welt für einen Mörder, und die Geschichte (. . .) würde gegen Sie nicht ungerecht sein, wenn selbe Sie (. . .) als medizinischen Nero verewigen würde.“
Ein zweiter Brief an Scanzoni nimmt Bezug auf die Kindbettfieber-Epidemien der Jahre 1859 und 1860 in der damals neu erbauten Würzburger „Kreisentbindungsanstalt“: „(. . .) Herr Hofrath hat bewiesen, dass man trotz einem neuen, mit den besten Einrichtungen versehenen Gebärhause im Punkte des Mordens vieles leisten kann, wenn man nur die nöthigen Eigenschaften dazu besitzt.“
Spät erkannte auch Scanzoni die Leistung Semmelweis' an
Leider zerstörte Semmelweis durch seine ungeheure Polemik die Basis für eine sachliche Auseinandersetzung. Beide Seiten hatten letztlich darunter zu leiden. Der Würzburger Geburtshelfer verlor durch die Auseinandersetzung zunehmend an Ansehen, sein Stern begann zu verglühen. Erst nach dem Tod seines Gegners begann auch er die Leistung Semmelweis‘ anzuerkennen, indem er teilweise dessen Lehre in den späteren Auflagen seines Lehrbuchs der Geburtshilfe respektierte.
Rudolf Virchow hatte bereits 1863 seine frühere Auffassung vom epidemischen Charakter des Kindbettfiebers als Irrtum eingestanden.
Semmelweis? Leben endete 1865 tragisch in der Landesirrenanstalt in Wien, in die er von Budapest unter einem Vorwand eingewiesen worden war. Als man ihn am Fortgehen hinderte, steigerte er sich in einen solchen Tobsuchtsanfall, dass ihn sechs Wärter nur mit äußerster Brutalität bändigen konnten. Zwei Wochen später erhielt seine Ehefrau die Todesnachricht.
Ironie des Schicksals
Die Obduktion in der Wiener Pathologie, die lange Zeit auch der Arbeitsplatz von Semmelweis gewesen war, ergab als Todesursache eine Infektion mit einer großen Ansammlung von Eiter im Brustraum. Damit ähnelten die Befunde jenen, die Semmelweis auf die Spur der Ätiologie des Kindbettfiebers gebracht hatten. Eine Röntgenuntersuchung am exhumierten Leichnam im Jahre 1963 zeigte zahlreiche Knochenbrüche an den Extremitäten und an der Brust. Eine sekundäre Wundinfektion dieser Verletzungen hatte offensichtlich zum Tode geführt.
Als Ironie des Schicksals kann dieser Tod durch eine Infektion angesehen werden bei eine
m Mediziner, der bahnbrechende Forschungen angestoßen hat, die heute weiterhin große Aktualität besitzen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden durch regelmäßige Händedesinfektion jährlich Millionen von Menschen vor einer tödlichen Infektion bewahrt.
Der Gastautor
Prof. Johannes Dietl war nach Stationen an den Universitätskliniken Kiel und Tübingen von 1996 bis 2014 Direktor der Uni-Frauenklinik in Würzburg. Er ist dankbar, in seiner 36-jährigen Tätigkeit als Geburtshelfer keinen mütterlichen Todesfall erlebt zu haben.