zurück
WÜRZBURG
Schulen, Clubs und ein Kino
Der Plan vom September 2010 zeigt das Leighton Gelände mit dem Wohngebiet Skyline Hill, die amerikanischen Einrichtungen entlang der Rottendorfer Straße, außerdem den Kürnacher Berg mit der ehemaligen Fliegerschule und die dahinter gelegenen Munitionsbunker.
Foto: Stadt Wurzburg, Baureferat | Der Plan vom September 2010 zeigt das Leighton Gelände mit dem Wohngebiet Skyline Hill, die amerikanischen Einrichtungen entlang der Rottendorfer Straße, außerdem den Kürnacher Berg mit der ehemaligen Fliegerschule ...
Von unserem Mitarbeiter Roland Flade
 |  aktualisiert: 05.08.2017 03:03 Uhr

Wer in den 70er oder 80er Jahren als Amerikaner in den Wohngebieten „Skyline Hill“ auf dem Gelände der Leighton Barracks oder in der „Lincoln Housing Area“ in der oberen Rottendorfer Straße lebte, der fand in unmittelbarer Nähe in der Kaserne zahlreiche Einrichtungen für das Alltagsleben und die Freizeit vor.

Es gab mehrere Clubs, in denen man auch essen konnte, eine Snack-Bar, verschiedene Läden, ein Kino, die Kirche („Chapel“) für unterschiedliche Religionsgemeinschaften, dazu Waschsalon, Friseur, Schönheitssalon und Autoteile-Händler, eine große Sporthalle, mehrere Baseball-Felder sowie Football-Feld, Tennisplatz, Volleyballplatz und eine Bowlingbahn.

Eigener Sender und Fernsehstudio

1987 erweiterte sich das gastronomische Angebot um ein Fast-Food-Restaurant („Burger King“). Auf den weiten Wiesen zwischen den Wohnblocks ließ sich Sport treiben, picknicken und grillen.

Ab 1980 besaß der Soldatensender AFN ein eigenes Studio in den Leighton Barracks, das viel Musik aus der Hitparade, aber auch regionale Nachrichten und Servicemeldungen für Soldaten und ihre Familien ausstrahlte; 1992 wurde ein kleines Fernsehstudio angegliedert. Die letzte Sendung von AFN Würzburg ging am 1. Februar 2008 über den Äther, kurz vor dem endgütigen Abzug der Amerikaner aus Würzburg.

Künstlerische und handwerkliche Betätigung

„Arts and Crafts Shops“ boten Möglichkeiten, sich künstlerisch und handwerklich zu betätigen, sei es im Farbfotostudio, das der Deutsche Berthold Diem leitete, in der Töpferei oder in einer Werkstatt für Lederarbeiten. Die Bücherei im Gebäude der Sporthalle hielt 1987 30 000 Bände bereit, dazu über 900 Zeitungen und Magazine, darunter auch deutsche, außerdem audiovisuelle Medien und Schallplatten.

Amerikanische Jungen und Mädchen waren in der Thomas Jefferson Elementary and Junior High School sowie der High School untergebracht, die Kleineren in der 1988 eröffneten Kindertagesstätte („Day Nursery“), die 250 Plätze aufwies. Während die High School heute größtenteils leer steht, nutzt die Universität im neuen Campus Hubland Nord die ehemalige Elementary School für verschiedene Zwecke; in der Day Nursery ist das Kinder- und Familienzentrum der Uni untergebracht.

Gitterzaun als Abschreckung

Seit 1957 standen an der Straße Am Galgenberg zwölf Wohnhäuser für Offiziere („Colonels? Row“), die 1987 durch eine massive Schallschutzmauer aus Beton-Fertigteilen von der Fahrbahn getrennt und über eine neue rückwärtige Straße erschlossen wurden. 2004 wurde die Mauer auf 275 Meter verlängert; sechs Meter hohe Beleuchtungsmasten und Videokameras sorgten für zusätzliche Abschreckung. Im Jahr zuvor waren bereits die Chapel und die Lincoln Housing Area hinter einem stabilen Gitterzaun auf einem Steinsockel verschwunden.

