Jede Geburt ist einzigartig. Und in den meisten Fällen überwiegen Glück und Freude, wenn das Kind das Licht der Welt erblickt hat. Doch nicht jede Geburt verläuft problemlos – nicht immer können Frauen das, was sie in den Stunden der Geburt auch an negativen Gefühlen erlebt haben, vergessen oder verarbeiten. Jede zehnte Frau, aber auch viele Väter, leiden unter einer anhaltenden Krise um die Geburt.
Welche Auswirkungen es hat, wenn die Geburt plötzlich ganz anders verläuft, als man es sich vorgestellt hat – und wie Frauen Krisen bewältigen können – darum ging es bei einer Fachtagung im Landratsamt Würzburg, veranstaltet von der staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen des Gesundheitsamtes. Die Peripartale Depression (PPD) ist eine anhaltende Depression, die nicht unbedingt unmittelbar nach der Geburt auftreten muss. Sie kann sich erst später entwickeln, über Monate hinziehen und dann zu einer ernsthaften Depression werden. Eine frühzeitige Diagnose ist deshalb wichtig. Die Ursachen und Ausprägungen sind unterschiedlich.
Statt im Geburtshaus plötzlich im OP
Häufig sind Frauen betroffen, bei denen es während der Geburt zu Komplikationen gekommen ist, medizinische Eingriffe notwendig wurden, die sie im Vorfeld bewusst nicht gewollt haben. Wenn man statt im liebevoll vorbereiteten Geburtshaus an der Seite der vertrauten Hebamme plötzlich im Operationssaal einer Klinik liegt und das Kind per Kaiserschnitt von einem Ärzteteam geholt werden muss, kann das ein Schock sein. Eine angespannte Stimmung, nicht erklärte Handgriffe und eine Medizinersprache, die man nicht versteht, können enorme Angst erzeugen.
„Manchmal erleben Frauen eine schwere Geburt traumatisch und leiden dann nicht nur körperlich, sondern auch seelisch noch lange Zeit danach. Wut und Trauer nehmen überhand, dann ist es wichtig, sich Hilfe zu holen“, erklärte Gabriele Rottmann-Heidenreich die Organisatorin der Fachtagung.
Orientierung und Hilfe geben
„Wir wollen Orientierung geben und Ideen, wie man sich einem belastenden Ereignis Geburt nähern und Verletzungen lindern kann.“ Das Thema, so sagt sie, liege ihr besonders am Herzen, sie war selbst früher in der Geburtshilfe und in Berlin bei der Einrichtung des ersten Geburtshauses dort tätig. „Es ist wichtig, dass Frauen gehört werden, die eine schwierige, lange oder schmerzhafte Entbindung hatten.“
Damit die Fachtagung, zu der über hundert Hebammen, Beraterinnen und Mütter aus ganz Unterfranken gekommen waren, auf breiten Füßen steht, hat Gabriele Rottmann-Heidenreich bewusst Referentinnen aus der Geburtshilfe ausgewählt, die in ihrer Arbeit unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte verfolgen. So unterscheide sich die Philosophie von Hausgeburten und der in Geburtshäusern vom Pragamatismus in einer Uniklinik – doch wenn es um die Gesundheit und das Wohlbefinden von Müttern vor, während und nach einer Geburt gehe, dann zögen doch alle am gleichen Strang.
Polarisieren bringt nichts
Vom Polarisieren, wenn es um Ansätze in der Geburtshilfe geht, hält Rottmann-Heidenreich daher gar nichts. „Ich habe überlegt, ob ich zur Einstimmung einen Film zeige, bin aber zum Entschluss gekommen, dass die in Frage kommenden Filme zu einseitig sind.“ Auch die Bewegung „Roses Revolution“, die alle Frauen, die sich im Kreißsaal nicht gut behandelt gefühlt haben, aufruft, eine rosa Rose vor dem Kreißsaal abzulegen, sieht sie kritisch. „Das ist eine Symbolik, die für mich negativ besetzt ist – und die Fronten verhärtet, statt sie im Sinne der Frauen abzubauen.“
In Würzburg hatte ein solcher Fall, in der eine Mutter öffentlich über ihre schwere Geburt und ihre negativen Gefühle und Empfindungen gegenüber dem Geburtshilfeteam der Uniklinik gesprochen hatte, zu einer heftigen Debatte geführt (wir berichteten). Diese zeigte eindrucksvoll, wie viele Frauen betroffen sind – und dass das Thema ein weit größeres ist, als von vielen bislang angenommen.
„Die meisten Frauen wissen auch nach Jahrzehnten noch wortgenau, was der Arzt oder die Hebamme damals bei der Geburt gesagt haben“, bestätigte nun Referentin Dagmar Weimer. Die Hebamme und Diplom-Psychologin erklärte, welche Symptome auf eine traumatische Geburtserfahrung hinweisen: So komme es immer wieder in bestimmten Situationen zu Flashbacks – das heißt, die unangenehme oder bedrohliche Situation ist wieder präsent, setzt den Körper erneut unter Stress.
Quälendes Gefühl, versagt zu haben
„Viele Frauen quält auch das Gefühl, versagt zu haben. Frauen neigen dazu, die Schuld bei sich zu suchen, obwohl sie definitiv keine Schuld haben!“, so die Referentin. Wichtig sei es, nach einer schwierigen Geburt auf die Mutter zuzugehen, ihr Hilfe anzubieten, sie zu stärken, ermutigen und vor allem zu loben. Auch während des Geburtsvorganges sei es von großer Bedeutung, Verständnis für die Ängste der Mutter zu zeigen. „Auch wenn es schnell gehen muss, es hektisch wird, Blickkontakt aufnehmen, kurze, liebevolle Berührungen, das kann schon enorm helfen“, so Diplom-Psychologin.“
Ängste gar nicht erst aufkommen lassen, ist auch Teil eines Kommunikations-Trainings für Geburtshelfer und Ärzte, das in Kliniken angeboten wird. Denn was für eine Hebamme oder einen Arzt aus fachlicher Sicht eine Traumgeburt ist, kann für eine Mutter der Alptraum schlechthin sein – da waren sich die Referentinnen, darunter auch Hebammen und Ärztinnen der Uniklinik Würzburg, die die Angebote ihrer Mutter-Kind-Sprechstunde vorstellten, einig. Deshalb, so leitende Hebamme Marianne Ahmed, sei es ja auch so wichtig, über das Geschehen zu reden. „Möglichst zeitnah, dann kann man genauer auf bestimmte Situationen eingehen, erklären, warum man in diesem Moment so handeln musste.“ Auch sie als Hebamme habe nach einer schwierigen Geburt das Bedürfnis, mit der Mutter zu reden.
Emotionale Erste Hilfe fürs Baby
Im Fokus der Tagung stand auch das Baby. Hebamme und Paarberaterin Anne Matt-Wendel von der Hebammenpraxis in Würzburg erklärte den Begriff „Emotionale Erste Hilfe“. Wie sehr eine schwierige Geburt das Baby belaste, könne man nur erahnen. Wichtig sei es, Mutter und Kind einen Raum zu geben, in dem sie Stück für Stück zueinander finden können. Natürlich bedeute eine schwere Geburt nicht automatisch, dass es dem Baby nicht gut geht – es ein Schreikind sei oder Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme zur Mutter hat. Aber wenn es Anzeichen gebe, dass ein Baby permanent unter Stress steht, schreit, Berührungen vermeidet und keinen Blickkontakt zur Mutter aufnimmt, dann sei es wichtig, sich Hilfe zu holen.