Alexander Ün hat ein Stück deutscher und Würzburger Geschichte geschrieben: Vor 50 Jahren gehörte der Mann aus Midjat in Ostanatolien zu den ersten, die als türkische Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Den Wechsel in ein anderes Land hat er nie bereut. „In Deutschland fühle ich mich wohl, hier in Würzburg ist meine Heimat“, sagt er, und seine Frau Janet, mit der er ein kleines Häuschen im Frauenland bewohnt, pflichtet ihm bei: „Ich möchte nirgendwo anders mehr leben.“
Vor dem Hintergrund des Wirtschaftswunders in Deutschland hatte die Bundesrepublik 1961 das Anwerbeabkommen mit der Türkei geschlossen. Auf dessen Grundlage warben deutsche Unternehmen in der Folgezeit rund 680 002 Männer und 150 000 Frauen an. Heute leben in Deutschland rund drei Millionen Menschen, die ihre Wurzeln in der Türkei haben.
Von diesem Abkommen erfuhr Alexander Ün damals aus der Zeitung. Als junger Schneider arbeitete er in Istanbul, doch beim dortigen Arbeitsamt musste er erfahren, dass Deutschland Schreiner sucht. Freunde in einer nahen Schreinerei halfen ihm mit den nötigen Papieren aus.
Erstmal Schreiner
Mit ein paar Landsleuten bestieg Ün Ende 1961 den Balkan-Express, der ihn vom Bosporus nach München brachte. Seine erste Anstellung fand er in einer Schreinerei in Crailsheim, wo ihn die Inhaber wie ein eigenes Kind aufnahmen. „Als aramäischer Christ durfte ich die Familie jeden Sonntag in die Kirche begleiten.“ 1963 fand er bei den Greiff-Werken in Aalen Arbeit als Schneider, und kam von dort 1965 in die Zweigwerke Aub und Würzburg in der Friedrichstraße, wo er als Gruppenleiter und Dolmetscher gebraucht wurde, denn unter den 600 Beschäftigten waren inzwischen auch 100 türkische Frauen.
Bei einem Freund sah Alexander Ün das Bild von dessen Schwester Janet. Er war so hingerissen, dass er seinen Chef bat, die junge Frau übers Arbeitsamt anzuwerben. Im Mai 1966 kam auch die damals 18-jährige Janet nach Würzburg. Zur Hochzeit fuhren die Beiden schon im Oktober des gleichen Jahres mit dem ersten eigenen Opel nach Ankara, weil die Formalitäten beim Konsulat in München ein Jahr gedauert hätten.
Im Opel nach Ankara
Heute, ein halbes Jahrhundert später, ist vieles nur noch Erinnerung: Die Greiff-Werke gibt es längst nicht mehr, auch nicht die Tofana-Trachtenfabrik in der Hofstraße, zu der Ün 1969 gewechselt war. Geschichte ist auch ein weiteres Ereignis: 1978 gehörten die Üns zu den ersten türkischen Familien in Bayern, die eingebürgert wurden – „mit größten Schwierigkeiten durch das Ordnungsamt der Stadt“, sagt Ün.
Geblieben ist die kleine Schneiderei im Frauenland, mit der sich Ün 1972 selbstständig gemacht hat und die heute von seinem Sohn Gabriel geführt wird. Auch der ältere Sohn Matthias ist in der Modebrache verankert, war lange Jahre bei Severin und ist seit zehn Jahren Mitinhaber der „Stoffbar“. Nur die Tochter Belinda hat es der Liebe wegen zurück in die Türkei gezogen.
Integration war für die Üns von Anfang an wichtig, und dazu gehörte vor allem das Erlernen der deutschen Sprache. Ün bedauert, dass das viele seiner Landleute in Deutschland so selbstverständlich nicht ist. Darüberhinaus hat sich Alexander Ün auch im öffenlichen Leben der Stadt engagiert, unter anderem war er 20 Jhre Pfarrgemeinderat in der Gemeinde Unsere Liebe Frau.
50 Jahre Arbeitsmigration aus der Türkei
Zum Jubiläum „Das 50. Jahr der türkischen Arbeitsmigration nach Deutschland“ findet am Samstag, 14. Mai, in der s.Oliver Arena eine Großveranstaltung mit Vorträgen und kulturellen Darbietungen statt. Veranstalter sind das Institut für Kultur-, Geschichts- und Integrationsstudien (IKG), der Ausländer- und Integrationsbeirat der Stadt Würzburg und der Türkisch Islamische Kulturverein Würzburg (DITIB). Erwartet werden unter anderem Oberbürgermeister Georg Rosenthal, die türkische Generalkonsulin Ece Öztürk Cil, Manfred Schmidt, der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie Referenten der Universitäten Istanbul, Ankara, Erlangen-Nürnberg, Elazig und Konya. Sie diskutieren die Aspekte türkischer Arbeitsmigration aus türkischer und deutscher Sicht. Alle Würzburgerinnen und Würzburger sind eingeladen. Der Festakt beginnt um 17 Uhr.