Schon Ende der 80er Jahre bestanden Pläne zur Errichtung des mit 11 200 Quadratmetern Verkaufsfläche größten amerikanischen Einkaufszentrums („Mall“ bzw. „Commissary“) in Europa, das im Oktober 1998 eingeweiht wurde und das auch über einen großzügigen Gastronomiebereich („Food Court“) verfügte. Am ersten Verkaufstag strömten 5000 Besucher in die Mall, die zum Teil aus weit entfernten Standorten wie Ansbach angereist waren. Die Mall selbst wurde vor einigen Jahren abgerissen, im „Food Court“ gibt es während der Landesgartenschau fränkische Spezialitäten.

Aus- und Neubau von Schulgebäuden

Das ständige Anwachsen der amerikanischen Bevölkerungszahl in Würzburg schlug sich auch im permanenten Aus- und Neubau von Schulgebäuden nieder. So wurde die High School 1976, 1986 und 1989 erheblich erweitert. Im Januar 1985 wurde ein Erweiterungsbau der Elementary School eingeweiht. Der Anbau umfasste sieben Klassenzimmer, einen Kindergarten, die Bücherei, die Küche (ausgelegt für bis zu 1500 Essen) und die Schülermensa, die als Mehrzweckraum auch sporttauglich und für Bühnenaufführungen zu nutzen war.

Im Oktober 1990 öffnete die Middle School ihre Tore; hier wurden in 33 Klassenzimmern und einem Sprachlabor mehr als 600 Kinder der Jahrgangsstufen fünf bis acht unterrichtet. Umgeben war die Schule von Sportanlagen und einem Spielgelände. Die Uni nutzt das Gebäude heute für ihr Didaktik- und Sprachenzentrum.

Vorlesungen für Soldaten

Nun war das amerikanische Schulangebot in Würzburg komplett. Die Elementary School wurde im Schuljahr 1996/97 von 700 Jungen und Mädchen zwischen fünf und zehn Jahren besucht, die Middle School von 630 Kindern zwischen zehn und 14 Jahren und die High School von 552 Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren.

Innerhalb eines Jahrzehnts hatte sich allerdings die Schülerzahl an der High School halbiert – eine Folge des beginnenden Abzugs der Amerikaner aus Deutschland. Auch für die höhere Bildung der amerikanischen Soldaten und ihrer Familienangehörigen wurde einiges getan. 1950 entstand in den Leighton Barracks ein „Education Center“ (Bildungszentrum), in dem Soldaten beispielsweise den High School-Abschluss nachholen konnten. Auch ein regelrechtes Universitätsstudium war vor Ort möglich, denn die University of Maryland, verantwortlich für die Hochschulbetreuung der amerikanischen Streitkräfte weltweit, bot in Würzburg Kurse und Vorlesungen an.

Eröffnung einer Zahnklinik

Parallel zum systematischen Ausbau des Bildungsangebots machte die Verbesserung der medizinischen Versorgung Fortschritte. 1987 wurde gegenüber der Sporthalle eine für vier Millionen D-Mark errichtete kleine Zahnklinik eröffnet. Der funktionelle Flachbau umfasste 13 Behandlungsstühle.

Zuvor hatten die neun amerikanischen Zahnärzte im zweiten Stock des US-Hospitals am Mönchberg unter beengten Bedingungen gearbeitet; allein von Oktober 1983 bis September 1984 hatten sie 27 000 Patienten versorgt. Im Hospital verblieb auch nach der Eröffnung des Neubaus die zahnchirurgische Abteilung.

Zusammenarbeit mit Uniklinik

Anfang Oktober 1990 wurde die in die Jahre gekommene Anlage des amerikanischen Krankenhauses durch einen vierstöckigen Anbau mit 100 Betten im hinteren Bereich ergänzt, der sie zum „modernsten US-Hospital Europas“ (Fränkisches Volksblatt) machte.

Schwierige Eingriffe und Therapien wie beispielsweise bei Krebsleiden nahmen die Ärzte hier allerdings nicht vor; sofern nicht US-Spezialkliniken an anderen Standorten helfen konnten, verließ man sich auf die intensive Zusammenarbeit mit dem Würzburger Universitätsklinikum.

Nach dem Abzug der Amerikaner wurde der Anbau abgerissen und durch mehrere Wohnblocks ergänzt. Das langgestreckte Hauptgebäude des US Hospital wurde in eine exklusive Wohnanlage umgestaltet.

