Pfarrer Thomas Reime bezeichnet sich selbst als „Ossi“ und erzählte den „Wessis“ im Atrium der Christian-von-Bomhard-Schule ganz viele Geschichten aus seinem Alltag als Pfarrer in der DDR. Gebannt lauschten die etwa 200 Jugendlichen der Klassen zehn bis zwölf den Worten des Gastes.
Schulleiter Winfried Malcher dankte vor allem seinem Kollegen Martin Luther, der den Kontakt mit dem Redner hergestellt hatte. Ob dieser Kontakt im Urlaub in Kroatien zwischen Reime und Luther rein zufällig war oder Fügung, formulierte der Gast so: „Zufall ist das Synonym Gottes, wenn er nicht unterschreiben will“. Der am 1. September 1944 im Bombardement in Leipzig Geborene zeigte sich erfreut, dass er die Möglichkeit hatte, vor so vielen jungen Leuten aus seinem bewegten Leben zu erzählen.
Er wuchs im „Unrechtsstaat DDR“ auf und schon früh zeigten sich erste Probleme: Jedes Kind wurde ab dem 1. Schultag „Jungpionier mit blauem Halstuch“. Doch der „kleine“ Thomas wollte früh dem Lehrer auf dessen: „Seid ihr bereit?“ nicht jedes Mal mit „Immer bereit“ antworten. Die Nähe zum Dritten Reich Hitlers – und diesen Vergleich zog Reime mehrfach – sei unübersehbar gewesen. Reime weigerte sich beizutreten und bot auch ansonsten dem Staat immer wieder die Stirn. So zum Beispiel bei der verpflichtenden Jugendweihe. Aufgrund seiner Haltung sei er „täglich Schikanen in der Schule“ ausgesetzt gewesen.
Reime durfte die erweiterte Oberschule nicht besuchen. Doch über Umwege gelang es ihm, seinen ersten Beruf, Förster, zu erlernen. Dadurch, dass Reime ständig „die Erziehung zum Hass auf die imperialistische BRD“ eingetrichtert bekam, reifte sein Entschluss, Pfarrer zu werden. Permanent hat er mit Drohungen, Einschüchterungen oder Verleumdungen des DDR-Staates zu kämpfen. In „Don Camillo-Manier“ wehrt er sich. Stolz ist der Redner, dass er mit seiner Haltung, dem Staat die Stirn zu bieten, viele Nachahmer gefunden hat, denen er Mut gemacht hat. Dies galt für Freunde und Bekannte in der Jugendzeit, als er nicht Pionier wurde, genauso wie als Erwachsener, als er sich gegen die Stasi stellte.
Nachfragen gab es nicht nur auf dem Podium durch die beiden Schülerinnen der Q12 Lydia Oehler und Carolin Lampe, sondern auch vom Publikum. Die Schüler wollten beispielsweise wissen, ob Reime je daran gedacht habe, dass die DDR untergehe. Ehrlich gab der Pfarrer zu, dass er zwar gehofft habe, dass es eine Wiedervereinigung geben wird, aber er im Grunde seines Herzens nicht damit gerechnet habe. Trotz allem habe er immer dafür gekämpft, obgleich die Resignation im DDR-Staat riesig gewesen sei.
Wie tief seine Enttäuschung nach der Wende war, als er erfuhr, dass er von 23 Spitzeln der Stasi rund um die Uhr überwacht wurde, merkt man ihm noch an, denn darunter waren etliche enge Freunde. „Wie perfide das war, das kann man sich gar nicht vorstellen.“ Dennoch hätte er sich gefreut, wenn diese Leute nach dem Mauerfall ein Gesprächsangebot von ihm angenommen hätten und er manches hätte klären können. Nur vier der 23 seien darauf eingegangen.