Der Weg führt an der neuen Ladenzeile auf dem Bürgerbräu-Gelände in der Frankfurter Straße vorbei, rechts hinter dem „theater ensemble“ geht es, etwas versteckt, eine schmale Treppe hinauf ins Grüne. Hier befindet sich die Sprachschule der Gemeinschaft Sant'Egidio, wo Migranten seit 26 Jahren kostenlos Sprachunterricht erhalten. Für dieses kontinuierliche Engagement bekommt Sant'Egidio an diesem Donnerstag, 22. Oktober, in München den mit 8000 Euro dotierten Bürgerpreis des Bayerischen Landtags.
„Louis-Massignon-Schule“ heißt die Einrichtung, in der sich Sant'Egidio-Mitglied Claudia Kaufhold von Beginn an engagiert. Der Name erinnert an den vor über 50 Jahren verstorbenen Orientalisten Louis Massignon, der sich für die Verständigung zwischen Christen und Muslimen einsetzte. Das macht ihn zum idealen Paten, so Kaufhold: „Denn in unseren Klassen sitzen sicher zur Hälfte Muslime.“ Dennoch will die Gemeinschaft den Namen ausschleichen lassen. „Sprachschule Sant'Egidio“ soll die Bildungseinrichtung künftig schlicht heißen. Warum? Kaufhold: „Der Namensteil ,Massignon' wird nicht selten als ,Mission' gelesen.“
Und missionieren, das will die Gemeinschaft Sant?Egidio auf keinen Fall. Im Gegenteil. Muslime werden aktiv darin unterstützt, ihre Religion leben zu können. „Wir haben zum Beispiel schon für Muslime, die sich das nicht leisten konnten, Ramadan-Feste organisiert“, sagt Sant?Egidio-Mitglied Matthias Leineweber.
Vorurteile und Skepsis sind wiederum etwas, womit das zunächst im Mattias-Ehrenfried-Haus untergebrachte Schulprojekt seit seinen Anfängen zu tun hat, erinnert der Pfarrer: „In den Anfangsjahren, also ab 1989, unterrichteten wir viele Menschen aus Osteuropa. Die hatten Erfahrung mit dem Kommunismus und misstrauten uns, wenn wir von ,Freundschaft? und ,Solidarität? sprachen.“ Genau diese Begriffe hatten die Rumänen, Bulgaren und Russen als reine Worthülsen erlebt.
Bei der Gemeinschaft Sant?Egidio dreht sich aber nun einmal viel um das Wort „Freundschaft“. Die Menschen, denen die Mitglieder helfen, also Arme, Obdachlose, Einsame und Flüchtlinge, werden bewusst nicht als „Bedürftige“ angesehen. Sondern als Freunde. So heißen auch die Schüler der Louis-Massignon-Schule „unsere ausländischen Freunde“.
Ein bunter Mix von 150 Männern und Frauen nimmt aktuell an den beiden Grundkursen, dem Mittel-, Ober- und Konversationskurs in der Schule auf dem Bürgerbräu-Gelände sowie in der Gemeinschaftsunterkunft teil. Darunter sind Asylbewerber, aber auch Studierende ohne ausreichende Deutschkenntnisse, angeheiratete Ehefrauen aus fremden Ländern oder Aussiedler. Kaufhold: „Viele dieser Schüler sind sehr gebildet.“
Anders als andere Bildungsinstitutionen versteht sich die Sprachschule nicht als Ort, an dem die einen unterrichten und die anderen lernen. Sie will vielmehr Gemeinschaft erlebbar machen. Was sich an jeder Ecke des kleinen Schulgebäudes zeigt. „Diese Vorhänge fertigten eine türkische und eine afghanische Frau zusammen an“, sagt Kaufhold. Die Wände wurden von Schülern gestrichen.
Ein iranischer Bildhauer fabrizierte die große Friedenstaube gegenüber der Eingangstür. „Wir haben auch keine Putzhilfe angestellt“, ergänzt Pfarrer Leineweber. Gemeinsam werden die Räume gereinigt auf freiwilliger Basis. Natürlich wird auch gebüffelt. Zum Beispiel Bindewörter wie „sondern“ oder „entweder – oder“. Diese Konjunktionen haben es in sich. „Ulrike ist nicht Ärztin . . .“ steht auf dem Übungsblatt. Klare Sache, dieser Satz muss mit „sondern“ weitergehen.
Die Übungsblätter wurden Kaufhold zufolge von der Gemeinschaft selbst angefertigt: „Es gibt zwar inzwischen, anders als zu unserer Anfangszeit, genug Lehrbücher. Aber wir finden, dass der Inhalt oft gar nicht zu unseren Schülern passt.“ Da werden Vokabeln rund um den Restaurantbesuch vermittelt. Da geht es auf Reisen oder ins Kino. Alles Lebensfelder, von denen die Schüler der Louis-Massignon-Schule ausgeschlossen sind. Alle haben wenig Geld. Sonst wären sie nicht auf die kostenlosen Kurse der Gemeinschaft angewiesen.
In der Louis-Massignon-Schule geht es sehr praktisch zu. Die Schüler lernen, wie Nahrungsmittel heißen. Kaufhold: „Zahlen vermitteln wir anhand von Preisen von Lebensmitteln oder auch, indem wir die Notrufnummer als Beispiel nehmen.“
Über die Kurse werden Schüler, so sie es wollen, in das Leben der Gemeinschaft, aber auch in das Leben Würzburgs integriert. Viele Schüler finden Gefallen am Besuchsdienst der Gemeinschaft im Altenheim. Leineweber: „Wir wollen nicht, dass sich Flüchtlinge nur als Opfer fühlen. Wir wollen sie befähigen, aktiv zu werden. Und anderen, die vielleicht in noch größerer Not sind, zu helfen.“
Bürgerpreis des Landtags
Eine Jury unter dem Vorsitz von Landtagspräsidentin Barbara Stamm hat aus einer rekordverdächtigen Zahl von 149 Bewerbungen die Projekte für den Bürgerpreis des Landtags ausgewählt. Der Bayerische Landtag würdigt mit dem Bürgerpreis heuer zum 16. Mal das vorbildliche ehrenamtliche Engagement der Bürger in Bayern. In diesem Jahr lautete das Leitthema: „Willkommen! Bürgerschaftliche Initiativen für Menschen auf der Flucht“. Der Preis ist mit insgesamt 30 000 Euro dotiert.
Gemeinschaft Sant'Egidio
Die Gemeinschaft Sant?Egidio ist eine von der römisch-katholischen Kirche anerkannte geistliche Gemeinschaft, die 1968 von Andrea Riccardi in Rom als Laienbewegung von Schülern und Studenten gegründet wurde. Sie ist nach ihrem Hauptsitz, dem ehemaligen Kloster Sant?Egidio im römischen Stadtteil Trastevere, benannt. Die Gemeinschaft schätzt ihre Mitgliederzahl auf 50 000. Im deutschsprachigen Raum sind die Gemeinschaften in Form eines eingetragenen Vereins organisiert.