1993 war vier Jahre nach dem Mauerfall und dem Ende des Kalten Krieges der Abzug amerikanischer Truppen aus der Bundesrepublik bereits im Gang. Würzburg aber blieb neben Heidelberg und Landstuhl einer von nur noch drei Standorten von US-Hospitälern in Deutschland; 1989 waren es noch neun gewesen. Im Jahr 1996 waren rund 530 Mitarbeiter hier beschäftigt. Im nächsten Jahr wurde für 400 000 Dollar eine Spezialabteilung für Mammographie und Ultraschall angegliedert.

Spektakuläres Verbrechen

Die Leighton Barracks machten nicht nur durch das größte amerikanische Einkaufszentrum und die in der Nähe gelegene modernste US-Klinik Europas überregional Schlagzeilen, sondern auch durch ein spektakuläres Verbrechen. Im Jahr 1980 erschoss eine deutsche Spezialeinheit der Polizei einen 35-jährigen Army-Angehörigen, der mit einer Million Dollar Lösegeld fliehen wollte. Zuvor hatte er sich 17 Stunden lang mit zwei Geiseln in der Filiale der American Express Bank auf dem Kasernengelände verschanzt.

Der bewaffnete Mann war am Morgen des 30. Juni in die Bankfiliale eingedrungen und hatte einen Angestellten sowie einen Feldwebel der US-Armee in seine Gewalt gebracht. Der Täter forderte eine Million Dollar (rund 1,8 Millionen D-Mark), mit denen er nach eigenen Angaben die Operation eines Freundes in den USA bezahlen und indianische Organisationen fördern wollte. Zudem verlangte er die Bereitstellung eines Fluchtwagens, der ihn zu einem Flughafen bringen sollte.

Die Filiale der Bank wurde von schwerbewaffneten amerikanischen Soldaten abgeriegelt. Auf den Dächern der umliegenden Gebäude bezogen Scharfschützen Position; ein Psychologe war telefonisch mit dem Geiselnehmer in Kontakt, um ihn zur Aufgabe zu bewegen. Da die deutsche Spezialeinheit vor ähnlich ausgebildeten amerikanischen Kräften am Tatort eintraf, akzeptierte der Kommandeur der 3. US-Infanteriedivision das Angebot der deutschen Polizei, eine aktive Rolle bei der Geiselaffäre zu übernehmen. Die tödlichen Schüsse fielen nach Mitternacht.

Großfeuer durch technischen Defekt

Drei Jahre später vernichtet in der Nacht zum 19. Juli 1983 ein durch einen technischen Defekt ausgelöstes Großfeuer das damals noch im Nachbargebäude untergebrachte Einkaufszentrum; der Schaden lag bei mehreren Millionen D-Mark. Am 3. Mai 1985 legte eine Bombendrohung den Betrieb auf dem Kasernengelände stundenlang lahm, wo gerade das deutsch-amerikanische Volksfest stattfand. Vor den abgesperrten Toren bildeten sich lange Autoschlangen.

1999, zehn Jahre nach dem Fall der Mauer, war der Abzug der amerikanischen Truppen aus Deutschland in vollem Gang, doch herrschte bei vielen Würzburgern die Hoffnung, dass ihre Stadt die US-Garnison, wenn auch in verkleinerter Form, behalten würde. Diese Hoffnung gründete sich auf die von vielen Amerikanern bestätigte Tatsache, dass das Verhältnis zwischen Bürgern und US-Soldaten meist gut, oft sogar herzlich war.

Neues Kapitel am Galgenberg

Dennoch: Zehn Jahre später sollte die offizielle Präsenz von amerikanischen Truppen in der Domstadt nach mehr als 63 Jahren enden und ein neues Kapitel am Galgenberg mit Uni-Campus, Wohnquartieren, Gewerbeflächen und dem großen Landesgartenschaupark beginnen.

Die Geschichte des Galgenbergs erzählt Roland Flade in seinem Buch „Würzburgs neuer Stadtteil Hubland“. Auf die Vergangenheit des Areals wird während der Landesgartenschau 2018 mit Info-Stelen und einer Ausstellung hingewiesen.

Eines der Offiziershäuser nach dem Abzug der Amerikaner.
Foto: www.facebook.com/LeightonBarracksWuerzburg | Eines der Offiziershäuser nach dem Abzug der Amerikaner.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
American Express
Burger King
Elitetruppen
Fernsehstudios
High Schools
Kapitel
Kinos
Roland Flade
Soldaten
Thomas Jefferson
Truppen
US-Armee
Zahnkliniken
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top