
Unterfrankens Schulen wappnen sich. Für Kinder und Jugendliche, die unter Schock stehen. Für Eltern oder Lehrer, die Schreckliches erlebt haben. Entweder weil sie selbst, nahe Angehörige oder Freunde bei der brutalen Messerattacke am Freitagabend in Würzburg verletzt wurden, weil sie zufällig Augenzeugen geworden sind oder weil sie die erschütternden Szenen der Gewalttat per Video oder Foto im nachhinein übers Internet weitergeleitet bekommen.
Seit der Bluttat am Freitag um 17 Uhr am Barbarossaplatz, bei der drei Menschen starben und sieben weitere zum Teil schwer verletzt wurden, stehen die Schulaufsichten in Unterfranken in Kontakt mit KIBBS, dem Bayerischen Kriseninterventionsteam. Dies besteht aus Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, die speziell in Notfallpsychologie und Krisenmanagement geschult sind. Diese schnelle staatliche und psychologisch geschulte Eingreiftruppe, die bei Suiziden, Gewalttaten, schweren Unfällen oder Amokläufen an Schulen zum Einsatz kommt, soll ab Montag in Zusammenarbeit mit den kirchlichen Krisenteams Nosis und KiS mit mehr als einem Dutzend Kräften in Würzburg betroffenen Schulen zur Seite stehen.
Wie sich jetzt vor allem die Eltern verhalten sollten, deren Kinder von der Gewalttat in irgendeiner Form mitbekommen haben oder selbst betroffen sind, erklärt Christian Obermeier (41), der das Team von KIBBS Unterfranken koordiniert, im Interview.
Christian Obermeier: Zum einen wissen wir von zwei Verletzten im schulfähigen Alter. Zum anderen ist der Würzburger Barbarossaplatz ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche, die sich dort aufhalten, die dort einkaufen und an dem viele Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu ihrer Schule vorbeilaufen. Dazu kommt, dass in den sozialen Medien Bilder und Videos der Gewalttat geteilt werden, die bei vielen Kindern direkt auf dem Handy landen.
Obermeier: Davon gehen wir aus. Wie viele das letztlich sind und ob sich deren Zahl nur auf Würzburg und das Umland beschränkt, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Obermeier: Zuallererst sollten Eltern mit ihren Kinder darüber sprechen. Sie fragen, ob sie Videos oder Bilder gesehen haben. Sie fragen, was das bei ihnen ausgelöst hat und wie sie sich fühlen. Sie sollten ihren Kindern dazu auffordern, diese Dateien nicht an andere weiterzuleiten, sondern diese sofort vom Handy zu löschen. Andernfalls besteht die Gefahr, immer wieder, auch zufällig darauf zu stoßen. Eltern sollten ihre Kinder dafür sensibilisieren, keine Gerüchte weiterzuverbreiten, weil dahinter Menschen stehen, denen man dadurch erheblichen Schaden zufügen kann.
Obermeier: In diesen Bildern und Videos wird ein schrecklicher Tathergang gezeigt, der Kinder und Jugendliche stark irritieren kann. Das trifft sie in ihrem Sicherheitsempfinden, gerade weil es der eigene Schulweg oder ein Ort ist, an dem sie sich regelmäßig aufhalten. Jugendliche tendieren dazu, mit Gleichaltrigen zu reden. Bei jüngeren Kindern merkt man, wenn etwas nicht stimmt, wenn sie sich beim Spielen oder Malen anders verhalten. Traumatisierende Situationen können sich in Konzentrationsschwierigkeiten, Alpträumen, Ängstlichkeit oder Gereiztheit ausdrücken.
Obermeier: Eltern sollten ihren Kindern den Raum für ein Gespräch geben. Grundsätzlich gilt jedoch, je bildhafter und detaillierter Nachfragen und Schilderungen sind, desto intensiver können sich diese in das Gehirn einbrennen. Eltern können ihre Kinder dabei unterstützen, den Fokus auf Bewältigungsstrategien zu lenken. "Was hat Dir in der Vergangenheit bereits in schwierigen Situationen geholfen? Zum Beispiel Sport, Freunde, Musik?"
Obermeier: Eltern sollten versuchen, ihren Kindern ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Ihnen erklären, dass die Polizei den Täter umgehend gefasst hat und von ihm keine Gefahr mehr ausgeht. Sie sollten ihnen sagen, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass am gleichen Ort so eine schwere Tat noch einmal passieren wird. Im Zweifel sollten sie sich an den Klassenlehrer oder den Schulpsychologen wenden.
Obermeier: Nein. Eltern sollten ihren Kindern keinesfalls die Unwahrheit sagen, sondern authentisch bleiben. Sie sollten ihnen aber sagen, dass die Polizei alles dafür tut, um so etwas zu verhindern.
Obermeier: Kinder und Jugendliche, die Augenzeugen waren, müssen nicht zwangsläufig traumatisiert sein. Nach einem derart schlimmen Erlebnis ist eine Schockreaktion völlig normal. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen wir nach frühestens sechs Wochen. Erst, wenn Alpträume, Ängstlichkeit, Gereiztheit oder Konzentrationsstörungen über einen längeren Zeitraum andauern, sollte man mit dem Schulpsychologen oder einem Kinder- oder Jugendpsychiater Kontakt aufnehmen.
Obermeier: Wir empfehlen, das Geschehene in einem Klassengespräch aufzugreifen. Lehrer sollten darüber informieren, was geschehen ist und den Schülern die Möglichkeit geben, zu schildern, was sie erlebt haben und wie es ihnen geht. Dabei sehen die Lehrkräfte auch, ob es jemanden in der Klasse gibt, der besonders belastet ist. Ist das der Fall, sollten sie den Schulpsychologen vor Ort oder uns von KIBBS hinzuziehen.